Don’t get me wrong, ich liebe Nicole Kidman aber manchmal frage ich mich, ob es nicht mal um etwas anderes gehen könnte als das Innenleben einer weißen Oberschichtsfrau in ihren Fünfzigern. So viele Geschichten, die man erzählen könnte; so viele Leben, die noch nicht unzählige Male on screen repräsentiert wurden.
Und dann kam Expats – eine Amazon-Prime Miniserie über drei Frauen in Hongkong, die unterschiedlicher nicht sein könnten und es tatsächlich schafft, nicht das gesamte Budget in Nicole Kidmans Storyline zu verblasen (obwohl ihre Produktionsfirma Blossom Films beteiligt ist). Das liegt sicherlich auch daran, dass das Projekt auf dem 2016 erschienenen Beststeller „The Expatriates“ von Janice Y. K. Lee. beruht. Regisseurin Lulu Wang setzte diese Romanvorlage schließlich in einer Miniserie um.
Margaret, Hilary und Mercy
Um wen geht’s? Wir haben die fürsorgliche Amerikanerin Margaret Woo (Nicole Kidman), die mit ihrem Mann und drei Kindern ein nahezu perfektes Expat-Leben führt – bis ihr jüngster Sohn auf dem Night Market entführt wird.
Im selben Gebäudekomplex neben Margaret wohnt die Punjabi-Amerikanerin Hilary Starr (Sarayu Blue), geboren als Harpreet Singh, die mit ihrem alkoholabhängigen Ehemann um das Fortbestehen ihrer Ehe kämpft.
Und dann gibt es noch Mercy Cho (Ji-young Yoo), eine junge Koreanerin ohne Familie, die nach ihrem Studienabschluss vor anderthalb Jahren nach Hongkong kam, um sich selbst zu beweisen, dass sie nicht verflucht ist.
Pech nur, dass ausgerechnet Mercy daran Schuld haben wird, dass Margarets Sohn verschwindet. Hätte sie bloß nicht aufs Handy geschaut, um sich von einer Bekanntschaft Tipps im Umgang mit Upper-Class-Wives zu holen, deren Kinder man gegen Geld sitten möchte.
Dramaturgisches Fingerspitzengefühl
Jede der sechs Folgen ist in sich einzigartig und wirft einen neuen Blickwinkel auf das Geschehen. Mal gibt es literarische Prologe über lebenslange Schuldgefühle, mal einen radikalen Perspektivwechsel. Obwohl die drei Frauen mit ihren eigenen Problemen kämpfen, sind ihre Geschichten fest miteinander verbunden.
(ACHTUNG SPOILER) Margaret und Hilary waren einmal Freundinnen, heute grüßen sie sich nicht mehr im Aufzug. Mercy schläft mit Hilarys Mann, ohne, dass die das wüsste – und hat jeden Tag ein schlechtes Gewissen wegen Margarets Sohn, dessen Hand sie am Night Market im Stadtteil Mongkok für eine Sekunde losließ.
Lulu Wang beweist mit Expats absolutes Fingerspitzengefühl, wenn es darum geht die feinen Nuancen von Verlust, Heimweh und Hoffnungslosigkeit zu zeichnen.
Nie fühlt sich ein Dialog erzwungen, keine Pause zu lang, keine Gesichtsregung übertrieben an. Meine liebsten Momente sind die Szenen, in denen den Protagonistinnen bewusst wird, was gerade geschehen ist.
Der Moment, als Hilary von ihrer Haushaltshilfe Puri erfährt, dass Mercy ein Kind von ihrem Mann erwartet. Der Moment, als Margaret eine Leiche identifizieren soll, und merkt, dass es nicht ihr Sohn ist. Der Moment, als Mercy realisiert, dass David Alkoholiker ist und sich nicht um sie kümmern wird. (SPOILER ENDE)
Expats ist großes Drama mit großen Gefühlen, und ich habe jede Minute der Serie genossen, ab und zu sogar ein bisschen Tränen vergossen.
Ja, die imposanten Regenstürme in Hongkong, gepaart mit schlimmen Trennungen und ungewollten Schwangerschaften haben mich als Zuseherin sichtlich mitgenommen.
Manchmal habe ich mich gefragt, wer der drei Frauen es jetzt eigentlich am schlimmsten hat? Obwohl zwei der drei in luxuriösen Apartments mit Ausblick wohnen, scheinen sie doch zutiefst unglücklich zu sein. Es ist die Maskerade, die anstrengt. Margaret muss trotz des immensen Verlustes Fassung vor ihren zwei anderen Kindern und ihrem Ehemann Clarke wahren. Mercy muss trotz Anxiety und Schuldgefühlen ihren Catering-Job behalten, um die Miete zu bezahlen. Hilary muss sich vor ihrer übergriffigen Mutter dafür rechtfertigen, ihren Mann zu verlassen. Jetzt, wo sie bald 40 ist!
Die Marginalisierten
Wer jetzt denkt, dass sich die Serie hauptsächlich um die High-Society-Dramen der gutbetuchten Expats im Stadtteil Victoria Peak dreht, wird spätestens in Episode fünf überrascht.
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Wang schafft es geschickt, immer wieder jene Leute ins Rampenlicht zu rücken, die das luxuriöse Leben der Expats überhaupt erst möglich machen: die Helferinnen.
Nehmen wir zum Beispiel Puri (Amelyn Pardenilla), die bei den Starrs für Ordnung sorgt. In der letzten Folge lernen wir sie auch als Mensch kennen, der eigene Hoffnungen und Träume hat.
Als Hilary von ihrem Mann verlassen wird, muss Puri sich mit ihrer Chefin betrinken und so tun, als ob sie nicht wüsste, dass am nächsten Morgen nichts vom weingeschwängerten Geplänkel ihrer Chefin („Du musst für dich einstehen, Puri“) übrig sein würde. Besonders stark ist die Szene, als die verkaterte Hilary Puri morgens zu sich ins Zimmer ruft, um ihre Frühstücksbestellung aufzugeben – obwohl Puri eigentlich zu einem Gesangswettbewerb wollte.
Wir lernen auch die Haushaltshilfe der Woos – Essie (Ruby Ruiz) – besser kennen, die Margaret seit der Geburt ihres Sohnes Gus unter die Arme greift und ihre eigene Familie auf den Philippinen seit Jahren vernachlässigt. Es ist mehr als nachvollziehbar, dass Essie inzwischen ein enges Verhältnis zu den Woo-Kindern aufgebaut hat – und sich nicht so einfach von ihnen trennen kann. Der Verlust von Gus hat auch Essie schwer getroffen, die ihn von klein auf begleitet hat.
Fazit
Wer keine Lust auf eine weitere stupide, vorhersehbare Serie über Dating und Sex in New York hat, sollte sich Expats ansehen. Dass sie im Januar prämierte, ist sicherlich kein Zufall. Expats passt mit seinen düsteren, bedrückenden Vibes perfekt in den Winter der DACH-Region.
- Interview mit Sarayu Blue über ihren Weg in die Schauspielerei: With ‘Expats,’ Sarayu Blue Firmly Plants Her Flag (IndieWire)