Ich werde heute Angst um mein Leben haben. Das weiß ich natürlich noch nicht, als ich die BlaBlaCar-Fahrt mit einem Mann buche, der ganz nett schreibt. Wenn ich es gewusst hätte, wenn ich es aus seinem Profil herauslesen hätte können, dass ich es mit einem frauenhassenden Putin-Versteher zu tun haben werde, während ich die sieben Stunden von Wien nach Berlin auf mich nehme – glaubt mir, ich hätte wieder storniert.
Nichts auf seinem Profil hat darauf hingedeutet. Die Bewertungen ausnahmslos positiv. Hätte ich nicht buchen sollen, weil er ein alter, weißer Mann ist? Sind wir tatsächlich schon soweit, dass eine ganze demografische Gruppe gemieden werden sollte, egal, für welche Aktivität?
Als ich um 9:30 beim Abfahrtsort ankomme, sehe ich ihn bereits in seinem kaputten, alten Auto sitzen. Er steigt aus, grüßt freundlich und öffnet den Kofferraum. Es ist dieser Moment, wo die Sympathie entweder überspringt, oder nicht; die ersten Sekunden wie bei einem Date, wo man relativ schnell weiß, ob man sich riechen kann oder nicht. Als ich seine Trachtenweste sehe, wird mein Magen flau. Wir warten noch zehn Minuten auf andere Gäste, aber keiner kommt.
Ich sitze vorne, weil mir hinten immer schlecht wird und er fragt, ob es mich stört, wenn er zwischendurch mal eine Zigarre raucht. Die Absurdität dieser Aussage überrumpelt mich nicht genug, um nein zu sagen. Es ist das einzige Mal während der ganzen Fahrt, dass ich bewusst „Nein“ sage. Immerhin, er respektiert meine Antwort. Gleich danach fragt er mich, ob ich aus Wien komme. Smalltalk-bedingt frage ich ihn, warum er in Wien war, obwohl ich eigentlich gar keine Lust auf das Gespräch habe.
Er erzählt, dass er auf einer Beerdigung war, ich sage bloß „Oh, von wem?“, und schon erzählt er mir von dem tollen Kameraden aus seiner Burschenschaft, der mit erst 68 Jahren gestorben sei. Die beiden Worte bleiben in meinem Kopf hängen. „Erst“ und „Burschenschaft“.
Erst 68, in einer Burschenschaft.
Erst 68, in einer Burschenschaft.
Erst 68, in einer Burschenschaft.
Es sind genau diese Art von Männern, die gerne sterben können. Ich weiß jetzt mit Sicherheit, dass die Fahrt hart wird, versuche mir aber nichts anmerken zu lassen. Vielleicht hält er sich ja zurück. Aber natürlich tut er das nicht, wie könnte er auch, er muss mir schon genau erklären, an welchen Kreuzungen in Tschechien früher die „Zigeuner-Nutten“ standen und dass hier rechts ein schönes Schloss sei, ob ich da schon einmal gewesen bin.
Ich starre auf die Fahrtzeit, noch 5 Stunden irgendetwas, und er hat jetzt schon ganz selbstverständlich klargemacht, dass er ein Sex-Käufer ist.
Mir wird übel. Was soll frau auf so eine Aussage antworten, was denkt er, was sie in mir auslöst? Ich denke, er denkt gar nichts, er fragt mich auch nicht, was ich arbeite, oder ob ich ein Hobby habe. Er selbst erzählt, er sei Anwalt. Aber kein Anwalt fährt so eine Karre, denke ich, außer er hat eine richtig hässliche Scheidung hinter sich, die auch seine weiteren, abfälligen Kommentare über Frauen erklären könnte.
Er schimpft über die dumme Von der Leyen, die ihm zu links sei; und erzählt mir von seinen sonstigen Alltagsbeobachtungen über Deutschland. Inzwischen hätten wir ja eine Diktatur, nichts könne man mehr sagen, sonst tritt dir die Polizei die Haustüre ein, ja, ja!
Ständig kommt es über ihn, als ob er Frauenhass-Tourette hätte, er erwähnt die „fette Kuh“ Ricarda Lang, lacht, als ob er gerade einen super Joke gerissen hätte. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er fährt 150 auf der Autobahn, und ich bin nur eine weitere Frau, die Angst hat, von einem Mann getötet zu werden, weil sie ihm nicht gehorcht.
