„Er weiß doch, dass ich das nicht machen kann. Hallo? Ich stehe in der Öffentlichkeit. Ich will ernst genommen werden. Ich will berichten. Mit diesem Podcast wäre ich nur noch die mit dem Alkoholproblem.“
Es sind berechtigte Sorgen, die Nathalie Stüben vor dem Release ihres Podcasts (Ohne Alkohol mit Nathalie) und dem 2021 erschienen, gleichnamigen Buch hatte. Die Journalismus-Branche erschien ihr gnadenlos. Sie fürchtete das Urteil ihrer Kollegen und hatte Angst davor, unten durch zu sein. Das Einzige, was zwischen Nathalie und ihrem Herzensprojekt stand, war das Urteil anderer. Und damit auch die Scham, zur eigenen Geschichte zu stehen.
Letztlich entschied sie sich doch dafür. Nathalie wollte dazu beitragen, die Wunden zu schließen, die der Alkohol unserer Gesellschaft zufügt. Sie sehnte sich danach, neue Sichtweisen einzubringen in diesen verkrusteten deutschen Diskurs, der viel zu holzschnittartig geführt wurde. Und das ist ihr definitiv gelungen!
Ihr 2021 erschienenes Buch ist eine gelungene Mischung aus Personal Essay und Wissenschaft, aus Aufarbeitung der eigenen, gar nicht ungewöhnlichen Suchterkrankung und dem, was Ärzte so dazu sagen. Rund 12,7 Millionen Menschen betrinken sich mindestens einmal im Monat. Rund 1,4 Millionen fügen sich durch ihren Alkoholkonsum bereits nachweislich Schaden zu.
Doch wer in DE/AT als alkoholkrank gilt, ist immer noch abhängig von der Perspektive des Gegenübers. Noch immer glauben viele, sie hätten bei ein, zwei Gläsern Rotwein am Abend kein Problem, während das Bild des Alkoholikers vor allem durch die vierte Phase der Alkoholsucht gekennzeichnet ist: Verwahrlosung, dreckige Kleidung, fehlende Mundhygiene oder Obdachlosigkeit.
Die Anonymen Alkoholiker – ein patriarchalisches System?
Besonders interessant ist Nathalies Recherche zu den Anonymen Alkoholikern, zu denen sie nie so recht Zugang fand. Das lag auch an dem Habitus, an der Sprache. Bei Wörtern wie „trocken“ und „nass“ verkrampfte sich ihr Magen. Vor allem aber widerstrebte Nathalie, dass sich Menschen, die seit Jahrzehnten nüchtern leben, als „Alkoholiker“ bezeichnen. Als wäre der Alkohol noch immer der Faktor, der über ihre Identität entscheidet.
„Ich muss nicht in diese Meetings. Ich darf meinen eigenen Weg gehen, meine eigene Sprache finden. Das veränderte alles. Plötzlich erschien mir das mit der Abstinenz machbar.“
Nathalie findet ihren eigenen Weg aus der Sucht – ohne AA. Sie liest neurowissenschaftliche Studien, erforscht den Unterschied zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit und achtet stets darauf, den Gender-Aspekt nicht zu vernachlässigen. Denn surprise, surprise: die meisten Studienergebnisse zu Suchterkrankungen kamen durch rein männliche Teilnehmer zustande.
Ein alternatives Krankheitsverständnis
Trotz vieler harter Fakten gibt das Buch Hoffnung. Nathalies Kritik zielt nicht nur auf fehlende Suchtprävention und die starke Alkohollobby, sondern auch auf ein starres Konstrukt von Krankheit und Heilung. Steckt hinter jeder Sucht automatisch ein Trauma? Was war zuerst da, die Alkoholsucht, oder die Probleme?
Die neurobiologische Ebene, die gerne von Ärzten eingenommen wird, könne zwar erklären, warum Abhängige unter Cravings und Kontrollverlust leiden. Aber sie reduziert so etwas Komplexes wie Sucht auch auf biochemische Vorgänge und klammert damit zwei einflussreiche Mitspieler aus: Hoffnung und Zuversicht.
„Der effektivste Weg, mein Hirn in die Lage zu versetzen, diese biochemische Zwickmühle zu überschreiben, führt ihm zufolge über meinen Geist. Der Schlüssel liegt darin, mein Narrativ zu finden. Sprich, mich selbst wieder als Charakter zu begreifen, der etwas bewegen kann.“
Und girl, hat sie etwas bewegt.
Nathalies Bestseller „Ohne Alkohol – die beste Entscheidung meines Lebens“ ist 2021 im Kailash Verlag erschienen.