Bevor ich jetzt anfange über “junges Fernsehen” zu reden, möchte ich betonen, dass ich eine sehr treue Fernsehzuschauerin bin. Und das, obwohl ich mich in einer relativ linken, akademischen Bubble bewege, in der klassisches, lineares Fernsehen so gar nicht woke ist. 

Fernsehen bedeutet für mich: Zerstreuung, Entspannung, das Gehirn nicht anstrengen müssen.

Und gerade deswegen besitze ich auch noch einen Receiver: Ich möchte mich manchmal gar nicht entscheiden, sondern möchte einfach nur die Glotze anmachen, in der Hoffnung, dass mindestens ein okayes Format läuft. 

Und das schafft es auch. Meistens. Mindestens auf meinem Haus und Hof Sender VOX läuft irgendein bisschen schwieriges, kitschiges, voyeuristisches Format, was mich unterhält. Goodbye Deutschland oder das perfekte Dinner? Sendungen die mich teils schon seit Teenagertagen begleiten. Aber das ist ja auch böses Privatfernsehen (An dieser Stelle möchte ich kurz den Podcast “Drinnies” empfehlen, der mich bei meiner Vorliebe für ulkige Fernsehformate sehr gut abholt!) Ich schäme mich auf jeden Fall für Nichts. Es macht nun mal einfach Spaß und ist an manchen Tagen notwendig. 

Gleichzeitig verstehe ich, wenn man zu diesen Sendungen – von schwierigen Dating-Formaten möchte ich gar nicht erst anfangen – keinen Zugang findet oder sie sogar ablehnt. Unabhängig vom Inhalt, passt lineares Fernsehen einfach nicht in unsere Zeit. 

Und wenn es um öffentlich-rechtliches Fernsehen geht, können viele junge Menschen erst recht nichts mehr damit anfangen. 


An welche Zielgruppe richtet sich Flori Silbereisen eigentlich?! © ZDF und Dirk Bartling

funk: ein Silberstreifen am Horizont

Mit funk – dem “Content-Netzwerk von ARD und ZDF” – bemühen sich die Öffentlich-Rechtlichen deshalb seit 2016, auch Zielgruppen U30 zu erreichen. Das wurde rechtlich so beschlossen. Denn es muss ja ein Bildungsauftrag erfüllt werden. Der ist festgehalten im Rundfunkstaatsvertrag. Darin steht, dass vielfältige Formate produziert werden müssen, die ungefähr alle Altersklassen und Zielgruppen in Deutschland ansprechen. 

Eigentlich eine tolle Idee, denn so sollte, unabhängig von ökonomischen Interessen ein ausgewogenes Programm gestaltet werden können – finanziert durch unsere Rundfunkbeiträge. Ein Blick ins aktuelle TV-Programm verrät: das funktioniert so mittel: 

Achtung cringe: So richtig funkts nicht oder? 

Geld haben die Sender auf jeden Fall ausreichend. Und damit das heilige Fernsehen nicht verändert werden muss, wird ein kleiner Teil in funk investiert. Einige funk-Formate laufen auch ziemlich gut. Dank YouTube erreichen sie Millionen Klicks. Auch ich streame gerne funk-Formate. Prominentes Beispiel: mailab. Das verständliche Chemielabor von Mai Thi Nguyen-Kim konnte nicht zuletzt durch Corona beweisen, wie guter Wissenschaftsjournalismus umgesetzt werden kann. Das dachte sich wohl auch das ZDF und entwickelte direkt ein neues Wissenschaftsformat mit ihr: MAITHINK X

Klar, warum nicht noch mehr rausholen. Mehr ist mehr oder so. Aber wo können wir die neue Show sehen? Nur in der ZDF-Mediathek oder auf ZDF Neo. Wie jetzt? Das macht doch gar keinen Sinn?! Stimmt – oder wie die YouTuber von “Space Frocs” es zusammenfassen: funk steckt in einem Dilemma! 

Denn wenn ein funk-Format so richtig erfolgreich ist, kann es passieren, dass fürs klassische Fernsehen adaptiert werden soll, so wie im Fall von Mai. 

Eine eigene Sendung! 

Das ist natürlich ein Upgrade, was das Budget aber auch den redaktionellen Aufwand angeht. Jetzt muss richtig geglänzt werden. Is´ ja richtiges Fernsehen.

Bleibt die Coolness dabei ein bisschen auf der Strecke? Ich persönlich mochte die Themen der Sendung und sowieso: pro Wissenschaft! Richtig rund und locker fühlte es sich aber noch nicht an und, was im Gegensatz zu mailab definitiv fehlt: die Reichweite.

