Warum ich froh bin, heute nicht mehr von der (einen) großen Liebe träumen zu müssen. Ein Essay von Regine Glass.
Ich gebe zu, als geborener Jammerossi neige auch ich dazu, mich hin und wieder zu beschweren – über das dunkle Wetter in meinem Wohnort Schweden, prekäre Arbeitsbedingungen, die Zumutung, sich das Recht auf Notfallversorgung, Versicherung und eine Grundversorgung verdienen zu müssen. Schlechtes Essen…
Die Liste ließe sich noch ziemlich lang fortsetzen. Aber meine Beziehung mit einem Cis-Mann steht selten darauf. Nicht, weil immer alles perfekt wäre.
Sondern weil ich möchte, dass auch meine privaten Gespräche den so genannten Bechdel-Test bestehen: Zwei Frauen sollen miteinander über andere Dinge als einen Mann sprechen können.
Mit den Jahren habe ich festgestellt: dass, was viele Feministinnen beim Medienkonsum selbstverständlich wahrnehmen und kritisieren, beim Girls-Talk anscheinend nicht gilt: Typen dezentrieren.
Das Lieblingsthema einiger meiner Freundinnen scheinen die Männer zu sein, die ihnen immer wieder (erwartbare) Enttäuschungen zufügen. Auch ich kenne solche Beziehungen nur zu gut, allerdings gehören sie für mich zum Glück der Vergangenheit an. Nächte habe ich mir zwischen 2008 und 2013 um die Ohren geschlagen, um auf Facebook, StudiVZ und Myspace-Nachrichten zu warten, Uni geschwänzt, um mich in Lyrik- und Prosa Tagträumen hinzugeben, anstatt feministische Manifeste zu schreiben, mich auf irgendwelchen Fensterbrettern in Berlin-Friedrichshain gesonnt und wie die Frauen auf alten Gemälden versonnen vor mich hin gestarrt – was für eine Zeitverschwendung! Außerdem bin ich, überfordert von Schwärmereien, kläglichen Online-Dating-Versuchen und meiner großen WG oft eine richtig schlechte Freundin gewesen. In diese Zeit will ich nie wieder zurück.
Ich bin froh, dass die private Priorität in meinem Leben heute wieder Gemeinschaft anstatt erträumte Zweisamkeit heißt.
Ich finde es sehr schade, wenn gestandene, emanzipierte Frauen noch in den 30ern wie Carrie in „Sex and the city“ Mr. Big – einem unerreichbaren Ideal von Mann – hinterherlaufen. Stets in der Hoffnung, er würde sich eines Tages für sie ändern, sie würden ihn retten, die romantische Liebe würde noch aus dem letzten Arschloch einen empathischen Mann machen und alle sexuellen und emotionalen Bedürfnisse erfüllen. Diese Glaubenssätze gehören für mich Gott sei Dank in meine frühen 20er Jahre, genau wie der Irrglaube, eines Tages in der Lohnarbeit meine Erfüllung finden zu müssen.
Mein Geheimnis: Meine glückliche Beziehung baut auf drei Säulen auf: Unabhängigkeit, knochenharte Arbeit, und viele andere gleichberechtigte, platonische Beziehungen. Klingt überhaupt nicht romantisch? Ist es aber.
Aber nicht nur meinem Partner, sondern auch meinen Freund_innen und mir selbst gegenüber.
Die Autorin Mirna Funk sorgte vor ein paar Monaten für einen Shitstorm, weil sie in dem feministischen Blog „pinkstinks“ die Strategie vorschlug, einfach „Ciao, Kakao“ zu sagen, wenn der Macker die Geschirrspülmaschine nicht ausräumt. Nadia Shehadeh, Autorin und Soziologin, hat in ihrer regelmäßigen Kolumne im feministischen Missy-Magazine darauf Bezug genommen, und von ihren eigenen Erfahrungen im „Heten-Hotel“ berichtet.
Die emotionale und physische Arbeit, die sie für ihren Boyfriend in einer Dekade Beziehung verrichtet hatte, hätte dafür gereicht, eine Frühstückspension zu eröffnen.
Kann ich mir gut vorstellen, denn eine Gastronomie zu eröffnen war vor etwa zehn Jahren auch mein Alternativ-Plan, als ich keine Lust mehr hatte, meine Zeit mit unzuverlässigen Menschen zu verplempern und verpimpern.
Ich hatte allerdings mit Mitte 20 keinen zeitraubenden Partner, sondern das große Glück, als Single nie einsam zu sein, weil ich erst in einer familienähnlichen Sechser-WG, und dann in einer eheähnlichen, platonischen Partnerschaft mit meiner Mitbewohnerin, wohnte. In meinen Wgs in den Zwanzigern habe ich gelernt, was es heißt, mit harter Arbeit harmonische Beziehungen aufzubauen, statt ständig nur unerreichbaren Typen hinterherzuschmachten.
