Eine eingesprochene Version des Texts findet ihr im Steady-Podcast von Groschenphilosophin.

Am Strand, im Meer aus Rosen oder auf einem Boot: Hauptsache die Kamera ist dabei, wenn er auf die Knie geht und sie vor Freude „Ja“ schluchzt. Als hätten es uns die heteronormativen Vorstellungen aus Rom-Coms nicht schon schwer genug gemacht, ballern uns jetzt auch noch Instagram, TikTok und Co. mit gesponserten Hochzeitskleidern, Blumen und Antragsvlogs zu.

Wir dachten, wir wären moderne Menschen und hätten oberflächliche Klischees langsam überwunden. Trotzdem wirkt es manchmal, als wären wir ein halbes Jahrhundert zurückgeworfen worden.

Ja, es gibt heute in Deutschland viel weniger Ehen als in den 50ern: 2006 wurde mit 374.000 Eheschließungen der Tiefstand erreicht und seitdem nimmt die Anzahl leicht zu, überschreitet aber nie das Niveau vor 1990 – im Gegensatz zu den Scheidungszahlen. Vor allem 2018 ging die Zahl, wahrscheinlich dank der notwendigen Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe 2017, ein wenig mehr hoch. Ob und wen wir heiraten wollen, ist heute mehr unsere eigene Entscheidung denn je.

Trotzdem sind es irgendwie immer die gleichen Stereotype heterosexueller Antrags- und Hochzeitsbilder, die in meinem Feed landen. Und das nervt!

„He finally popped the question!“ 😍💍😱

Ok, an dieser Stelle muss ich transparent sein. Ich persönlich habe noch nie verstanden, warum zwei Unterschriften vorm Staat oder das „Ja“ vor Gott und der kompletten Verwandtschaft romantischer sein sollen, als sich zu zweit dafür zu entscheiden, zusammen zu bleiben – solange es gut läuft.

Und vor allem verstehe ich nicht, warum ich darauf warten sollte, dass mich ein Typ mittels Kniefall ‘vollständig’ macht.

Meine Eltern haben sich in den 90ern noch gemeinsam zum Heiraten entschieden. Einen Antrag gab’s nicht – den fanden sie eher versnobt.

Aber online sehe ich meist genau das Gegenteil. Kürzlich ging erst Machinegunkelly vor Megan Fox auf die Knie. Einen fetten Diamantring und gegenseitiges Bluttrinken (?!) gab’s natürlich auch dazu:

 

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Auch der Musiker und CBD-Unternehmer Travis Barker hat letztes Jahr Kourtney Kardashian am Strand, im Bett aus Rosen um ihre Hand angehalten. Kourtney ist ebenfalls Unternehmerin und mit über 160 Mio. Abos eine der einflussreichsten Influencer*innen überhaupt – klingt auf jeden Fall nach einem guten Geschäft!

 

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Es gibt sogar ganze Social-Media-Compilations mit Anträgen. Immer das gleiche Bild heterosexueller Paare: Männer planen die Überraschung und Frauen können ihr Glück kaum fassen, dass sie endlich wertvoll genug sind, dass ein Mann sie ehelichen will. He finally popped the question and she said yes!

Und natürlich sind auch die deutschen YouTube-Trends mit Videos zugespamt, in denen Männer heimlich den Antrag planen, um ihre Partnerin zur glücklichsten Frau der Welt zu machen.

Aber das ist doch süß!

Vielleicht bin ich auch einfach unromantisch oder gönne anderen nichts. Denn wo ist schließlich das Problem, wenn sich Leute gefunden haben und glücklich sind?
Ja, das stimmt. Da gibt’s erstmal keines. Aber müssen dabei immer die Geschlechterstereotype reproduziert werden?

Einen Mann, der beim Antrag von einer Frau fast in Ohnmacht fällt, hat mir meine Explore-Page zumindest noch nie vorgeschlagen.