Aus der anderen Perspektive: funk ermöglicht es Content-Creator*innen sich auszuprobieren und bietet ihnen die Möglichkeit, auf ein bestehendes Netzwerk zurückzugreifen und sich dadurch schnell zu etablieren. Beispiel: Pocket Hazel. Die YouTuberin startete bei funk mit dem Format “Pocket Money”.

Das lief auch ziemlich gut. Letztes Jahr hieß es dann Ciao. Hazel will nach 2 Jahren unabhängig arbeiten, wie sie selbst erklärte. Wir erinnern uns: ein Dilemma. Ist man erfolgreich, hat man auf dem freien YouTube-Markt natürlich mehr Freiheiten, muss sich nicht mehr an redaktionellen Vorgaben abarbeiten und verdient zudem viel viel viel mehr Geld.

Noch ein anderes Beispiel: deep und deutlich.

Der Kölner Treff 2.0 ist mir wirklich ein Rätsel. Ich verstehe die Idee. Mit Aminata Belli kann ich mich sicherlich mehr identifizieren, als mit Bettina Böttinger. Aber: Es ist starr und langweilig. Obwohl ich die Moderator*innen mag, die Gäst*innen und Themenauswahl mich angesprochen hat, bekomme ich beim Zuschauen ein beklemmendes Gefühl.

Sollen hier meine Eltern an junge Themen herangeführt werden oder junge Zuschauer*innen das Fernsehen von gestern erleben? I don´t get it. 

An anderer Stelle würde ich mir dagegen mehr Kontrolle oder zumindest journalistische Standards wünschen. “Wie ein Millionär im Thai-Knast landete” würde sicherlich nicht so im ARD-Hauptprogramm laufen. Das funk-Format strg f verfolgt in dieser 20-minütigen Folge einen angeblichen, deutschenEx-Millionär, der über thailändische Gefängnisse philosophiert und dabei vor allem cool aussehen möchte. 

Oder die Folge “Links und gewaltbereit. Der Fall Lina E.” in der es heißt: “Im Übrigen sagt auch der Verfassungsschutz in Deutschland, die größte Gefahr kommt von rechts. Okay, aber das hier ist ja ein Film über linke Gewalt und die gibt es ja nun mal”. Die Redaktion bekam auf dieses Video viel Kritik. Zurecht. Rechte und linke Gewalt einfach so vergleichen? Geht gar nicht! Andere Themen sind dagegen gut recherchiert. Genau wie eine Vielzahl von funk-Dokus. Was mir aber auffällt:

Wenn es “nur” um YouTube geht, darf es auch mal halbgarer Content sein, obwohl potenziell viele junge Menschen erreicht werden.

Geht es um lineares Fernsehen, wirkt alles extrem gestelzt und super cringe. 

Um es platt zu sagen: Es gibt einfach immer noch zu viele alte Männer in wichtigen Positionen, die das Programm bestimmen und Fernsehen über das Internet stellen. Und es ärgert mich wirklich, dass ARD und ZDF es nicht schaffen, ihre veralteten und bürokratischen Strukturen zu erneuern und funk auf die nächste Stufe heben. “Das Quiz” mit Frank Plasberg kann von mir aus auch noch die nächsten 10 Jahre stattfinden, um die Boomer-Zielgruppe abzuholen. Aber wo ist das Programm für alle anderen?! (Ja, es geht um Strukturen, Macht und Geld, ich weiß). 

Up-Date 2022: groschenphilosophin ist mittlerweile ein Medien-Magazin. Und zwar das erste deutschsprachige, medienwissenschaftliche Pop-Magazin, das ausschließlich von Frauen unter 35 geschrieben und gedacht wird. Dir hat dieser Beitrag gefallen? Dann supporte uns auf Steady.

Lea Schäfer
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Lea ist Gründerin von im Kontext und begeisterte Medienwissenschaftlerin! Ihre Vision: Mehr Menschen mit Medienbildung erreichen und verständlich erklären, wie Medien funktionieren und wie sie positiv genutzt werden können. Ihre Motivation: die Stärkung einer freien und demokratischen Gesellschaft. Denn Social Media und Digitalkonzerne werden auch in Zukunft, das Leben von Menschen weltweit bestimmen und darüber entscheiden, wie wir leben. Mit im Kontext reflektiert sie diese Entwicklungen und versucht den digitalen Wahnsinn begreifbar zu machen. Als Social Media Managerin arbeitet sie außerdem für das internationale Zentrum über NS-Verfolgung und der Frage, wie Erinnerungskultur digital erlebbar gemacht werden kann. Und wenn sie nicht gerade bahnbrechende Texte schreibt oder hübsche Grafiken baut, legt sie das Handy sehr gerne weg und geht in der „echten“ Welt mit ihrem Hund spazieren.