Nach einer Stunde, in der ich verzweifelt versuche mich am Hotelpool aufs Schreiben zu konzentrieren, gebe ich das Remote Arbeiten in Tenerife auf. Der Wind geht so stark, dass ich mein Macbook festhalten muss, damit es nicht vom Tisch fällt.
Die Sonne knallt mir in den Nacken – und es gibt keinen Schattenplatz. Warum ich überhaupt hier am Pool sitze? Vor unserer Wohnung ist – genauso wie bei den anderen beiden Wohnungen zuvor – mal wieder eine Baustelle, die durch die undichten, spanischen Fenster dröhnt.
Home-Office? Fehlanzeige.
Selbst mit Noise-Music kann ich mich zuhause nicht konzentrieren. Also spazierten wir kurzerhand zu einem Hotel am anderen Ende der Stadt, das ich die Tage zufällig entdeckte, um uns dort so unauffällig wie möglich mit unserem Handgepäck einzunisten. Ein Trick, den ich von meiner osteuropäischen Mutter gelernt habe.
Ganz schön dreist, ganz schön wirksam. Mit Mama habe ich schon so manch 5-Sterne-Hotel unsicher gemacht, ohne wirklich dort zu wohnen. Mit unserer selbstbewussten Art, die Lobby wie Zarinnen zu betreten, haben wir es in die Häfen der Superreichen geschafft und Sonnenuntergänge gesehen, die eigentlich gar nicht für unsere Augen bestimmt waren. Ich nenne das: Luxuskampf von unten.
Zurück zum Setting. Kein 5-Sterne-Hotel, sondern untere Mittelklasse. Die Fassade könnte einen Anstrich vertragen, die Geländer strahlen in einem knalligen grün, das entfernt an Schimmel erinnert. Aber der Pool ist cool. Der Pool, der macht sich gut auf Fotos. Nachdem ich es aufgegeben habe, draußen bei Sturmböen von 100 km/h an meinem Buch zu schreiben, verlagere ich meinen Arbeitsort nach drinnen in die Restaurant-Bar. Einen Versuch ist es wert. Ich stelle mein Macbook auf einem bröseligen Tisch beim Eingang ab.
Die Kellnerin fragt, ob ich etwas trinken möchte. Softdrinks hätten sie nicht. „Only Alcohol“, lacht die Anfang-Zwanzigjährige mit stark geschminktem Gesicht. „Then I’m fine“, sage ich und widme mich wieder meinem Word-Dokument.
Remote arbeiten? Ich hänge. Mal wieder.
Das Arbeiten in Teneriffa ist für mich viel schwieriger, als gedacht. Ohne Co-Working-Space bleibt es zu großen Teilen eine Zumutung, weil ich oft als Einzige an Orten sitze, an denen andere die Auszeit ihres Lebens zelebrieren.
Um 12:10 – exakt zehn Minuten nach Öffnung der Bar – sehe ich eine Frau aus dem Augenwinkel zur Bar gehen. Da es nur Alkohol gibt, bin ich wenig verwundert über ihre alkoholische Bestellung. Ich höre, dass ihr die Kellnerin irgendeinen billigen Prosecco andreht, woraufhin die Frau auf Schwäbisch antwortet: „Ach, hier bin ich im Urlaub, im Urlaub muss ich nicht aufs Geld schauen.“
Ich, ich bin nicht im Urlaub, ich bin theoretisch am Arbeiten und kann es nicht ganz glauben, dass diese Frau und ich gerade dieselbe Luft atmen, dieselbe Poollandschaft genießen, dasselbe Leben leben. Naja, mit ein paar Promille Unterschied.
Was diese Frau wohl bereits alles erlebt hat? Ich beobachte sie aus der Ferne. Auf der Liege neben ihr liegt kein Handtuch. Wie es scheint, ist sie alleine hier. Sie hat hellblond gefärbte, kurze, glatte Haare, ihr Körper ist braungebrannt. Sie trägt einen bunten Bikini, aber kein Lächeln. In einer Hand hält sie das Glas Prosecco, leicht von sich gestreckt, und starrt in die Luft.
