Schon mal von that girl gehört? Welchem girl? THAT girl! Das ist die Frau, die regelmäßig Sport macht, erfolgreich und gebildet ist und sich auch noch gesund ernährt. Die, bei der wir denken „Wow, die hat ihr Leben unter Kontrolle“.

Bei TikTok und YouTube gibt es tausende von Videos mit Tipps, wie dieser Lifestyle zu erreichen ist. Aber ungefähr genauso viele Videos erklären auch, dass dieser Lebensstil unerreichbar ist – und kritisieren das Phänomen dementsprechend.
In einem ersten Impuls habe auch ich die Frauen verurteilt. Bis ich dann relativ schnell gemerkt habe, dass ich vielleicht gar nicht so anders bin.

Ich schreibe diesen Text an einem Sonntagmorgen, und mache das neben meinem Vollzeitjob, statt „nur“ abzuhängen. Schon öfter wurde ich gefragt, wie ich es schaffe, so früh aufzustehen, Sport zu machen, selbstgekochtes Essen bei der Arbeit dabei zu haben und dann auch noch zig Podcasts zu hören und Bücher zu lesen.
Bin ich also that girl??

Wieso eigentlich „girl“? Selbst Heidi Klum hat inzwischen verstanden, dass Erwachsene Frauen nicht mehr Mädchen genannt werden sollten. Naja…

Um gut in den neuen Tag starten zu können, muss that girl früh genug ins Bett gehen (Schlafenszeit am besten mit einer App tracken), denn die perfekte Morgenroutine scheint das Wichtigste zu sein. Warum? Ziel ist: „having your shit together, being ready for the day, before the day even started“.

Organisiert, wie that girls sind, wird das Prozedere am besten mit einer To-Do-Liste geplant:

Nachdem die weiße Leinenbettwäsche gerichtet und der Green Juice aus einem Metallstrohhalm getrunken wurde, geht’s aber noch weiter. Zu dem Lifestyle gehört neben selbstgekochter gesunder Ernährung (Lachs-Reis-Bowl lässt grüßen) und genug Wasser trinken vor allem auch Erfolg und Selfcare.

Das bedeutet, dass jede einzelne Minute effizient genutzt werden muss. That girls verschwenden keine Zeit und stehen deswegen morgens direkt auf und hören auf dem Weg zur Arbeit Podcasts – bitte mit Airpods, keine Zeit für Kabelchaos. Am besten empfiehlt sich ein Self-Improvement-Podcast, denn sie kümmern sich nicht nur um Körper und Karriere, sondern bilden sich weiter. Deshalb lesen sie abends auch lieber ein Buch, statt auf der Couch bei Reality TV einzuschlafen. Lesen darf übrigens ab und zu auch mal zum Spaß sein, aber am besten ist es natürlich, Self Help Bücher à la Atomic Habit zu konsumieren – denn es könnte ja sein, dass 20 Sekunden im Alltag noch nicht perfektioniert wurden!

That girl zu sein, heißt im Endeffekt alle Neujahrsvorsätze auch wirklich umzusetzen.

Für normale Menschen vielleicht unmöglich, bei that girls wirkt es effortless. Aber klar, denn sie kümmern sich auch um ihre mentale Gesundheit, praktizieren Achtsamkeit und Dankbarkeit: Danke für diesen verdammt frühen Morgen und den Durchfall durch meinen Selleriesaft!

Woher ich das alles weiß? Na weil that girls ihr Leben detailliert im Internet zur Schau stellen.

„If it doesn’t look good on camera, than what’s the point?“

TikTok und YouTube sind voll mit Tipps, um die perfekte Version des eigenen Selbst zu werden.

Die jungen Frauen erklären, dass sie andere motivieren wollen, zu ihrem idealen Ich zu werden. Sie wollen “doch nur ein gutes Vorbild sein!” Ich denke: die öffentliche Performativität zwingt sie dazu, dass sie ihre ganzen To-Do-Listen auch tatsächlich abarbeiten. Wenn du kein Bild von deinem Morgenworkout gepostet hast, hast du es überhaupt wirklich gemacht?

Natürlich wird das alles aber nicht nur irgendwie online dokumentiert, es wird extrem ästhetisch dargestellt. Denn, wie moderngurlz ironisch fragt: „If it doesn’t look good on camera, than what’s the point?

Unter dem Suchvorschlag „that girl aesthetic“ lassen sich vor allem weiße und dünn-trainierte Frauen mit langen Haaren finden, die in ihrer pastellfarbenen Activewear Grünkohl und Obst kaufen. Alles ist minimalistisch, einfarbig und clean – irgendwie wirkt bei that girls einfach alles immer so verdammt sauber.

Hier gibt es: mehr zur Ästhetik

Natürlich ist es bei Social Media nichts Besonderes, dass irgendwie alles schön dargestellt wird. Und vielleicht kommt euch dieser Trend ja allgemein auch bekannt vor… Haben wir das perfektionierte Zurschaustellen des eigenen Lebens nicht schon die letzten 10 Jahre bei Bloggerinnen wie DariaDaria, Caro Daur, Mia Marjanović oder Pamela Reif beobachten können? Und ist Selfimprovement nicht eigentlich auch typisch für Millennials? Keine andere Generation vorher soll je so viel Zeit und Geld in Selbstoptimierung gesteckt haben:

“They spend twice as much as boomers on self-care essentials such as workout regimens, diet plans, life coaching, therapy and apps to improve their personal well-being. They’ve even created self-care Twitter bots.” Quelle

Jetzt abergibt es einen Namen – und TikTok ist voll vom Hashtag #thatgirl. Also wieso ist gerade jetzt die Ästhetisierung und Perfektionierung des Alltags so im Trend?

