Ich sitze mit einer befreundeten Autorin in einer Bar in Neukölln, als sie die Frage in die Runde stellt, die niemand aus unserer Branche hören möchte.

„Vielleicht schreiben wir einfach alle zu viele Bücher?“ Betretenes Schweigen. Ihr Satz hallt auch noch beim Nachhauseweg in meinen Ohren, erinnert mich daran, wie wenig Bücher ich selbst im Alltag lese und dass ich das ganze Jahr keine einzige Lesung – außer meinen eigenen – besucht habe.

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Hat meine Bekannte recht? Schreiben wir zu viele Bücher, weil zu viele Menschen den lächerlichen Traum haben, zu schreiben? Ist es ein Problem des Marktes, das dazu führt, dass sich viele Autoren für ihren Traum alles Mögliche gefallen lassen, und diejenigen bestraft werden, die sich dem verwehren?

Eine Woche später. Ich bekomme eine Anfrage für die Lesereihe eines großen Hauses bei Leipzig liest. Es gibt kein Honorar, natürlich nicht. Wie komme ich überhaupt darauf? Je größer und kommerzieller das Haus, desto sicherer kann man sich sein, nicht für den eigenen Auftritt bezahlt zu werden. Obwohl es sich gerade diese Häuser locker leisten könnten, die Menschen zu bezahlen, die mit ihren fertiggestellten Werken für ihren Umsatz sorgen.

In der „normalen“ Wirtschaft wäre das ungefähr so, als ob VW seine Mitarbeiter nicht bezahlen würde, weil sie froh sein sollten, bei so einem bekannten Autohersteller arbeiten zu dürfen.

Ich rechne nochmal nach, ob es sich für mich lohnt, obwohl ich die Antwort kenne. Es lohnt sich nicht. Ich müsste die Hin- und Rückfahrt nach Leipzig bezahlen, mir dort ein Hotel nehmen und natürlich auch das Essen bezahlen. Alles für eine 30-minütige Lesung, wonach ich vermutlich drei bis fünf Bücher verkaufen würde. Es ist alles eine große Farce, dieses glänzende Buch-Business, mit seinen für die Öffentlichkeit unsichtbaren Ausbeuter-Mechanismen.

In den Regalen der Kaufhäuser stehen Titel mit feministischer Message, es hängen Plakate bekannter Autorinnen an den Wänden, jede Venue schmückt sich gerne mit den Künstlerinnen – aber ihre Anwesenheit können sie sich schön selbst bezahlen. Wer nicht mitmacht, hat eben keine PR, und wer keine PR hat, hat keine Verkäufe – und so wissen die Veranstalter ganz genau, dass sie das mit uns machen können. Also, nicht mit mir, aber mit UNS im Sinne von uns Autorinnen.

Weil es „normal“ ist.
In dieser Branche.

Wieder ein paar Tage später. Ich schaue eine Dokumentation von Vollbild über die Modelbranche. Kritisch zeigen die Journalisten auf, dass die Models für ihre „Karriere“ ins Minus gehen. In der Literaturszene? Läuft es ähnlich. Nur spricht niemand darüber. Zu prestigeträchtig ist das eigene mit Familienvermögen finanzierte Vorhaben. Wir (Pseudo-)Intellektuellen sind doch besser als die dummen Models, die für potenzielle Jobs in andere Städte reisen und sich dort bei Castings blamieren.

Dass sehr wohl jährlich viele Autorinnen für ihre Kunst in andere Städte reisen, nicht genug Tickets oder Bücher verkaufen und auf eigenen Kosten sitzen bleiben – geschenkt! Ist eben so, in der Literatur. Hauptsache dabei, Hauptsache mal wieder an einer Lesung teilgenommen.

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Erst im November habe ich selbst eine Lesung mit einem Honorar von 100 Euro absolviert, weil ich meinen Besuch mit einem Geburtstag und einer Theatervorführung kombinieren konnte. Ich bin also quasi privat zu meiner eigenen Lesung angereist, wo ich weniger verdient habe, als ich für das Wochenende ausgegeben habe. Mit der Anreise und den Hotelkosten kam ich auf knappe 400 Euro für zwei Nächte. Das sind: 300 Euro Minus.

Damit ich „da war“.
Damit das Internet und das Real Life sieht, dass ich als Autorin existiere.

Und bevor jetzt gleich wieder irgendwer schreit, dass es doch auch genug Venues gebe, wo das 2024 als fair deklarierte Honorar von 500 Euro pro Auftritt bezahlt wird, muss ich sagen: Ja, diese Venues gibt es, aber sie sind trotzdem nicht der Standard. Außerdem sagen auch diese Venues spontan ab, laden Autorinnen wieder aus („Wir haben uns doch für jemand anderes entschieden, sorry!“), verchecken fix geplante Termine, ohne sich zu entschuldigen oder Ausfallhonorare zu bezahlen und kümmern sich nicht ausreichend um PR-Maßnahmen, sodass man am Ende vor fünf Menschen auftritt.
Immerhin, das ist dann bezahlt. Chapeau!

Schreiben wir also vielleicht wirklich alle zu viele Bücher? Bei 90.000 Neuerscheinungen in Deutschland pro Jahr muss ich klar sagen: ja, absolut. Es gibt eine Schwemme an durchaus guten Büchern, die überhaupt gar keine Aufmerksamkeit bekommen, weil der Markt nicht nur gesättigt, sondern überreif ist. Zu den 90.000 Neuerscheinungen jährlich kommen Titel aus den Vorjahren, die gut liefen und internationale Konkurrenz hinzu.

Was es kostet, eine Autorin zu sein?

Viel, sehr viel sogar.

Geld. Den Verlust der eigenen Würde. Ständigen Konkurrenzkampf. Massenweise Absagen. Die eigene Glückseligkeit.

Wenn man nicht aufpasst, den Rest der psychischen Gesundheit.
Falls überhaupt noch welche da ist.

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