No offense, aber jeder Millennial hat inzwischen diese Person im Bekanntenkreis, die einen auf Social Media und IRL irgendwie an die eigene Tante mit der seltsamen Frisur in den Neunzigern erinnert. Sie ist schrullig, hört Ed Sheeran und weiß nicht, wer Hunter Schafer ist. Nichts gegen Tanten, nichts gegen die Neunziger, aber wann sind Millennials SO VERDAMMT ALT GEWORDEN?

Kaum ein News-Outlet, keine Meme-Page, die nicht zwischendurch cringe-worthy Beiträge postet, in denen sich darüber bemitleidet wird, alt geworden zu sein. Am besten: verfasst von gelangweilten Millennial-Journalisten, die seit acht Jahren in Röhrenjeans beim selben, sterbenden Online-Medium hocken und zum Feierabend GIFs an Kollegen in Slack senden.

Aber … sind wir das wirklich: alt? Und zwar kollektiv?

Bin ich die Einzige, die damit nicht relaten kann? Beiträge wie „Gen Z make Millennials instantly look old“, „What we can learn from Gen Z“ aus Millennial-Perspektive und Co. haben mich natürlich über das Altern nachdenken lassen. Klar, mit Anfang 30 ist man nicht mehr Zielgruppe so mancher Brand und auch die Models sind plötzlich zehn Jahre jünger, als man selbst.

Ich erinnere mich noch gut an das Gespräch mit einer Freundin, die mit 28 das erste Mal Angst hatte, nicht mehr als Konsumentin angesprochen zu werden; die Angst bekam, nicht mehr fuckable zu sein, ja, an Relevanz zu verlieren. Und ich verstehe all diese Punkte. Altern ist in unserer Gesellschaft nach wie vor wahnsinnig negativ konnotiert, und Jugendlichkeit das Maß aller Dinge. Daran hat auch die Body-Positivity-Bewegung nichts geändert.

Trotzdem frage ich mich: Was genau macht Millennials so alt? Sind es die Foto-Posen (Peace-Zeichen auf Selfies)? Die Outfits (Stichwort: Low-Waist-Jeans vs. High-Waist-Jeans)? Die kulturellen Referenzen in Stories und Feed-Postings (Bridget Jones vs. Euphoria)? Ist Altern wirklich eine Frage der verstrichenen Geburtstage, oder nicht viel mehr eine Frage von Ästhetik und Zeitgeist? Hear me out!

#NotAllMillennials

Als Charli xcx (Jahrgang 1992) im Frühjahr 2024 ihr Album BRAT rausbrachte und ich relativ simultan tief in die dazugehörigen Musikvideos versank, hatte ich nämlich überhaupt nicht das Gefühl, dass mir hier eine Moni mit schlechtgeschnittenen Curtain-Bangs gegenübersitzt, die abends gerne vor dem Fernseher strickt und von Jüngeren abgehängt wurde.

Im Gegenteil: Charli xcx ist mit 31 auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit, ihrer Karriere und ihrer Aesthetics. Wenn sie mit langer, schwarzer Wallemähne Rotwein verschüttet, kann ich gar nicht anders, als sie anzuhimmeln. WHAT A GODDESS! Sie schmeißt Partys für ihre Clique und ihre Fans und hat überhaupt nicht vor, kürzer zu treten. Nichts an ihr ist: alt. Ihre Posen sind sehr Zeitgeist, ihre Outfits ebenso. Ihre Attitüde, so Brat Summer. Ich bin sicher, dass sich nicht nur Millennials angesprochen fühlten.

Selbiges gilt für FKA Twigs (Jahrgang 1988), die jeden verdammten Monat Trends setzt und … gefühlt jünger, und nicht älter wird. Ich liebe ihre aufwendigen Choreografien, ihren Mut, ihre Grazilität, ihren Aktivismus. Keine Sekunde denke ich mir: Oh, was für ein alter, bemitleidenswerter Millennial! Die hockt bestimmt freitagabends zuhause und schaut YouTube.

 

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Auch ein Blick auf den Insta-Account der ehemaligen Modebloggerin turned DJ und Berliner It-Girl Amelie Kahl (Jahrgang 1992, wenn mich nicht alles täuscht) zeigt: eine Person am Puls der Zeit, die keineswegs „alt“ ist, obwohl sie schon die böse, böse 30 überschritten hat. Ich liebe ihren Stil, ich liebe ihren Gesichtsausdruck und dass sie sich weiterentwickelt hat. Auch bei den Männern gibt es passende Gegenbeispiele zum cringe-worthy Boomer-Millennial. Machine Gun Kelly zum Beispiel, der genauso gut ein Berliner Szene-Zoomer sein könnte und immer noch so frech grinst, wie mit 22. Ich liebe seinen Habitus, seine Haute-Couture-Outfits, die Art, wie er sich bewegt und jedes Jahr neu erfindet.

