Wer mich kennt, weiß, dass ich eigentlich auch sehr gerne Musikerin “geworden” wäre. Deshalb passiert es relativ selten, dass ich deutsche Texte höre und mir denke: Verdammt, ist das gut. Hat da jemand meine Gedanken zur kapitalistischen Arbeitsmoral gelesen und in Songtexte umgewandelt?

So erging es mir letztens jedenfalls mit der österreichischen Band Bipolar Feminin, die gerade durch Deutschland tourt und die Crowd mit ihrer Gesellschaftskritik zum Ausrasten bringt. Heute noch Szene-Tipp, könnte der Band schon bald der vielzitierte, “große Durchbruch” gelingen. Doch halt, wollen sie das überhaupt?

Nachdem ich das Debüt-Album “Ein fragiles System” (VÖ: 19.05, Buback Records) also sieben Mal durchgehört hatte, habe ich die vier Musiker:innen spontan für ein Interview angefragt. Und siehe da, es hat geklappt.

Ich wollte von Bipolar Feminin wissen, warum Rock und Punk plötzlich wieder so räsoniert, wo Leni ihre Texte schreibt und ob die Bande als eine Art Anti-Work-Band zu verstehen ist.

Enjoy!

* * *

Liebe Band, erstmal Herzlichen Glückwunsch zu den ausverkauften Konzerten und dem Aufschwung, der euch gerade in die Ohren neuer Fans trägt. Woran liegt das, dass eure Musik so räsoniert?

Danke, das ist schon was! Vor vollem, oder fast vollem Haus zu spielen ist schon nochmal ein ordentlicher Push für uns bei Konzerten.

Ja gute Frage, vielleicht liegt es zu einem Teil an unserer Fähigkeit, für den Moment eine Bindung mit dem Publikum oder den Leuten, die unsere Musik hören aufzubauen. Und wir wollen auch auf eine Weise unterhalten, das kann schon Aufmerksamkeit erregen.

Steile These, aber sind wir vielleicht nach einem knappen Jahrzehnt der ähnlich klingenden Beats wieder in der Zeit der „echten Musik“ angekommen, wo sich Menschen nach greifbaren Musikerinnen sehnen, die ihre Instrumente noch analog bedienen können?

Einerseits nehmen wir es schon so wahr, dass Rock und Punk Musik wieder populärer werden, andererseits waren diese Musikrichtungen ja nie unpopulär. Außerdem ist alles echte Musik. Dieses Buhlen um Authentizität und „wahres“ musikalisches Können ist für uns kein Thema. Wir können keine Beats kreieren. Wir sind aber auch Fan von nicht analoger Musik!

Ein fragiles System ist euer erstes Album. Es geht um Faulheit, Nichtstun, Protest, Völlerei und den Alkoholpegel der österreichischen Bevölkerung. Hattet ihr zwischendurch Angst, dass die Themen zu hart sind für den großen Durchbruch?

Unser Ziel ist nicht der große Durchbruch. Vor allem, weil wir auch nicht wirklich wissen, was denn dieser große Durchbruch ist. Wir haben Wünsche und Ideen, aber in erster Linie machen wir Musik, weil wir Lust am gemeinsamen Arbeiten und Zeit verbringen haben und Musik lieben. Und so hart nehmen wir unsere Musik auch nicht wahr.

Woher nimmst du, Leni, die Inspiration für deine Texte? Und, wo schreibst du sie? Und sag jetzt bitte nicht ganz normal auf deinem Schreibtisch, haha.

Ich werde wirklich unmittelbar von meiner Umgebung inspiriert, oder eben auch nicht haha. Oft davon, was Menschen sagen, wie sie sich verhalten, was sie erlebt haben.

Ja und dann auch durch meine Emotionen und gesellschaftliche Zustände, die ich ablehne. Aber auch Situationen, in denen ich war, die ich beobachtet habe.

Ich schreibe überall, versuche im Moment aber gezielt Plätze zu finden, damit ich mehr Regelmäßigkeit in mein Schreiben bringe. Es ist ein Versuch. Deshalb war ich letztens zum Beispiel im Robert Musil Gedenkzimmer. Das befindet sich nämlich im Büro der Grazer Autor:innenversammlung GAV. Es war aber wenig erfolgreich, weil ich jopa jotakin dort besucht habe und immer wissen wollte, was gerade im Nebenraum, in Jopas Büro, passiert.