Kontrolle in der Krise finden

Einen Punkt hat moderngurlz in ihrem Video angesprochen: Gerade in einer Zeit, die so von Krisen geprägt ist und in der wir nie wissen, was morgen passiert, sehnen sich viele nach Stabilität. That girls stellen sich selbst Regeln auf, die ihr Leben organisieren – und strukturieren. Das kann ja auch tatsächlich sehr hilfreich für die eigene Psyche sein. Außerdem ästhetisieren und romantisieren sie die ganz einfach Dinge im Leben, wie sogar Lebensmitteleinkäufe – eines der wenigen Dinge, das in den letzten zwei Jahren durchgehend möglich war.

Bei den ganzen Videos ist mir außerdem aufgefallen, dass nie andere Menschen zu sehen sind. Es ist also ein Lifestyle und eine Ästhetik, die sich auch in der Pandemie leben lässt.

Gleichzeitig geht es bei dem Lifestyle darum, die perfekte Erwachsene zu sein, die ihr Leben komplett im Griff hat. That girls sind im Beruf oder der Uni erfolgreich – aber keine Karrierefrauen, die den Rest ihres Lebens vernachlässigen. Sie sind schön und fit. Sie sind gesund – sowohl körperlich, als auch psychisch. Sie bilden sich und sind interessant.

Es wirkt, als wären in ihnen alle Ideale der letzten Jahrzehnte zusammengeschmolzen – Hausfrau, Model, Bildungsbürgerin und Karrierefrau.

Außerdem sind sie so dankbar für die kleinen Dinge im Leben, dass es so wirkt, als würden sie sich nie beschweren. Alles sehr traditionelle Werte, die modern verpackt und als Self Improvement verkauft werden. Also rundum die perfekte Frau!
Während ich selbstgerecht den Trend analysiere und dann aber peinlich berührt an meine zwei Set Metallstrohhalme und Leinenbettwäsche denke, frage ich mich eben:

Bin ich THAT girl? Naja, manchmal. An manchen Tagen bin ich mega produktiv. An vielen anderen Tagen quäle ich mich aus dem Bett, bleibe im Pyjama im Homeoffice und esse abends ne Tiefkühlpizza, während ich Stunden lang YouTube-Videos gucke.
Aber trotzdem kenne ich den Drang, alles effizient gestalten zu wollen, mein Leben und mich zu optimieren. In dieser kapitalistischen Welt bleibt uns vielleicht auch nichts anderes übrig, als den Alltag produktiv zu gestalten, um nicht in der Arbeitswelt unterzugehen.

Und ja, manchmal fällt es mir leichter Dinge zu tun, wenn es dazu Regeln gibt. Wenn ich mich verpflichtet fühle. Aber langsam frage ich mich wirklich: wieso will ich eigentlich überall gut sein? Warum verspüren wir Frauen überhaupt so einen Druck danach perfekt in jedem Bereich zu sein? Warum gibt es keinen „that boy“?

Die große Gefahr hinter dem Trend ist natürlich der übertriebene Perfektionismus. Auch wenn that girls andere nicht dafür shamen, dass sie ihrem Lifestyle nicht folgen, zeigen sich dennoch ein Idealbild auf, das für die meisten Leute aus unterschiedlichsten Gründen unerreichbar ist – finanzielle Mittel, Care-Arbeit, psychische Belastung und vieles mehr.

Social-Media-Performance für die einen, ausgebranntes Working-Class-Sofaliegen für die anderen.

Okay, was können wir also machen?

Uns nicht schlecht fühlen, wenn was nicht klappt, scheiße aussieht oder keinen Spaß macht. Und sich nicht Druck machen, immer für alles dankbar sein zu müssen. Manchmal ist es einfach ein bisschen zu viel morgens das Bett zu machen und es reicht einfach nur aufzustehen. Ein Leben, das sich nicht konstant um Selbstoptimierung und future worries dreht, kann mindestens genauso schön sein, wie ein gemachtes Bett.

Up-Date 2022: groschenphilosophin ist mittlerweile ein Medien-Magazin. Und zwar das erste deutschsprachige, medienwissenschaftliche Pop-Magazin, das ausschließlich von Frauen unter 35 geschrieben und gedacht wird. Dir hat dieser Beitrag gefallen? Dann supporte uns auf Steady.

Hannah Pfeiffer
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Hannah beschäftigt schon lange die Frage, welche Botschaften Medien an uns senden. Deswegen hat sie während ihres Masters der Medienwissenschaft die Medienbildungsinitative im Kontext mitgegründet. Vor allem die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen und ihrer medialen (Re-)Produktion greift sie gerne in ihren Texten auf - immer mit einem Blick auf soziale Machtverhältnisse. Deswegen interessiert sie sich auch privat besonders für Kontroversen: zwischen kritischer Theorie und Reality-TV, zwischen Feminismus und Cheerleading. Seit diesem Jahr bereitet sie außerdem auch hauptberuflich in einer Fernsehredaktion wissenschaftliche Theorien verständlich auf.