“Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal bei Facebook angemeldet war und ganz ehrlich: Ich mag die Plattform auch einfach nicht mehr. Ich nutze sie höchstens um zu gucken, wer Geburtstag hat.”

Diese und ähnliche Aussagen über den klassischen Facebook-News-Feed, sind mir in den letzten Jahren häufig begegnet – nicht erst seit wir pandemiebedingt verstärkt mit Falschmeldungen, rechter Hetze und Querdenkern zu tun haben. Facebook ist einfach out und wird im besten Fall nur noch von skurrilen Tanten und Onkels genutzt – so der Tenor. Hinzu kommt die negative Presse. Erst kürzlich wurde das Unternehmen, u.a. für einen Imagewechsel, zu „Meta“ umbenannt.

Allerdings: Obwohl die Nutzer*innenzahlen des sozialen Netzwerks sinken, laufen die Geschäfte des Dachkonzerns besser denn je. Seit 2017 hat sich der Umsatz von Meta Platforms mehr als verdoppelt. Den Facebook-News-Feed zu ignorieren, ist also eher was fürs Gefühl, denn Meta ist Teil jedes Internetalltags.

Ein Blick zurück

Wann bist du das erste Mal mit dem Internet in Berührung gekommen?

So richtig relevant wurde für mich das Internet in den 2000er Jahren. Die ersten YouTube-Videos, dubiose Chats auf Knuddels (was bitte war das eigentlich?), Gruscheln bei SchülerVZ und dann ICQ: Ich war eine junge Teenagerin und Internet war für mich Unterhaltung, Chatten mit Fremden und Freund*innen, Persönlichkeitstests und Horoskope lesen.

Wer von uns hätte zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass sich soziale Netzwerke in weniger als 20 Jahren zu einer der einflussreichsten und machtvollsten Kontrollregime ausbilden? Im Gegensatz zu uns Nutzer*innen hatten einige Expert*innen da definitiv schon eine Ahnung, aber damit würden wir zu tief in die Medienhistorie einsteigen. Gehen wir also ins Hier und Jetzt.

Vom sozialen Netzwerk zur Plattform

Familienchat über WhatsApp, Einkaufen mit Amazon, Urlaubsfotos teilen bei Instagram, Taxi buchen mit Uber, Ferienhaus mieten bei Airbnb – ich könnte die Liste endlos fortsetzen. Es gibt keinen Bereich in unserem Leben, der nicht über eine Plattform organisiert werden kann. Moment, Plattform? Gerade ging es doch noch um soziale Netzwerke… Stimmt, aber beides hängt eng zusammen: Soziale Netzwerke wie Facebook – das sogenannte Web 2.0 – sind sozusagen der Ausgangspunkt dieser Entwicklung. Wir gehen nicht mehr einfach nur ins Internet. Stattdessen bewegen wir uns von Plattform zu Plattform. Die Wissenschaft beschreibt diese Entwicklung auch als Plattformisierung. Aber was ist eine Plattform eigentlich?

Aus wirtschaftlich-technischer Perspektive sind Plattformen Schnittstellen oder auch “digitale Infrastrukturen, die es zwei oder mehreren Gruppen ermöglichen, zu interagieren. Dafür positionieren sie sich als Vermittlerinnen die unterschiedlichen Nutzer*innen zusammenbringen: Kund*innen, Werbetreibende, Dienstleister*innen, Produzent*innen, Lieferant*innen und sogar physische Objekte” (Srnicek 2018)

Aus kultureller Perspektive entscheiden und kontrollieren Plattformen, wie etwas visuell auf unserem Bildschirm erscheint, wie wir uns online organisieren. Sie entscheiden, welche Inhalte uns erreichen, welche Inhalte erlaubt und welche verboten sind. Sie bieten Raum für öffentliche Diskurse und greifen in sie ein.

Metaverse is already here

Meta hat diese Entwicklung stark vorangetrieben und profitiert bis heute davon. Schon in den Gründungsjahren war das Ziel von Facebook, eine Plattform zu werden. 2007 startete Facebook den Werbeanzeigenmanager und “Facebook Platforms”. Werbung ist das Kerngeschäft des Konzerns.

Dass wir Facebook als soziales Netzwerk verstehen, ist also vor allem gute und strategische Unternehmenskommunikation.

„Connect with friends, family and communities of people who share your interests” ist seit 2004 eine der wichtigsten Claims von Facebook. Die setzen sie gezielt ein, um ihre wirtschaftlichen Interessen umzusetzen und sich öffentlich als soziales, dem Gemeinwohl dienendes Tech-Business zu etablieren. Aufgrund etlicher Facebook-Skandale verschiebt sich diese Wahrnehmung langsam. Meta bleibt seiner Good-Will-Unternehmenskommunikation aber weiterhin treu.

Mark Zuckerberg und sein Avatar in der Zukunft von Facebook: Metaverse

Diese Strategie ist besonders kritisch zu betrachten, wenn es um Journalismus oder politische Kommunikation geht. Beide Branchen sind von der öffentlichen Wahrnehmung direkt abhängig und auch sie betrifft die Plattformisierung der Gesellschaft.

Zeitungen und Parteien können nicht mehr ohne soziale Dienste wie Facebook, Instagram und Co. auskommen, wenn sie Menschen erreichen möchten. Die Folgen dieser Entwicklung und starken Abhängigkeit können für uns und demokratische Verhältnisse sehr bedrohlich sein. Denken wir nur an Parteien, die Facebook Werbung nutzen, um sich jeder Zielgruppe anzupassen oder an die Bedrohung durch Desinformation aufgrund von Empfehlungsalgorithmen.