Ich denke, was jetzt passieren würde, wenn ich widerspreche, wenn ich ihm sage, wie sehr ich ihn seit Minute 1 verachte, sodass ich nur nicke und stillhalte, weil er mich auf einer Tankstelle Mitten in Tschechien absetzen könnte an diesem Sonntag und entscheide, mich zusammenzureißen, mir konstant auf die Zunge zu beißen, und zu lächeln. Etwas, das ich nie mache, aber normalerweise sitze ich auch nicht mit rechten Frauenhassern in einem Auto, normalerweise würde ich solche Menschen überall wo es möglich ist blockieren. Nein, ich rede nicht mit Rechten. Weil es verdammt nochmal gefährlich ist.
Kurz versuche ich das Ganze als eine Art journalistisches Experiment zu begreifen, und stelle ihm so naive Gegenfragen, wie möglich. Da er mich schon beim Einsteigen als Studentin bezeichnet hat, denkt er vermutlich ohnehin, ich sei ein kleines, 22-jähriges Kind, das keine Meinung, keine Bildung, keinen Willen hat. Ich frage ihn, warum er trotz seines Heimathasses auf die DDR Putin-Fan sei, das passe für mich nicht so wirklich zusammen, schließlich sei Putin auch ein Autokrat und lasse alles andere als freie Meinungen zu? Und dann sagt er, allen Ernstes, dass Putin ein sehr umgänglicher, freundlicher Mensch sei, das würde im Westen nur falsch dargestellt werden.
Der Mann, der mich nach Berlin fährt, sagt, dass Putin die Ukraine plattmachen soll und ich würde jetzt gerne sofort aus dem Auto steigen, aber ich kann nicht. Ich will jetzt um diese Uhrzeit keine neue Fahrt nach Berlin suchen, mitten auf der Autobahn in Tschechien und wenn ich jetzt anfange, ihn als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich ein faschistischer Querdenker mit Psychose, wird er mich sicher nicht an den nächsten Bahnhof fahren oder.
Wenn ich ihm sagen würde, dass ich aussteigen möchte, hätte er einen Grund, skeptisch zu sein, und keine Ahnung, was er dann mit mir anstellt. Nachdem er mir in Prag zeigt, wo in Europa die meisten Pornos gedreht werden, frage ich ihn, ob er Kinder hat. Ich kämpfe mit meinen eigenen Waffen, und das sind persönliche Fragen. Er sagt nur knapp „ja“, presst die Lippen aufeinander und ich weiß, dass sie den Kontakt zu ihm vermutlich abgebrochen haben. Ich denke an seine armen Kinder, seine Ex-Frau und den emotionalen und wahrscheinlich auch physischen Missbrauch, den sie erlebt haben, denn der Mann, der mich morgens so freundlich in seiner Trachtenjacke begrüßt hat, ist ein Wolf im Schafsfell. Ich merke seine Choleriker-Vibes sofort, mein ganzer Körper ist tense.
Ich schreibe meinen Freunden, dass ich gerade Angst um mein Leben habe, denn das tue ich wirklich. Die Fahrt mit einem frauenhassenden, sex-kaufenden, ekelhaften, rechten, weißen Mann ist das Tüpfelchen auf dem i dieses Wochenendes. Ich hatte eine Lesung zu meinem Buch „Potenziell furchtbare Tage“ in Wien und alles, was ich bekomme, ist eine Realitätsklatsche.
Ich denke nicht, dass er eine Ausnahme ist. Ich denke nicht mehr, „Oh, da bin ich aber leider an den falschen geraten“, denn dafür ist das hier, oder etwas Ähnliches, einfach schon zu oft passiert. Meist sitzt man nur nicht neben diesen Säcken im Auto und kann seinen Mund nicht aufmachen. Meist kann man etwas sagen, wobei auch das nicht unbedingt zu einem besseren Ergebnis führt, aber wenigstens fühlt man sich nicht ganz so ohnmächtig.
So ohnmächtig habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht neben einem fremden Mann gefühlt. Ich hatte literally keine Wahl. Ich konnte nicht wegrennen. Er hätte alles mit mir machen können, wenn er doch irgendwo abgefahren und alleine mit mir in den Wald wäre.
