Disclaimer: Ich habe mich nie an der Henri-Nannen-Schule beworben.
„Uiuiuiuii“, war mein erster Gedanke. „Was machen denn die ganzen stolzen Henri-Nannen-Schüler jetzt, wo diese Doku raus ist?“
STRG_F hat am 10. Mai eine investigative Recherche über Henri Nannen – Gründer des Magazin STERN – rausgebracht, die Nannens selbstgerechte „Ich war ein seriöser Journalist“-Autobiografie ziemlich durchwirbelt. Denn obwohl der Mann ganz gerne demütig über seine Vergangenheit gesprochen hat, machte er dabei immer einen großen Bogen um ein ganz besonderes „Kapitel“: Seine Vergangenheit während des Nationalsozialismus nämlich.
Die Propagandaeinheit “Südstern” versuchte 1944 mit antisemitischen und rassistischen Flugblättern an der Italienfront den Feind zu beeinflussen. Amerikanische Soldaten sollten bewusst verwirrt werden, wofür Slogans wie „A rich man’s war, a poor man’s fight“ verwendet und mit antisemitischen Zeichnungen illustriert wurden. Reporter Han Park und Gunnar Krupp besuchten Bibliotheken und Archive in deutschen Städten (Berlin, Freiburg), um den Südstern-Chef ausfindig zu machen, der laut mehreren Quellen – ÜBERRASCHUNG – Henri Nannen heißt.
Wie kann es sein, dass ein Mann, der für Nazipropaganda verantwortlich war, dennoch zur Ikone des deutschen Journalismus werden konnte?
Die (kurze) Antwort: Um seine Unschuld zu erklären, musste Nannen alle Beschäftigungen angeben – vor allem die militärischen. Seine Arbeit beim Südstern hat er bewusst weggelassen, und konnte so zum Star des deutschen Journalismus aufsteigen. Er wurde entlastet und hat daraufhin seine erste Zeitungslizenz erhalten – der Beginn seiner verlegerischen Karriere.
Aber es wird noch schöner.
1978 heckten Henri Nannen (noch Chefredakteur des Stern) und Manfred Fischer (Vorstandsvorsitzender von Gruner+Jahr), die Idee aus, eine Journalistenschule ins Leben zu rufen. 1983, zu Henri Nannens 70. Geburtstag, wurde der Hamburger Journalistenschule der Ober- und Ehrentitel „Henri-Nannen-Schule“ verliehen. Dass Nannen dies als Ehrung verstand, sei wiederum eine Ehre für die Schule gewesen.
„Das Geld haben wir, ein Zeichen setzen wollen wir; auch sollten wir versuchen, den Nachwuchs für unsere Zeitschriften selbst heranzubilden, statt ihn von fremden Redaktionen abwerben zu müssen. Vor allem aber wollen wir eine Ausbildung anbieten, die gründlicher und umfassender ist als in den Redaktionen und praxisnäher als an den Universitäten.“
Quelle: Wolf Schneider, Schulleiter 1979-1995, henri-nannen-schule.de/
Well, well, well…
Früher wunderte es mich, dass es in deutschen Redaktionen von Zeit bis Spiegel nur so vor „Nannen-Schülern“ wimmelte. Später lernte ich die Dogmen der Nannen-Schule indirekt am eigenen Leib kennen.
Die Schule, die angeblich dafür da war, „besseren Journalismus als den großenteils praktizierten zu lehren“; einen, der seine beiden KÖNIGLICHEN (sic!) Aufgaben erfüllen kann: „die Bürger zu informieren und den Mächtigen auf die Finger zu sehen“, agierte bei der Umsetzung dieses Vorhabens verdächtig … autoritär und brain-washed.
Nur ein Beispiel von vielen: Als ich als Festangestellte bei diesem einen wichtigen deutschen Medium arbeitete, wurden meine Texte regelmäßig von Nannen-Schülern redigiert (– die natürlich allesamt irgendwann in leitenden Positionen saßen). Ihr wisst schon: szenischer Einstieg, ein bisschen Namedropping bei den Zitaten und dann so langweilig wie möglich schreiben, damit JA KEIN EIGENER STIL erkennbar wird (denn wo kämen wir hin, wenn Journos nicht objektiv wären lol).
An einem sonnigen Freitag in der Redaktion – der Obstkorb war schon leer, die Mate-Flaschen stapelten sich auf den Schreibtischen meiner Kollegen – kam ein wichtiger Nannen-Schüler auf mich zu, der mir (ungefragt) einen Text mit Drillionen Anmerkungen zurückschleuderte. Da ich mit seinen Änderungswünschen nicht einverstanden war, wendete ich mich an meine Textchefin. Die würde mir doch bestimmt beiseite stehen, schließlich fand sie den Text ja gut. Aber denkste! Ihr einziger Kommentar dazu war:
„Ach, den Stefan kenn ich noch von der Nannen-Schule. Der ist ein ganz Toller, da kannst du bestimmt noch viel lernen.“
Hm? Wie kann es sein, dass ein Ort wie die Nannen-Schule, Hort der prestigeträchtigsten Journos des Landes, so … in seiner eigenen Suppe schwimmt. Um nicht zu sagen, Freunderlwirtschaft at its best betreibt? Frei nach dem Motto: Wir werden es schon besser wissen, Widerspruch ist nicht erlaubt. Wir machen den richtigen Journalismus, den gut-lesbaren, den wertvollen; den mit Preisen ausgezeichneten.
Sounds autoritär oder was?
Die Nannen-Netzwerke sind fest im deutschen Journalismus verankert – wer möchte, kann einfach mal bei seinem Lieblings-Onlinemedium die Namen der Autoren anklicken und einen Blick auf die Ausbildung werfen. Zack, haste wieder einen elitären Nannen-Schüler erwischt, der dir zum Geburtstag die Journo-Handwerksbibel von Wolf Schneider schenkt. Ohne Augenzwinkern. Sie schanzen sich gegenseitig Jobs zu, und sorgen dafür, dass andersdenkende oder andersschreibende Journos außen vor bleiben.
„Hm“, war mein zweiter Gedanke. „Wenn da in der Ausbildung nicht mal ordentlich Bullshit à la ‘Journos 1. Klasse und 2. Klasse’ verzapft worden ist.“
Und danach habe ich mich ein bisschen gefreut, um ehrlich zu sein. Dass diese einst so prestigeträchtige Institution auch mal etwas lernen darf. Soetwas wie Bescheidenheit, vielleicht. Einsicht, dass man ein bisschen was “vergessen” hat beim Eigenlob der Gründerfigur.
Dass einige der Menschen, die sich so lange damit gerühmt haben, von den BESTEN DER BESTEN unterrichtet worden zu sein und anderen (von Unis stammenden oder selbstgelernten) Journos mitleidig auf ihre Resümees blickten, sehen, dass sie einem … Nazi gehuldigt haben.
Der eine oder andere wird vermutlich schon den Namen Henri Nannen aus seiner Twitter-Bio gelöscht haben.
PS: Kommt mir bitte nicht mit: Aber die Schüler können ja nix dafür!!!111 Wer stolz darauf ist, an dieser Bonzeneinrichtung gelernt zu haben, sollte dogmatische Ansätze und Nepotism erkennen können. Sonst hat er mMn. nichts im Journalismus verloren.
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