Es passiert selten, dass ich mir nach einer Podcast-Episode ein Presse-Exemplar bestelle, aber im Falle von Lauras Beitrag im Lila Podcast war das tatsächlich der Fall. Denn sie hatte die Soziologin Silke Ohlmeier zu Gast, die zum Thema Langweile forscht – und das war so gar nicht langweilig (haha). Nein, im Ernst, ich habe gar nicht gewusst, wie komplex Langeweile ist.
Ja, es herrschen geradezu Mythen, wenn es um das Thema geht.
„Nur langweilige Menschen langweilen sich.“
„Langeweile fördert doch die Kreativität!“
„Sei froh, wenn dir auf der Arbeit langweilig ist! Besser, als gestresst zu sein!“
Und genau diese Mythen entkräftet Ohlmeier mit ihrer Forschung. Zum Thema kam sie übrigens, weil sie sich in ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau so sehr langweilte, dass sie beschloss: So kann es nicht weitergehen mit meinem Leben. Ich möchte etwas tun, das mich erfüllt und geistig beschäftigt. „Leider konnte ich mein ungutes Bauchgefühl damals noch nicht richtig deuten und war außerdem noch viel zu feige, um abzubrechen“, schreibt Ohlmeier. „Also habe ich lieber die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen und auf Besserung gehofft. Woche um Woche, Monat um Monat. Aus heutiger Perspektive schwer nachvollziehbar, habe ich drei Jahre durchgehalten. Ich habe meine Ausbildung mit mittelmäßiger Note abgeschlossen und während dieser Zeit nahezu alle Facetten der Langeweile kennengelernt.“
Witzigerweise sah ich da meine erste Parallele zu Ohlmeier, denn auch ich habe im Alter von 16 Jahren ganz bodenständig erstmal ein Praktikum bei einem Tabakkonzern begonnen, wo ich mich so langweilte, dass ich beschloss, nach meiner Matura Publizistik zu studieren. Auch, wenn mir mein Vater heftig davon abriet und Freunde über mich lachten. Denn: Was würde ich bitteschön damit tun? (Äh, look at me now. 😉) Typisch Working-Class eben. Da macht man lieber erstmal etwas Ordentliches.
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Silke Ohlmeier hat ein sehr, sehr gutes Buch geschrieben, das genau die richtige Mischung aus persönlichen Essays und Forschungsstand bietet. Das gibt es nicht allzu oft: Wissenschafterinnen, die ihr Thema so niederschwellig und interessant präsentieren können, dass auch Nicht-Expertinnen mitkommen – und sich nicht gelangweilt abwenden (hust). Entschuldigung, die Langeweile-Witze sind eigentlich gar nicht so korrekt, denn Ohlmeier musste sich für ihr Forschungsgebiet immer wieder rechtfertigen. Kolleginnen rieten ihr, sich ein anderes Gebiet zu suchen, Journalistinnen nahmen sie nicht ernst und zitierten ihre Erkenntnisse immer wieder falsch.
„Ob Freund*innen oder Journalist*innen, für sehr viele Menschen scheint der Zusammenhang zwischen Kreativität und Langeweile das Einzige zu sein, das sie an meiner Forschung interessiert.“
Silke Ohlmeier
Schließlich ist es einfacher zu sagen: „Langeweile macht sehr wohl kreativ“, als zu sagen: „Langweile kann bei gewissen Menschen mit gewissen Neigungen Kreativität fördern“. Bei mir zum Beispiel, da ich von Haus aus ein sehr kreativer Mensch bin, der sich – bei zu viel freier Zeit – ans Klavier setzt, „Take Me To Church“ von Hozier lernt und dazu singt oder anfängt, eine Rezension wie diese schreiben. Gib mir Zeit, gib mir genug Langeweile und ich mache etwas Schönes daraus. Bei anderen Menschen muss das nicht unbedingt zutreffen. Wer sonst auch nicht schreibt oder musiziert, wird nicht automatisch bei Langeweile damit anfangen.
„Wer über vergleichsweise wenig Macht, Geld, Bildung, Ansehen und Kontakte verfügt, für die*den ist es schwerer, gesellschaftlich als erstrebenswert definierte Ziele zu erreichen“, schreibt Ohlmeier. Und das gilt nicht nur fürs Privatleben, sondern ganz besonders auch fürs Arbeitsleben. „Kaum jemand möchte einen langweiligen Job machen, aber je nachdem, wie ich meine Chancen auf einen spannenderen Job einschätze, arrangiere ich mich mit der Langeweile oder eben nicht. Sie ist dann der Preis, den ich dafür zahle, wiederum meine Miete zahlen zu können. Nicht immer zeigt sich die Marginalisierung dabei direkt und plakativ.“
Silke Ohlmeier verleiht der Langeweile mit ihrem Buch eine dringend benötigte politische Dimension, indem sie race, class, gender und auch ableism in ihre Analysen einwebt.
Erst durch Ohlmeier habe ich erfahren, dass uns Langeweile nicht alle gleich betrifft. Und, dass Langeweile auch zu Gewalt führen kann. Langeweile ist also nicht so toll, wie ihr Ruf, und hat im Grunde wenig bis gar nichts mit Erholung, Muße oder Nichtstun gemein. Auch hier differenziert Ohlmeier genüsslich und zeigt uns anhand konkreter Beispiele, wo die Unterschiede liegen.
Wer sich jetzt fragt. „Okay, aber was genau ist eigentlich Langeweile“, dem sei die Definition vom psychologischen Langeweileforscher John Eastwood ans Herz gelegt. Langeweile ist die „aversive Erfahrung, einer befriedigenden Tätigkeit nachgehen zu wollen, es aber nicht zu können.“ Übersetzt heißt das, dass sich die Langeweile unangenehm anfühlt und einen Widerwillen hervorruft. Die betroffene Person will nicht in diesem Zustand bleiben. Will sie es doch, handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht um Langeweile im Sinne dieser Definition, sondern um Entspannung.
So, und wer jetzt mehr erfahren möchte, der sollte sich das Buch kaufen. Denn, sorry, besser als Silke Ohlmeier kann ich über das Thema leider nicht informieren.
Gratulation zum Release! Auf dass uns die Langeweile so selten wie möglich kalt erwischt, wenn wir eigentlich etwas Spannendes erschaffen wollen.