Sie alle haben sich die Aesthetics und Posen des Jahres 2024 angeeignet – ob sie nun von Gen Z, der Fashion-Industrie oder dem kollektiven Internet-Mash vorgegeben werden. „Altern“ ist also weniger eine Frage der verstrichenen Jahre, der Kerzen auf der Torte, der Falten um die Augen – und viel mehr eine Frage des Trendbewusstseins und Lifestyles geworden.

Es gibt definitiv Millennials mit einem sehr klaren Sense of Fashion, mit eigenem Stil, mit Grace. Und ich weiß nicht, ob sie wirklich die Ausnahme bilden, oder ob Menschen mit einem sehr klaren Sense of Fashion, mit eigenem Stil, mit Grace generell die Ausnahme bilden. Egal, welchen Alters.

Fair enough: Stars, Influencer, Internet-It-Girls altern nicht wie “normale” Millennials, die womöglich nicht die finanziellen oder zeitlichen Ressourcen haben, um sich einen 2024er-Look zusammenzustellen. Aber: Altern tun auch die, die so gar nicht mit der Zeit gehen; die ignorant werden, keine neue Popkultur konsumieren und in ihrer eigenen Suppe schwimmen. Also: Das tun, was dem „Älterwerden“ als Prozess zugeschrieben wird. Und ja, das ist zum Teil sehr wohl auch eine persönliche Entscheidung.

Und, so leid es mir tut: Zu einem gewissen Teil altern auch die schneller, die Kinder bekommen, traditionelle Lebenswege einschlagen und sich zurückziehen müssen. Ich merke persönlich einen großen Gap zwischen den Eltern in meinem Umfeld, und mir. Ich lebe das Leben einer 25-Jährigen (mit mehr Geld, Status und Privilegien), während sie bereits dran sind, eine völlig neue Generation großzuziehen. Kein Wunder fühlen sich Millennial-Eltern alt. LOL?

Milieu, das

Wenn von alternden Millennials die Rede ist, dann doch auch von einem bestimmten Milieu. Ein Milieu, das eher häuslich ist, nicht gerne feiert und sich nostalgisch in einem Internet-Potpourri der Vergangenheit bewegt und daran festklammert. Es sind Millennials, die schon mit 25 davon sprachen, dass die besten Zeiten vorbei seien und jetzt alles den Bach runtergeht; Menschen, die Angst davor haben, zu altern, weil sie schon alt sind. Manche von ihnen, da bin ich sicher, wurden alt geboren.

Ich muss an eine Erfahrung letzten Winter denken, als ich bei einem temporären Gig eine Frau (Jahrgang 2001) kennenlernte. Sie wohnte am Land, fuhr jeden Tag mit den Öffis in die Arbeit und fürchtete sich vor den Ausländern in der Großstadt – vor allem fürchtete sie sich vor dem Bezirk, in dem ich wohnte.

Es war ein bisschen lächerlich. Und ich kam mir plötzlich sehr, sehr jung vor, obwohl ich zehn Jahre älter bin, als sie. Ihr Leben lag gefühlt bereits hinter ihr, bevor es angefangen hatte.

Sie interessierte sich nicht für Festivals oder Mode und ging am liebsten jeden Tag um 21 Uhr schlafen, nachdem sie mit ihren Eltern zu Abend aß.

Was diese anekdotische Evidenz mit dem Thema zu tun hat? Alles. Denn diese Gen-Z-Vertreterin ist mindestens genauso alt, wie der älteste, lebende Millennial.

Ich bleibe dabei: Nicht alle Millennials sind alt, und nicht alle Gen Z sind hip und trendig. Es sind die feinen Unterschiede im Milieu, im kulturellen Kapital, in der zur Verfügung stehenden Zeit und ja, auch in der Persönlichkeit und unserem „Familienalltag“, die unser echtes und subjektiv wahrgenommenes Alter und unsere Social-Media-Präsenz definieren. Wer Kinder großzieht und einen Kredit abbezahlt, ist viel “älter” als jemand, der mit 34 noch in einer Vierer-WG wohnt und wenig Verantwortung übernimmt.

Auch ich cringe bei so manchem Millennial-Content, obwohl ich selbst Millennial bin. Weil es sich seltsam anfühlt, plötzlich von … älteren Menschen umgeben zu sein, die in meinem Alter sind. Aber gefühlt nicht so sind, wie ich.

Mal abgesehen davon, dass wir unbedingt darüber sprechen müssen, ob es überhaupt legitim ist, die Dreißiger als eine Epoche abzuhacken, in der Menschen bereits als “alt” gelten.

Fazit

Vielleicht gibt es nur zwei Arten von Millennials: die, die mit Anfang oder Mitte 30 zu Boomern konvertieren, Gartenpartys hosten und die Musik beim Rückwärtseinparken leiser drehen. Und die, die nicht vorhaben, langsamer zu machen, jetzt nochmal richtig los- und nachlegen, die bemerken, dass sie die besten Jahre noch vor sich haben und nicht hinter sich, die optimistisch und offen bleiben.

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