Besonders gut gefällt mir der Track „Tüchtig“. Ich muss tüchtig sein, ich muss tüchtig sein. Den Refrain hab ich schon im Stau richtig laut mitgebrüllt, während ich gegen das Lenkrad geschlagen habe. Du singst: „In deinem Wertesystem hab‘ ich keinen Platz“ – in dieser Zeile steckt so viel Widerstand, aber an wen genau richtet sie sich eigentlich?

Der Ursprung des Songs richtet sich an eine Einzelperson. Vor allem diese Zeile. Wie es aber so ist, verändert sich auch meine Wahrnehmung und meine Gedanken zu einem Song nach genauerer Auseinandersetzung.

Ich denke mir nun auch immer wieder, diese Zeile richtet sich an mich selbst.

Oder an ehemalige Arbeitsstellen ja und dann kommen mir manchmal die großen Gedanken und dann richtet es sich an politische Einstellungen, an das Spießer:innentum, an den Kapitalismus, die Welt.

Auch die Zeile „Das Erstbeste ist für mich genau richtig“ hat mich sehr abgeholt, weil wir in unserer Konsumgesellschaft ja stets dazu angehalten werden, weiterzusuchen, Ausschau zu halten nach etwas „Besserem“. Ist der Track „Tüchtig“ eine Aufforderung an uns alle, uns hinzusetzen und einfach mal zu chillen?

Es ist keine gezielte Aufforderung. Es ist mehr ein Klarkommen mit meiner Umgebung. Mir ist diese Zeile eher als Vorwurf bekannt. So individuell sind meine Gefühle und Erlebnisse aber eben nicht, dahinter stecken oft gesellschaftliche Begebenheiten und Prägungen. Zum Beispiel eine kapitalistische Arbeitsmoral, ein suboptimales Bildungssystem.

Leni, wie geht es dir als Frontfrau (sagt man das noch so? lol) einer Band im Jahre 2023. Gibt es etwas aus den letzten zwölf Monaten, das dich überrascht hat – sowohl positiv, als auch negativ – dass du an dieser Stelle teilen möchtest?

Ich glaube Frontfrau ist nicht mehr so aktuell, ich hab aber noch keinen Begriff gefunden, den ich mag, der meine Position in der Band beschreibt. Sängerin und Gitarristin der Band finde ich aber in Ordnung.

Überrascht hat mich wenig.

Das liegt aber glaube ich daran, dass ich mir viele Szenarien im Vorhinein schon ausführlich vorstelle, oder eher die Erwartungen niedrig halte.

Ich habe aber viel Positives erlebt! Viele Menschen haben mich respektvoll behandelt, oft sind die Menschen rund um uns extrem umsichtig und zuvorkommend. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass mir wenig Sexismus begegnet, weil die Leute vorsichtig sind in meiner Umgebung. Sie wollen, dass ich sie mag, damit sie sich feministisch fühlen können. Aber ich bin halt auch nicht der feministische Gral. Vielleicht fürchten sie sich, weil ich immer das Messer griffbereit habe. Außerdem kommen die Leute eher zu mir, wenn ihnen etwas gefallen hat, und nicht weil sie scheiße sein wollen, oder uns scheiße fanden.

Ich weiß nicht, ob ich das fragen darf, aber arbeitet ihr eigentlich zwischendurch noch wie „normale“ Bürger oder habt ihr euch mittlerweile komplett der Musik verschrieben?

Wir arbeiten, sind lohnarbeitslos und studieren. Jakob ist Biologe, Samu studiert Philosophie und ist auch wo angestellt, Max ist Filmvorführer und Leni ist beim AMS – also arbeitslos und ist auch im Organisationsteam des Pink Noise Camp in Hollabrunn. Eigentlich ist sie aber Kindergartenpädagogin.

Kann man das so sagen, dass Bipolar Feminin als eine Art Anti-Work-Band zu lesen ist? Und: Welche politische Verantwortung trägt man mit der steigenden Bekanntheit als Band?

Wir finden eine Art von Arbeit schon wichtig. Es muss aber nicht unbedingt die klassische Lohnarbeit sein und wir sind gegen Ausbeutung. Uns gehts gut, wenn wir was Sinnvolles zu tun haben.

In unserer Wahrnehmung hat jede Person als Teil der Gesellschaft eine politische Verantwortung.

Vielen Dank für das ehrliche Interview. Wenn ihr Bipolar Feminin live sehen wollt, schaut doch mal, ob es noch Tickets in eurer Stadt gibt.

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