Das „Witzigste“ ist, dass er mich während der Fahrt sogar gefragt hat, ob ich mich wohlfühle. Die Situation erinnert mich an Männer, die nicht wissen, ob der Sex einer Frau gerade Spaß macht, oder nicht. Ich zweifle an seinem Verstand, ich zweifle an seiner Fähigkeit, ein Gegenüber mit seinen Gefühlen wahrzunehmen und zu spüren.
Aber am meisten regt mich seine Audacity auf.
Dass er einfach annimmt, diese grauenhaften Dinge über Frauen und Minderheiten sagen zu können. Dass er wohl tatsächlich annimmt, es wäre normal neben Frauen über andere Frauen wie Annalena Baerbock, Ricarda Lang oder Kamala Harris herzuziehen. Denn natürlich kann er sich auch seinen Kommentar zur US-Wahl nicht verkneifen, ja, da hätten einmal die echten Menschen gewählt und nicht irgendwelche Konsorten aus Hollywood. Ich kann mir direkt vorstellen, woher er seine News bezieht, und wie er rauchend, alleine und einsam abends in seiner Wohnung sitzt, und telegram liest.
Mein Mitleid hält sich dennoch in Grenzen. Ich habe keines mehr übrig für Männer wie ihn. Dickbäuchige, ekelige, alte Männer, die echt glauben, die Welt gehöre ihnen. Boomer-Fragility trifft male fragility und das Ergebnis kennen wir alle, eine nerventötende Mischung aus Arroganz und Narzissmus, eine Überzeugung, im Recht zu sein, die nicht einmal Richter kennen; eine Präpotenz und Selbstsicherheit, mit der Verschwörungstheorien als Fakten vorgetragen werden, dass ich wirklich den letzten Glauben an die Menschheit verliere, den ich noch habe.
Als wir fast da sind, biegt er in eine Sackgasse ab und bekommt einen cholerischen Anfall, er schreit herum, das gibt es doch nicht, ich versuche, ihn zu beruhigen und ihm einen alternativen Weg auf Google Maps zu zeigen, doch er geht nicht darauf ein und drückt einfach aufs Gas. Ich habe Angst, ich möchte nicht, dass er so schnell fährt, jetzt fragt er nicht, ob ich mich wohlfühle.
Ich frage ihn, warum er es so eilig hat, macht seine Frau etwa Schweinsbraten zum Abendessen, aber er lacht und geht nicht weiter darauf ein. Ich merke, dass ich mich in diesen sieben Stunden so sehr verstellt habe, dass ich inzwischen als konservative Wiener Jura-Studentin durchgehen könnte mit meiner Brille und dem rot-karierteren Schal, ja, wenn man es so betrachtet, gebe ich heute conversative vibes und für einen Moment glaube ich, dass das der Grund ist, warum er sich überhaupt getraut hat, das Ortskürzel DW (Dippoldiswalde) als Dumme Weiber zu verhöhnen.
Bis ich wieder realisiere, dass er gar nicht so weit denken würde. Es ist ihm schlichtweg egal, was ich denke, fühle, wer ich bin. Hauptsache, er redet, mansplained mir Schlösser und Pornodrehorte und die Weltpolitik. Wäre ich nicht weiß, ich hätte bei der ersten Begegnung vermutlich kehrtgemacht. Es war meine Whiteness, die mich davor bewahrte, dass Schlimmeres passierte, die es mir überhaupt ermöglichte, da einzusteigen. Aber ich habe trotzdem einen Preis dafür gezahlt, der weit über die 38 Euro hinausgeht, die die Fahrt gekostet hat.
Ich habe sieben Stunden meines Lebens mit einem Mann verbracht, dem ich zutraue, Frauen zu töten und zu vergewaltigen. Ich habe sieben Stunden neben einem Mann verbracht, dem ich zugetraut hätte, den eScooter-Fahrer vor ihm zu erschießen, wie er es in seinem cholerischen Anfall angedroht hat.
Ich habe sieben Stunden meines Lebens mit einem Mann verbracht, der tatsächlich dachte, dass ich eine gute Zeit hatte. Heute morgen habe ich seine Bewertung über mich auf BlaBlacar gelesen.
Ich sei eine freundliche, pünktliche Person, mit der man gute Gespräche führen kann. Die Wahrheit wird er nie erfahren. Dass ich ihn gepleased habe, um nicht zu sterben.
That’s it. Wir sind offiziell in der Hölle angekommen.
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