Unsere Themen? Ab und zu auch Dates und One-Night-Stands, aber meistens diskutierten wir schon beim Frühstück hitzig über Artikel die wir gelesen, Dokumentationen, die wir gesehen hatten und unsere Utopie eines besseren Lebens. Wir kochten und aßen zusammen, reisten in den Urlaub, teilten unser Geld und ihren Hund. In Albanien wollten wir ein Bed and Breakfast eröffnen.
Letztendlich ist es dazu nie gekommen. Unsere heutigen Partner waren an dieser Entscheidung jedoch nicht schuld, obwohl ich meinen auf einer unserer Recherche-Reisen in Albanien kennenlernte. Sie machte ihr Staatsexamen in Jura, ich wurde Journalistin. Die Männer hätten uns auch daran nicht hindern können. Wir hatten uns einfach weiterentwickelt und wollten unsere beruflichen Interessen ausleben und mal ausprobieren, auseinander zu leben.
Ich zog für meinen Job drei Jahre allein in ein anderes Bundesland, und führte sechs Jahre lang eine Fernbeziehung, sie erst mit Freund und Hund an den Berliner Stadtrand und dann samt Kind zurück in ihre Heimatstadt. Meine Mitbewohnerin lebt heute in einer harmonischen Partnerschaft mit Kind, nachdem sie erfolgreich und hartnäckig ihr Ziel, gut verdienende Juristin zu werden, erreicht hat.
Ich bin Journalistin und Übersetzerin geworden, lebe in Schweden und hoste meine Freund_innen hier ausschließlich zum Vergnügen. Wir sind ein ganzes Stück auf unserem Weg weitergekommen, ohne uns ausbremsen zu lassen, aber trotzdem noch nicht da angekommen, wo wir hin wollen. Lasst uns darüber sprechen.
Zu meinem idealen Leben gehören definitiv andere Menschen dazu. Und damit meine ich mehr als einen.
Als mein Partner und ich uns in Schweden zum Infektionsschutz so gut es ging komplett isolierten, bemerkten wir, wie schlecht es uns ohne Gemeinschaft ging. So sehr wir uns liebten.
Seit dem Herbst versuchen wir, unseren Hobbies vermehrt nachzugehen und mit unseren Freund_innen auf langen Wanderungen und an Küchentischen nicht nur das Weltgeschehen zu diskutieren, sondern Wärme und Liebe in der Gemeinschaft auszustrahlen – selbst wenn die Pandemie uns zu oft von ihnen trennt.
Mit anderen Leuten genau darüber zu sprechen, wie es jetzt mit oder ohne Partner weiter geht, finde ich viel zielführender und interessanter als „Er schreibt mir nicht zurück!“.
Dass ich mir das Dating-Leben anderer Leute nicht mehr anhören möchte, mag kalt und privilegiert klingen. Dabei ist meine Intention dahinter: Stellt euch lieber gleich breiter auf, arbeitet an euren Freundschaften und der Vision vom (für euch) guten Leben, anstatt wertvolle Freund_innenzeit mit Gesprächen über Menschen zu verbringen, die eure Zeit und Ressourcen einfach nicht wert sind. Meine auch nicht – denn entgegen von dem, was manch eine eifersüchtig zu glauben scheint, ist meine glückliche Beziehung kein Glück, sondern in Gesprächen, Kompromissen und ja, auch manchmal Streit, hart erarbeitet.
Heute sehne ich mich nicht mehr nach dem einen Menschen, mit dem sich das Leben wie ein endloses Abenteuer anfühlt – sondern einer Gruppe schlauer, lustiger und empathischer Leute, mit denen man die Vision einer besseren Gesellschaft planen kann.
Meine Mitbewohnerin und ich wissen heute: Dieser runde Tisch, an den sich alle, die wir lieben, gern setzten, und an den immer mal jemand neues dazu kam, war eigentlich unsere heimliche Sehnsucht, als wir die Pläne um unser Hostel in Albanien spannen.
Up-Date 2022: groschenphilosophin ist mittlerweile ein Medien-Magazin. Und zwar das erste deutschsprachige, medienwissenschaftliche Pop-Magazin, das ausschließlich von Frauen unter 35 geschrieben und gedacht wird. Dir hat dieser Beitrag gefallen? Dann supporte uns auf Steady.
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Regine Glass
Ich bin Regine Glaß, die Stadtlandtexterin. Meine Stadt ist Göteborg, mein Land Schweden und Texte sind mein Beruf. Ich arbeite als freie Journalistin, Texterin und Übersetzerin auf Deutsch, Schwedisch und Englisch. Spezialisiert bin ich auf Themen rund um das Leben in Städten.