Es gibt diese Bücher, da weiß man schon vorher, wie die Rezension aussehen wird. Bei „The Case Against The Sexual Revolution“ wusste ich bis zu dem Moment, als ich dieses Word-Dokumente öffnete nicht, was ich abschließend dazu sagen sollte. So sprachlos und mutlos hat mich dieses Buch einer konservativen Feministin zurückgelassen, das eigentlich … vielversprechend begann und sogar vom Guardian als „Book of the day“ empfohlen wurde.

“This is a provocative book. More than once, its author says the unsayable. It is urgent and daring and brave. It may turn out to be one of the most important feminist books of its time.“

Aber auch andere Lobhudelungen rund um das Buch haben mich zum Lesen gebracht. Zum Beispiel diese.

„This is a marvellously essential book, brilliantly argued. Perry as written the most radical feminist challenge to a failed liberal feminism. For love of womankind, and based on her profound reading of scientific, cultural and historical material, Perry (…) has dared argue that (…) the so-called sexual revolution failed women, especially young and poor women.“

Phyllis Chesler, writer, feminist and psychologist

Dass es um die moderne Heterosexualität nicht ganz so gut steht, wissen wir spätestens seit dem Aufkommen von Celibacy-Movements wie 4B in Südkorea. Ich dachte: „Naja, Vielleicht brauchen wir ja wirklich eine Art sexuelle Anti-Revolution“ – und klickte auf kaufen.

Um was geht’s?

„The Case Against“ ist (angeblich) eine Art Guide für Sex im 21. Jahrhundert. Die erst 32-jährige britische Autorin Louise Perry sagt dem liberalen Feminismus den Kampf an und plädiert für sexuelle Züchtigkeit. Denn: Hook-Up-Culture benutzt Frauen als Kanonenfutter (!) für sexhungrige Männer, die nur das eine im Kopf hätten: so viele Samen wie möglich zu verteilen, weil sie evolutionär-biologisch darauf getrimmt sind, genau das zu tun.

In Perrys Welt, die sich auch aus ihren Erfahrungen als Mitarbeitern in einem Rape Crisis Center speisen, sind Frauen Heilige und Männer Monster. Zumindest die unverheirateten lol. Selbstverständlich glaubt Perry strikt an die physischen und psychischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern (ja, für Perry gibt es nur zwei Geschlechter) und ist der Ansicht, dass es für Frauen keinen sichereren Ort gäbe als in einer monogamen Ehe.

Und obwohl ich ihr in all diesen Punkten widersprechen wollte, hat Perry – die an der renommierten Oxford-Universität studierte – es doch manchmal geschafft, meine innere Kritikerin (zumindest stellenweise) mit guten Argumenten zum Schweigen zu bringen. Aber von vorne.

Kampf dem liberalen Feminismus!

In „The Case Against“ wird der liberale Feminismus, wie wir ihn aus dem Internet, Frauenzeitschriften und den Büchern unserer Lieblingsautorinnen (Karley Sciortino, Roxane Gay oder Dolly Alderton) kennen, radikal auseinandergenommen.

„Few liberal feminists are willing to draw the link between the culture of sexual hedonism they promote and the anxieties over campus rape that have emerged at exactly the same time. If they did, they might be forced to recognize that they have done a terrible thing in advising inexperienced young women.”

Louise Perry

Perry ist gegen die „compulsive sex-positivity“, also das, was wir heute unter einer freien, selbstbestimmten, BDSM-inkludierenden Sexkultur verstehen. Immer wieder hat sie Angst um die sexuell aktive, junge Frau, die in Wahrheit nur das Opfer einer hypersexuellen Kultur ist, die ihr einredet, Sex sei nichts Besonderes.

Das Inhaltsverzeichnis allein zeigt, wie radikal ihre Thesen sind.
 

In ihrem Buch vertritt sie acht Thesen, die mehr oder weniger alle dasselbe Fazit haben: Sex für heterosexuelle Frauen ist gefährlich – also habt ihn besser nicht, und schon gar nicht vor der Ehe! Im Kapitel “Loveless sex is not empowering“ klingt das so:

„The liberal feminist narrative of sexual empowerment is popular for a reason: it is much more palatable to understand oneself as a sassy Carrie Bradshaw, making all the decisions and challenging the patriarchal status quo. Adopting such a self-image can be protective, making it easier to endure what is often, in fact, a rather miserable experience. If you’re a young woman launched into a sexual culture that is fundamentally not geared towards protecting your safety or wellbeing, in which you are considered valuable in only a very narrow, physical sense, and if your only options seem to be either hooking up or strict celibacy, then a comforting myth of ‚agency‘ can be attractive.“

Louise Perry

Dieser Mythos beruhe auf der Naivität gegenüber der „wahren Natur“ der männlichen Sexualität. Junge Frauen wüssten angeblich nicht, dass Männer aus evolutionsbiologischen Gründen im Allgemeinen viel besser für emotionslosen Sex geeignet seien und es ihnen viel leichter falle, ihre Sexualpartner als austauschbar zu betrachten.

Perry unterteilt Männer in die stereotypen Kategorien „Cads“ und „Dads“. Cads seien zu vermeiden, denn die sind nur auf schnellen Sex aus, während wir besser dran seien, einen „Dad“ zu finden. Vor jedem Geschlechtsverkehr sollte sich die Frau fragen: „Würde ich Kinder mit diesem Mann bekommen?“ und danach abwägen, ob sie wirklich Penis-in-Vagina-Verkehr mit ihm haben möchte.

