Ich war ehrlich gesagt schon ein bisschen überrascht, dieses Gesicht wiederzusehen. Mit seiner schlaksigen Statur und den Strubbelhaaren sieht Fynn Kliemann irgendwie aus wie eine deutsche Version von Machine Gun Kelly. Wir erinnern uns: Der Mann, der im Herbst 2024 seine schwangere Freundin Megan Fox betrogen hat. Also, MGK, nicht Fynn! Trotzdem kennt Letzterer sich mit Betrug aus.

Während der Pandemie soll er von einem als super ethical deklarierten Maskendeal finanziell profitiert haben. An juristischen Details möchte ich mich jetzt (ausnahmsweise) nicht aufhängen. Ich hoffe einfach mal, dass der Satz „Krise kann auch geil sein“ den meisten von euch in Erinnerung geblieben ist.

So.
Jetzt will der Fynn aber wieder zurück ins Rampenlicht und lässt sich passend zu seiner Album-Veröffentlichung von einem Doku-Team des HR begleiten. Ganz privat und so. Diesmal hat er schlauerweise ein PR-Team angeheuert, das ihn immerhin dazu bringt, ein bisschen Demut zu zeigen. All in all sagt Kliemann dann eher erwartbare Dinge, wie zum Beispiel, dass er selbst schuld an seiner Misere sei. Ok, naja. Wer sonst? Böhmi? C’mon.

Die Kliemann’sche Rehabilitation

Scheint fast so, als hätte der Film die Mission, Fynn wieder gesellschaftsfähig zu machen. Zumindest wird erstaunlich oft die Frage gestellt, wie schlimm sein Verhalten denn nun wirklich war. Im Vergleich zu allem Bösen, was sonst so auf der Welt abgeht! Selbst ich habe mich zwischendurch fragen hören, ob es denn fair wäre, den kreativen Fynn für immer aus der Öffentlichkeit auszuschließen. Cancel Culture gone wrong sozusagen? Waren wir zu streng zu ihm?

Zugegeben, was danach so kam (Rammstein oder der Fall Pelicot) lässt Kliemann fast schon harmlos aussehen, nur, weil er kein Sexualstraftäter ist #Männerz. Ja, wie so einen süßen, privilegierten Soft-Boi, der einfach mal nicht so ganz genau hingesehen hat bei seiner Ein- und Ausgabenrechnung. Ja mei!

Warum mir Fynn Kliemann leidtut

Kommen wir zum eigentlichen Thema. Nämlich, warum mir Fynn Kliemann leidtut. Denn das war das dominante Gefühl, das ich beim Ansehen der Doku hatte. Nicht Hass. Nicht Neid. Nicht Wut. Sondern: Mitleid.

Denn die Art, wie Fynn malt, Songtexte schreibt, eine Kunstausstellung plant, Social Media betreibt und sich wieder Richtung Daueröffentlichkeit bewegt, ist in meinen Augen nicht gesund. Er wirkt wie ein Lauch auf Speed, der sich nicht eine gottverdammte Minute seines Lebens mit tieferliegenden Problemen beschäftigen möchte und deshalb jeden möglichen Ausweg sucht, um dem zu entkommen.

Mit seiner Hyper-Produktivität versucht er, einen mangelnden Selbstwert durch äußere Bestätigung auszugleichen (Therapie-Wissen 1×1). Kliemann sagt sogar ganz offen, dass es ihm wahnsinnig wichtig sei, was die Leute von ihm denken und dass Menschen seine Musik hören.

In seiner Verzweiflung lässt er einen Leichenwagen umfunktionieren – „zum Reinhören und Reinlegen“ –, um damit in Hamburg Promo für sein eingangs erwähntes Album zu machen. Wie ein schüchterner Schuljunge steht er da und hat Angst, dass niemand kommt. Diese Angst ist nach dem Skandal durchaus berechtigt.

Wer jetzt denkt, dass sich sein Umfeld auch mal einschalten könnte, hat die Worte seiner Freundin Franzi (noch) nicht gehört. Auch die findet es nicht gut, dass er sich jeden einzelnen negativen Kommentar über sich reinzieht, als ob es um Leben oder Tod ginge. Dabei sind diese Kommentare der Beweis für gar nichts.

Dass Fynn ein Künstler ist, steht für mich außer Frage. Leider gilt das auch für seine psychische Überforderung – und dafür, dass er kaum etwas aus seinen Fehlern gelernt hat.

Addicted to Fame

Wenn sich Fynn verändert hätte, würde er heute ruhiger machen und den ganzen Trubel vermutlich ablehnen. Aus unterschiedlichen Gründen. Er hätte andere Strategien gefunden, um die Zweifel im Inneren zu beruhigen.

Und nein, „ruhiger zu machen“ heißt nicht, mit der Kunst aufzuhören. Es heißt, dass man die Kunst wieder für sich macht, aus einem inneren Antrieb heraus, der losgelöst von einer potenziellen Öffentlichkeit und damit verbundenen Belohnungsmechanismen existiert.

In einer Passage sagt Fynn, dass jeder Künstler Menschen braucht, die seine Kunst rezipieren (oder so) – aber das stimmt nicht zwangsläufig. Die Wahl lautet nicht: „Nie wieder etwas Kreatives produzieren“ vs. „Sich in der Öffentlichkeit zum Trottl zu machen“. Es gibt durchaus etwas dazwischen – nur scheint Fynn das nicht zu kennen. Für ihn führt der Weg nur in eine Richtung: zurück ins Rampenlicht. Ganz egal, was es kostet. Frieden, Würde und durchgeschlafene Nächte zum Beispiel, aber wer fragt mich schon.

Dabei könnte die Alternative genauso gut lauten: ein Album (erstmal) nur für sich selbst und die engsten Freunde zu produzieren – und einfach den Prozess zu genießen.

Stattdessen wartet Fynn darauf, wieder von irgendwem auf laut.de zerrissen zu werden. Als ob das überraschend käme. Als ob er glaubt, er könnte nach diesem Riesenskandal Musik-Snobs mit seiner deutschen Prosa überzeugen.

Man-Child-Vibes lassen grüßen!

Das wirklich Skandalöse ist imho, dass Fynn drei Jahre nach dem Ereignis, das sein Leben zerstörte, gefühlt keinen Tag emotional gereift ist. Dass er immer noch der kleine, 36-jährige Junge ist, der auf Applaus wartet. Der zwar rational weiß, dass er seinen Selbstwert nicht im Außen findet, aber trotzdem unfähig ist, mit Therapeuten zu sprechen.

Wie ein therapieresistenter Boomer sitzt er dann selbstmitleidig schwafelnd vor der Kamera, bevor er sich hinterher aufs Motocross-Bike setzt und, was sonst, dabei filmen lässt.

Ey, wer nach solch einem Ereignis nicht zum Therapeuten geht, sondern sich wieder kopfüber in den einzigen Coping-Mechanismus stürzt, den er kennt – nämlich toxisches Overperformen auf zig Baustellen gleichzeitig – wird niemals zur Ruhe kommen.
Und damit vielleicht auch nie erwachsen werden.

Wünschen würde ich es ihm!

Übrigens: Ich habe selbst gerade einen Text zum Thema Kunst als Trauma Response (“Being Talented” Is a Trauma Response) verfasst. Du kannst ihn auf meinem Substack „The Remote Artist“ lesen.

Foto: ARD

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