„Facebook is no longer, if it ever was, just a social network site. It´s a global operating system and a serious political, economic and cultural power broker” (Taina Bucher 2021)

Dementsprechend lautet die aktuelle These der Medienwissenschaftlerin Taina Bucher: “Facebook is Facebook”. Das Unternehmen Meta hat – mit all seinen Diensten – ein eigenes, unvergleichbares Universum (aka. Metaverse ;) ) geschaffen.

Es hat Infrastrukturen aufgebaut, die für sich stehen und aus sich heraus erklärt werden müssen. Wenn du also dachtest, “Facebook?! Wer benutzt das denn heute noch?”, dann liegst du eindeutig falsch – auch, weil diese Perspektive ziemlich eurozentristisch ist.

Der klassische Facebook-News-Feed ist in anderen Gesellschaften durchaus noch relevant. (Die aktivsten Nutzer*innen leben aktuell in Asien). Insgesamt betrachtet, kann Meta nicht mehr als reines soziales Netzwerk verstanden werden.

No way to sign out?!

Wenn du also nicht komplett dem Internet abgesagt hast, dann wirst du dich mit den Infrastrukturen von Meta und dem digitalen Kapitalismus arrangieren müssen.

Warum? Die Infrastrukturen, die das Unternehmen aufgebaut hat, sind, wir können hier ein Buzzword nutzen, systemrelevant.

Facebook hat sich bestehende Internetstrukturen zu Nutze gemacht und neue aufgebaut. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass das Liken, Teilen und Vernetzen für uns heute routinierte Handlungen sind.

Aber auch der Like-Button musste erfunden werden. Nichts davon war einfach da. Im Gegenteil: Der Like-Button ist sogar ziemlich besonders und markiert den Start einer folgenreichen Entwicklung. Auf diesem Weg gelang es Meta, ehemals Facebook, Daten auf möglichst einfache und effiziente Weise über die Interessen von Menschen zu sammeln.

Daraus ergibt sich ein gegenseitiger Austausch zwischen Meta bzw. ihren gesammelten Nutzer*innendaten und anderen Unternehmen. Jede Website, jeder Blog, jeder Shop muss gesehen werden, um zu bestehen. Die Webseiten sind dementsprechend so angelegt, dass Meta sie lesen und nutzen kann. So wird das gesamte Internet zu einem riesigen Datennetzwerk (Wer sich an dieser Stelle tiefer rein-nerden möchte, der googelt unter dem Stichwort “Graph API”).

Andere Dienste von Meta, wie WhatsApp oder Instagram, sind nur die offensichtlichsten Schnittstellen mit Facebook in unserem Leben. Es ist also nicht die Frage, wo wir uns abmelden. Wir müssen mehr Medienkompetenz aufbauen und dürfen das “echte Leben” nicht mehr vom “digitalen Leben” trennen. Denn unser Leben findet auf Plattformen statt – und das auch in Zukunft.

Quellen

  • Bucher, Taina (2021): Facebook: Wiley & Sons.
    Gillespie, Tarleton (2010): The Politics of ´Platforms´. In: New Media & Society, Bd. 12, Nr. 3.
  • Katzenbach, Christian (2021): Die Öffentlichkeit der Plattformen: Wechselseitige (Re-)Institutionalisierung von Öffentlichkeiten und Plattformen. In: M. Eisenegger, R. Blum, P. Ettinger & M. Prinzing (Hrsg.), Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit: Historische Verortung, Modelle und Konsequenzen.
  • Seemann, Michael (2021): Die Macht der Plattformen. Politik in Zeiten der Internetgiganten: Ch. Links Verlag.
  • Srnicek, Nick (2018): Platform-Capitalism. Campridge: Polity Press.
    Van Dijck, José / Thomas Poell / Martijn de Waal (2018): The Platform Society. Public Values in a connective world. Oxford University Press: New York.
    https://targetleaks.de/index.html
  • https://de.statista.com/statistik/daten/studie/193380/umfrage/umsatz-von-facebook-weltweit/
  • https://de.statista.com/statistik/daten/studie/885734/umfrage/anzahl-der-monatlich-aktiven-nutzer-von-facebook-nach-regionen/

Bildquelle:
(c)Meta Platforms

Lea Schäfer
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Lea ist Gründerin von im Kontext und begeisterte Medienwissenschaftlerin! Ihre Vision: Mehr Menschen mit Medienbildung erreichen und verständlich erklären, wie Medien funktionieren und wie sie positiv genutzt werden können. Ihre Motivation: die Stärkung einer freien und demokratischen Gesellschaft. Denn Social Media und Digitalkonzerne werden auch in Zukunft, das Leben von Menschen weltweit bestimmen und darüber entscheiden, wie wir leben. Mit im Kontext reflektiert sie diese Entwicklungen und versucht den digitalen Wahnsinn begreifbar zu machen. Als Social Media Managerin arbeitet sie außerdem für das internationale Zentrum über NS-Verfolgung und der Frage, wie Erinnerungskultur digital erlebbar gemacht werden kann. Und wenn sie nicht gerade bahnbrechende Texte schreibt oder hübsche Grafiken baut, legt sie das Handy sehr gerne weg und geht in der „echten“ Welt mit ihrem Hund spazieren.