Aus Unwissenheit könnten Frauen leicht verkennen, dass begehrt zu werden keineswegs dasselbe sei, wie wertgeschätzt zu werden. Wie soll man Perry widersprechen, wenn sie schreibt, dass besonders junge Frauen oft von Männern ausgebeutet und missbraucht werden, wenn es doch statistisch betrachtet der Wahrheit entspricht? Und genau bei diesen Passagen musste ich dann doch nicken und der ultra-konservativen Perry zustimmen.

Consent Is Not Enough

„This fact becomes clear when we look at the twenty-first-century university campus, where the gospel of sexual liberation is preached loudest and where BDSM societies and ‚Sex Weeks‘ are the new normal.“

Louise Perry

Ja, Heterosexualität hat ihre Tücken. Aber: Ein Gospel der sexuellen Befreiung? Dass ich nicht lache. Was ist mit all den Studien, die aufzeigen, dass Gen-Z so wenig Sex hat wie keine Generation zuvor und mit zunehmender Einsamkeit kämpft? Und wo kann man sich eigentlich zu dieser „Sex Week“ anmelden? Es sind die kleinen Unaufmerksamkeiten seitens Perry, die zeigen, woher der Wind wirklich weht (nämlich von rechts).

Perry kritisiert, dass auch der vielzitierte Consent nicht genug sei und viel zu oft dafür hergenommen würde, um Frauen im Grunde: Gewalt anzutun. Ich möchte hier gerne Perrys Worte im Original wiedergeben, damit ihr Ton nicht in meiner Rezension verloren geht. Im Kapitel „Violence is not love“ schreibt sie konkret:

„The liberal feminist appeal to consent isn’t good enough. It cannot account for the ways in which the sexuality of impressionable young people can be warped by porn or other forms of cultural influence. It cannot convincingly explain why a woman who hurts herself should be understood as mentally ill, but a woman who asks her partner to hurt her is apparently exercising her sexual agency.“

Louise Perry

Ja, dieser Part hit different. Denn der liberale feministische Glaube an Consent beruhe laut Perry auf einer grundlegend falschen Prämisse: dass wir im Schlafzimmer etwas anderes seien, als außerhalb davon.

Trotz der populärkulturellen Darstellung von BDSM, die in einer Hihi-Haha-Harmlosigkeitsmentalität davon ausgeht, dass sich wohlhabende Geschäftsmänner gerne eine weibliche Domina für regelmäßige Auspeitschungen holen, seien diese Beziehungen nicht typisch. Und: Da hat Perry (leider) recht.

Die meisten Submissiven („Subs“) sind Frauen, und die meisten Dominanten („Doms“) sind Männer. Eine Studie von 2013 über Teilnehmer eines BDSM-Online-Forums ergab, dass nur 34 Prozent der Männer konsequent die Sub-Rolle bevorzugten, während ein noch kleinerer Anteil der Frauen – 8 Prozent – sich als Doms identifizierte. Das deckt sich auch ungefähr mit meinen eigenen Recherchen.

Dieselbe Studie zeigte zudem, dass Doms dazu neigten, im Persönlichkeitsmerkmal „Agreeableness“ niedrig zu scoren, was bedeutet, dass sie durchsetzungsfähig und fordernd waren. Subs hingegen waren im Durchschnitt verträglicher, was bedeutet, dass sie bestrebt waren, anderen zu gefallen. Diese Erkenntnisse stellen für Perry die Annahme infrage, dass Menschen von BDSM-Rollen angezogen werden, die ihren normalen Neigungen entgegenstehen – tatsächlich scheint nämlich eher das Gegenteil der Fall zu sein.

Meistens bleiben Doms auch außerhalb des Schlafzimmers (oder des Sex-Dungeons) Doms, und Subs bleiben Subs. In der realen Welt widersetzt sich BDSM nicht der sexuellen Dominanz von Männern über Frauen – vielmehr verstärkt es sie.

Auch hier muss ich wieder überraschend mit Perry mitgehen. Genau das ist nämlich auch der Punkt, den ich nach meinen eigenen Erfahrungen an typischen Dom-Sub-Konstellationen zwischen Männern und Frauen innerhalb der BDSM-Szene am meisten kritisiere.

Ich persönlich könnte mir nicht vorstellen, mich von einem Mann im Schlafzimmer auspeitschen oder heftig würgen zu lassen, weil es eben: meinem Verständnis von Feminismus widerspricht. Auch Perrys Gedanken zum Stragulation-Trend sind durchaus nachvollziehbar.

„This normalization is glaringly obvious online, where BDSM content, particularly content featuring strangulation, has migrated from niche porn sites to mainstream porn sites, and now to social media, including platforms that advertise themselves as suitable for children aged thirteen and over.“

Louise Perry

Das alles ist auch nach meinem Wissen: wahr. Es gehen Gefahren von Hardcore-Pornos aus, die sogar Billie Eilish bestätigen würde. Man braucht heutzutage niemandem erklären, dass auch konsensuale Gewalt im Schlafzimmer ihre Spuren hinterlässt.

Aber muss man deshalb pauschal alle Frauen zu Opfern erklären, die sich gerne mal in einem Sex-Klub den Hintern versohlen lassen? Weiß ich…

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