Seit ich selbst in einer gesunden Beziehung bin, kann ich eines – online wie offline – nicht. mehr. sehen. Die Romantisierung toxischer Beziehungen und damit jegliche Form von Content zum Thema Ghosting, Gaslighting, Emotional Unavailability und Red Flags.

Statt negativer Beispiele und dem 100. schlechten Date mit einem Loser brauchen wir mehr ehrliche Geschichten über schöne, authentische Beziehungen.

Nur, wo kriegen wir die her, wenn sie niemand produziert?

Ehrlich gesagt hatte ich lange das Gefühl, dass Positivität nicht besonders gut klickt (wo bleibt das Drama?). Auch die wenigsten aktuellen Filme handeln von dem, was Frauen psychisch wie physisch langfristig guttut (Hust It Ends With Us Hust). Deshalb bin ich ganz froh, dass aktuell gleich zwei meiner liebsten YouTuberinnen Einblicke hinter die Kulissen geben. Und damit zeigen: So fühlt sich eine nicht-toxische Beziehung im echten Leben an.

Caroline Winkler (33), die mich mit ihrer lustigen, weirden und selbstbewussten Art schon seit Jahren nicht nur in puncto Interior-Design abholt, hat einen Short-Film über ihre Suche nach einem passenden Partner auf Augenhöhe gedreht. Ich sage bewusst Short-Film, weil es eine Beleidigung wäre, das, was wir da aufwendig über Jahre hinweg kuratiert und prosaisch kommentiert zu sehen bekommen, als minderwertigen „Content“ zu betiteln.

I Dated outside my „Type“. This is what happened – Caroline Winkler

Winkler nimmt uns zurück in die Zeit, bevor sie ihren Soon-To-Be-Husband Justin kannte – und spricht Klartext über ihre einst verkorksten Vorstellungen von Kompatibilität. Nach einer Reihe gescheiterter Beziehungen dachte sie, sie müsste einfach jemanden daten, der ihr optisch nicht gefällt. Später stellte sie fest, dass sowohl die Hässlichen als auch die Schönen ein großes Herz brechen können. (#truethat)

Was bei all der Selbstreflexion schließlich herauskam, ist ein Ehemann kein herkömmliches „He proposed“-Video, sondern ein tiefgründiger, fantastisch geschriebener Einblick in Winklers Entwicklungsprozess. Sie sagt, was sie wirklich will: „Conflict without abandonment. Difference without condemnation. Effort without scorekeeping.” – und beschreibt damit ganz essentielle Dinge, die für viele Frauen in Beziehungen komplett außer Reichweite scheinen.

Das zweite Video ist besonders für autistische und allgemein neurodiverse Frauen interessant. In „My Neurodiverse Marriage“ spricht Anna – ähnlich wie Caroline – über die Dysfunktionalität ihrer früheren Beziehungen und darüber, warum es zwischen ihrem heutigen Mann und ihr von Anfang an bewusst keine Spielchen gab (haha, same).

My Neurodiverse Marriage – Anna Gabrielle

Anna spricht auch darüber, wie ihr die Sprachbarriere innerhalb der Beziehung (CZ – EN) half, Konflikte zu lösen, da die beiden direkt über alles sprechen mussten. Anders als Caroline zeigt Anna eine deutlich … weniger romantisch-ästhetisierte Version ihrer Beziehung und lässt ihren Ehemann nicht in Form von privaten Video-Snippets beim Knutschen in der Küche auftauchen.

Doch auch ohne spürt man hier ganz genau: Da spricht eine erwachsene Frau über ihre gesunde Beziehung – und darüber, woran sie diese festmacht.

Ähnlich wie Caroline erzählt Anna davon, dass sie mit Ende zwanzig eigentlich gar nicht mehr daran glaubte, jemals einen Partner zu finden, der sie so mag, wie sie ist – ohne sie verändern zu wollen. Sie war schon dabei, sich ein Leben komplett ohne Mann aufzubauen, als sie ihren heutigen Ehemann traf. Und dann wurde er doch noch wahr: der insgeheim ein bisschen verleugnete Traum einer stabilen Beziehung, auf die sie sich als autistische Frau mit einer gewissen psychischen Belastung verlassen kann.

Spannend fand ich auch den Aspekt der Genderrollen. Denn obwohl sich die androgyne Anna nie als Hausfrau sah, ist sie heute im Grunde genommen genau das (auch, wenn sie es nicht direkt so bezeichnen würde). Das liegt daran, dass sie nach einem Burnout bis heute lohnarbeitsunfähig ist, und sich oft Pausen gönnen muss, um klarzukommen. Dass sie deshalb mehr im Haus arbeitet als außer Haus, stört sie nicht, weil sie trotzdem eigene Interessen wie Filmen, Malen und Sport verfolgt.

Ich hoffe mal, dass Anna sich trotzdem für die (Care-)Arbeit zu Hause auszahlen lässt 😉

Fazit: Bitte mehr davon!

So unterschiedlich die beiden Frauen sind, so unterschiedlich sind auch ihre gesunden Beziehungen. Und genau diese Repräsentation fehlt mir im deutschsprachigen Raum.

  • Wo sind die verschiedenen Versionen einer schönen Beziehung?
  • Wie leben die Frauen heute, die sich aus toxischen Mustern befreien konnten?
  • Woran erkenne ich, dass ich gut behandelt werde?

Ich denke, es würde der Gesellschaft im Allgemeinen guttun, wenn wir mehr solcher Beziehungen sehen würden. Weil Medien soziale Gewohnheiten prägen – und uns beeinflussen.

Wir müssen nicht noch mehr Beiträge darüber lesen, warum Dating-Apps gescheitert sind. Denn ja, auch dort kann man Menschen finden, die wissen, wie man liebt.

Gesunde Beziehungen sind keine Ausnahmeerscheinung. Sie sind nur schlecht, bis gar nicht erzählt.

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