Es ist ein Donnerstag im Juni, an dem ich bedaure, was ich mir die letzten zwei Jahre genommen habe: Die Chance auf Routinen, die Chance auf ein entspanntes Bei-Mir-Sein und Bleiben. Die Chance auf ein Leben mit den immer selben Samstagen an der Krummen Lanke, Pfandflaschen-Retournierungs-Spaziergängen zu Rewe, Nachmittagen zum Nachdenken in den Rehbergen und einem Klavier, das tatsächlich angefasst wird.

Während ich dank meines neuen Klavierlehrers das erste Mal seit 2022 wieder eigenständig Chords nachspiele, merke ich, wie fantastisch es eigentlich ist, keine großen Reise-Pläne für das restliche Jahr zu haben und mich stattdessen lokaleren Hobbies widmen zu können. Dass ich einfach nur froh bin, in Berlin zu sein. Zuhause.

Ich brauche so viel weniger, als ich dachte. Ehrlich gesagt ist ein Umkreis von +-2 km ist für die meiste Zeit völlig okay. Mein Seelenfrieden ergibt sich daraus, dass ich meine Tofupresse und die Apple Bluetooth-Tastatur benutzen kann, wann immer ich sie brauche. Mein Schreibtisch ist aufgeräumt, ich sitze auf meinem Wilkhahn Stuhl und schaue auf den externen Monitor. Mein Zen kommt von der Tatsache, dass ich weiß, wer mein Hausarzt ist und wo er sich befindet. Ich muss keine neuen Ärzte raussuchen und durchtelefonieren, ich habe das bereits 2017 etabliert.

Jetzt, wo ich zurück bin, kann ich endlich wieder Jahresabos für die BVG abschließen, langfristig planen und muss nicht mehr mit dem Gedanken leben, bald wieder umzuziehen.

Wenn ich nur daran denke, wieder irgendwelche Kisten zu packen und halbverschlossen ins Auto zu schleppen, das Internet ab- oder umzumelden, Untermieter zu suchen und meine wertvollsten Gegenstände wegzupacken, damit sie auch ja keiner zufällig mitnimmt, wird mir übel. Ich möchte keine Angst um das Gemälde meines Großvaters haben, wenn ich schlafen gehe.

Wie schlimm waren eigentlich die letzten zwei Jahre?

Ich bin nicht zur Ruhe gekommen. Weder privat, noch beruflich; ständig musste ich meine aktuelle Adresse an Kontakte versenden. Mein Verlag und meine besten Freunde wussten stellenweise nicht, wo ich mich gerade befinde. Ich auch nicht.

In meinem Kalender stand heimlich schon die nächste Abreisezeit, bevor ich mich auf eine Person einlassen konnte. „Ich bin dann sowieso weg ab November, keine Sorge“ schrieb ich ihm in dem Wissen, dass es mich noch unverfügbarer machte, als ich es ohnehin schon war.

Ich war diese Person, die sich aus dem Staub machte, die einfach wegging, wenn es ihr nicht mehr passte. Ohne Rücksicht auf Verluste, weder meine eigenen noch die der anderen.

Ich wollte mich zerreißen, wollte an zwei oder drei Orten gleichzeitig sein, und habe dabei Stück für Stück etwas aufgegeben, das ich für entbehrlich hielt. Meine Routinen. Diese mal mehr, mal weniger banalen Dinge, die das Leben umgeben, nachdem die Lohnarbeit vollbracht ist, nachdem der Besuch weg ist, während man alleine ist. Wer braucht schon Musikunterricht? Wer braucht ein Fitness-Center? Wer braucht eine Arbeitsgemeinschaft, einen Co-Working-Space? Wir sind doch spontan heutzutage, Generation Y, Generation Wohnortwechsel, Generation Flex Desc.

Doch wenn sich der Urlaub irgendwann nicht mehr wie ein Urlaub, sondern wie ein Umzug auf Zeit anfühlt, weißte Bescheid. Wer kein richtiges Zuhause hat, wer nicht mehr weiß, wo er die nächsten drei Monate verbringt (oder die Zahnbürste hingepackt hat), kann sich kaum auf ein AirBnB in Italien einlassen, wo der Müll jeden Tag anders getrennt wird. Denn dann erinnert dich ein Urlaub nicht mehr an Abenteuer, Erholung und Loslassen, dann ist die neue Umgebung nichts Schönes mehr, sondern ein weiterer Stressor. Ein Trigger. Eine Erinnerung daran, was du nicht hast.

Ein weiterer Ort, an dem ich mich neu einfinden und das WLAN-Passwort suchen muss; ein weiterer Ort, an dem mir meine Küchengeräte fehlen, mein Kleiderschrank, mein ePiano, meine Büchersammlung. Jedes Mal, wenn ich doch eines meiner Büche brauchte, konnte ich es nicht greifen.

Bei manchen Büchern weiß ich bis heute nicht, wo sie sind; bei anderen traue ich mich nicht nachzufragen, ob ich sie wiederhaben kann, dann kaufe ich sie mir lieber doch neu.

Ich habe Hosen verloren, sicher drei Stück; alle schönen, dicken Wintersocken, Obstkörbe, dieses eine Andenken aus Vietnam.

Der Gedanke daran, wieder aus Taschen, wieder aus meinem Auto zu leben, wieder eine Kiste mit „Winterschuhe Bianca“ zu beschriften und wegzupacken erinnert mich daran, wie instabil mein Leben seit der Pandemie war. Als ob ich damals versucht hätte, die Unruhe meiner Umwelt durch Wegziehen zu kompensieren; als ob ich dachte, ich könnte mich auf Reisen selbst beruhigen und die Kontrolle zurückgewinnen. Über meine Karriere, über meine Beziehungen, über alles, was mir Sorgen bereitete.

Auch meine Freundschaften haben gelitten.

Wer will schon mit jemandem befreundet sein, der ständig weg ist? Der zum nächsten Geburtstag wahrscheinlich schon wieder nicht da ist. Ich merke das auch an mir selbst: Menschen, die unzuverlässig und nicht verfügbar sind, werden von mir auch genauso behandelt. Ich kontaktiere sie selten, oder gar nicht.

Dass Routinen auch Freundschaften inkludieren, habe ich ignoriert. Ich dachte, wenn ich auftauche, wird schon jemand Zeit haben – aber es macht einen großen Unterschied, sich jede oder jede zweite Woche zu treffen, oder einmal in drei Monaten und kurz danach wieder wegzufahren; es fehlt die Tiefe, es fehlt das gemeinsame Durchleben der Ereignisse, alles was bleibt, ist eine Nacherzählung und so überliefert man dem einen Freundeskreis immer nur ein Fazit, das in der anderen Stadt getroffen wurde.

Is this settling?

Probably. Ich musste erst die ganze Palette an Unannehmlichkeiten sieben Mal hintereinander durchleiden, um mir das zu erlauben; ich musste erst völlig wahnsinnig und unglücklich werden, um zu sagen: Das ist es. Hier bleibe ich, hier geh ich nicht mehr weg.

Wenn ich neue Menschen kennenlerne, fällt es mir bereits auf. Dass ich diesen einen Satz sage, der mir früher nie über die Lippen gekommen wäre: Ich bleibe in Berlin.

Wo soll ich sonst hin, wo soll ich sonst leben? Ich habe mich für diese Stadt entschieden, weil es keinen Ort gibt, an dem ich mir mein Leben langfristig besser vorstellen könnte.

Langfristigkeit. Auch so etwas Neuartiges.
Aber irgendwo, irgendwann musste es ja beginnen.

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