Es ist kein zufriedenes, kein warmes Starren, sondern ein verwirrtes. In ihren Augen liegt eine Kälte, die keine Zuversicht ausstrahlt. Ich wüsste gerne, was sie bei der Bundestagswahl ankreuzt, ob sie hier jedes Jahr überwintert, ob sie sich gerade von ihrem Mann getrennt hat und deshalb bereits um 13 Uhr das zweite Glas Prosecco bestellt, oder ob es ganz einfach ihre Version eines Good Life, eines way of living ist.
Vielleicht tue ich ihr auch unrecht, wahrscheinlich ist sie sogar sehr zufrieden, jetzt wo sie hier ist, warum sollte sie nicht zufrieden sein. Jetzt, wo sie ihre Rente in die spanischen Prosecco-Gläser investieren kann, um den ganzen Tag am Pool zu liegen, um nichts zu tun. Wenn sie Kinder hat, dann hat sie sicherlich die letzten dreißig Jahre genug getan, wenn sie einen durchschnittlich faulen Ehemann hatte, sowieso.
Da ich nicht schreiben kann, beobachte ich. Ich beobachte die Paare, die hier auf den Liegen liegen und nicht miteinander sprechen.
Das Paar direkt neben mir ist Ende 70 und komplett angezogen, obwohl es mindestens 27 Grad hat. Der Mann trägt Socken in Sandalen und blättert in einem Reiseführer über die Kanaren.
Den Booze holen meistens die Männer, so, wie ich das von früher kenne. Sie kaufen zwei oder mehrere Drinks an der Bar, klemmen sich die Gläser zwischen die großen Pratzen, gehen wie mit eingeschissenen Hosen ganz langsam auf die Frau ihrer Wahl zu und hoffen, dass die Gläser bis dahin nicht überschwappen. Danach stellen sie ein Glas neben der Frau ab, warten auf ein „Dankeschön, Schatz“ und setzen sich mit dem anderen Glas auf ihre eigene Liege, um in einer Automobilzeitschrift zu blättern.
Warum sind sich Menschen eines gewissen Alters aus einer gewissen Klasse nur so ähnlich?
Meine Freundin und ich sind die einzigen Menschen unter 50. Die überwiegende Mehrheit hier und auch außerhalb dieses Hotels, ist über 65, vermutlich schon Nahe der 70. Was mich stört, ist nicht ihre Anwesenheit, sondern ihr Alkoholkonsum. Ihr way of living, der mich an konsumorientierten Massentourismus in einem All-Inklusive-Hotel erinnert. An Berge von Essen, die weggeschmissen werden. An Vordrängeln und Wegnehmen, an Raumeinnehmen und Dinge für selbstverständlich halten. An das Privileg der Ignoranz.
Obwohl ich keine pedantische Nicht-Trinkerin bin, weiß ich aus beruflichen Gründen gut über die Symptome einer mittelstarken Alkoholsucht Bescheid. Es ist nicht nur die Menge, die eine Sucht charakterisiert, sondern auch die Regelmäßigkeit. Die Selbstverständlichkeit, mit der eine Substanz konsumiert und in den Alltag verwoben wird.
Ich muss hier kein Digital Nomad Paradies vorfinden, aber auf la Isla Alcoholica war ich dennoch nicht vorbereitet.
Ich bin traurig, dass die blondgefärbte Frau bereits um 12 Uhr Alkohol bestellt. Ich habe Empathie für diese Frau, aber ich empfinde auch Mitleid. Mitleid für die scheinbare Abwesenheit von Hobbys. Mitleid für die Sinnlosigkeit ihres Alltags und Mitleid für ihre Seele, die sich nach echter Ruhe und Zufriedenheit sehnt, die sich auch nach dem vierten oder fünften Glas mit Sicherheit nicht einstellen wird.
Ich klappe mein Macbook zu, und gehe zurück in die Wohnung. Hoffentlich hat die Baustelle bis dahin aufgehört.