Mal abgesehen davon, dass heterosexuelle Zweierbeziehungen, die ein Leben lang halten sollen, doch heute auch nicht mehr Standard sind. Ich hätte gehofft, dass die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe auch die traditionellen Geschlechtervorstellungen in Hetero-Beziehungen anfechtet. Aber zumindest beim Thema Heiratsanträge zeigt sich gerade genau das Gegenteil: Rollenbilder werden nicht hinterfragt, sondern bestätigt.

Und daran ist Social Media nicht gerade unbeteiligt. Zumindest führen die Plattformen dazu, dass sich die traditionelle Vorstellung von Liebe noch mehr kommerzialisieren lässt. Natürlich betrifft das nicht nur die Anträge. Auch die Feier an sich (optional zusätzlich auch Verlobungsfeiern und Bachelor*ette-Parties) kann ästhetisch dargestellt werden – und wird dadurch immer teurer!

Verschuldung made Instaworthy

Eine britische* Studie aus dem Jahr 2019 fand bei einer Befragung von über 2.800 Ehepaaren in Spe heraus, dass die Hochzeitsfeiern durchschnittlich 31.974£ kosteten – das entspricht wohlgemerkt mehr als dem JÄHRLICHEN (!) Durchschnittseinkommen Vollzeitangestellter in Großbritannien von ca 30.000 £. Das heißt: Verschuldung!** Und wie kommt es dazu? Ein Grund ist zumindest, dass sich laut derselben Umfrage 42% unter Druck gesetzt fühlen, dass ihre Hochzeit „instaworthy“ sein müsse.

Auch irgendwie logisch, wenn wir ständig sowas gezeigt bekommen:

Dabei eignen sich die Plattformen selbstverständlich auch ganz vorzüglich für Kooperationen mit Unternehmen für Hochzeitskleider, Blumenarrangements oder Catering. Und irgendwie wollen wir die Empfehlungen ja auch.

Die Produkte werden schließlich am „wichtigsten“ Tag im Leben der Influencer*innen benutzt, also müssen sie ja gut sein – natürlich würden sie sowieso nur das empfehlen, was sie auch wirklich gut finden.

Praktischerweise lassen sich Hochzeitsmessen, Fotograf*innen oder Bouquets einfach auf den Bildern verlinken.

Haben wir denn nichts gelernt?

Wir sind vom Land in die Stadt gezogen, können uns aussuchen, ob, wie und wen wir heiraten. Heute haben viele nicht mehr den Druck, das komplette Dorf und Großgroßonkel Ludwig einladen zu müssen, aber kleiner werden Hochzeiten trotzdem nicht. Das Internet schafft eine noch viel größere Öffentlichkeit für das romantische Highlight der Zweierbeziehung. Statt des Zelebrierens der Liebe zu zweit, wird sie von einer Hochzeit im Kreise der Freund*innen und Familie in’s Internet getragen. Und damit auch vergleichbar zur ganzen Welt.

* Für Deutschland wurden oftmals Kosten im Wert von 6.500€ angegeben. Damit liegt Deutschland deutlich unter den Kosten in GB.
**Zum Thema Verschuldung durch Hochzeiten:

Up-Date 2022: groschenphilosophin ist mittlerweile ein Medien-Magazin. Und zwar das erste deutschsprachige, medienwissenschaftliche Pop-Magazin, das ausschließlich von Frauen unter 35 geschrieben und gedacht wird. Dir hat dieser Beitrag gefallen? Dann supporte uns auf Steady.

Hannah Pfeiffer
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Hannah beschäftigt schon lange die Frage, welche Botschaften Medien an uns senden. Deswegen hat sie während ihres Masters der Medienwissenschaft die Medienbildungsinitative im Kontext mitgegründet. Vor allem die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen und ihrer medialen (Re-)Produktion greift sie gerne in ihren Texten auf - immer mit einem Blick auf soziale Machtverhältnisse. Deswegen interessiert sie sich auch privat besonders für Kontroversen: zwischen kritischer Theorie und Reality-TV, zwischen Feminismus und Cheerleading. Seit diesem Jahr bereitet sie außerdem auch hauptberuflich in einer Fernsehredaktion wissenschaftliche Theorien verständlich auf.