Nichts bringt Menschen so schnell zusammen, wie Schmerzen. Geteiltes Leid ist die halbe Social-Media-Miete und so bereue ich es fast, dass ich erst jetzt zum ersten Mal über das Thema Beißschiene und Bruxismus geschrieben habe.
Achso, kurz zum Kontext für alle Instagramlosen: Am Montag postete ich folgende Worte auf der Hass-Plattform meines Vertrauens.
Beißschiene: Like, wenn du weißt, was da drin ist.
Würde mich nämlich echt interessieren, wie viele andere Menschen jeden Morgen als erstes nach dem Zähneputzen ihre semi-geile Plastikschiene reinigen müssen.
Seit ungefähr drei Jahren muss ich die tragen. Genauso wie 13 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland. Damit ich mir nachts nicht die Zähne abkaue, sagen die Zahnärzte. Einmal habe ich auch schon gehört, dass ich mich doch „entspannen solle“, dann würde sich das mit der Schiene irgendwann von selbst erledigen. „Mhm, klar“, denke ich, diese teils genetisch bedingte Krankheit (die viele nicht als solche anerkennen) lässt sich in stressful late capitalism bestimmt damit bekämpfen, dass ich 2 x die Woche zum Yoga gehe.
Funfact. Ich gehe zum Yoga. Ich mache lange Pausen. Ich dehne mich und gehe extra lange spazieren. Ich jogge. Aber meine Schiene und der Bruxismus, der bleibt. Und jedes Mal, wenn ich zum Zahnarzt gehe, muss ich mir anhören, wie schlecht sich meine Zähne doch entwickelt hätten. Als ob es irgendwie meine Schuld wäre. Als ob ich das absichtlich tun würde.
„Frage mich, ob man sich mal was Besseres einfallen lässt, als die ekelige Plastikschiene, die zwar lediglich die Zähne schützt, aber halt nichts gegen die Schmerzen tut, die entstehen“, schreibt mir heute Morgen S. und ich muss hart nicken. Dann fällt mir nämlich auch wieder auf, wie jeder Morgen startet. Mit Schmerzen, die die Schiene nicht verhindert. Sie lindert lediglich den Verschleiß, aber tut nichts gegen die Ursachen.
Liebe Leidensgenoss*innen, liebe Zahnmediziner*innen und liebe Kieferorthopäd*innen: Helft uns. Schreibt hier in die Kommentare, was euch geholfen hat, ohne Betroffene zu shamen – und empfehlt auch gute Ärzt*innen per DM, die sich wirklich damit auskennen, ohne mir als Erstes ne 5000 Euro OP zum Begradigen meiner Zähne zu empfehlen.
* * *
Innerhalb eines Tages erhielt ich 126 (!) Kommentare und viele DMs, in denen sich Betroffene meldeten.
TBH: Ich hatte es schon im Gefühl, dass Bruxismus ein Thema sein könnte. Aber dass es SO SO groß ist, hat mich dann doch überrascht. Obwohl ich selbst seit drei Jahren eine Schiene trage und mindestens fünf weitere Bruxismus-Babes kenne, habe ich mich nie so genau damit beschäftigen wollen.
Ich dachte immer: „Naja, trägste das halt im Schlaf und gut ist.“
Aber nichts ist gut!!!!111 Deshalb fände ich es sehr cool, wenn sich dem Thema jemand aus Betroffenen-Perspektive auf Instagram widmen könnte.
Beißschiene: Stellenanforderungen:
- Du hast Bock, deinen Alltag mit dem Alptraum deiner Nächte zu befüllen
- Du beißt gerne mal die Zähne zusammen, wenn es in der Bruxi-Community stressig wird (HAHA! DIESE KREATIVEN WORTSPIELE BEI BRUXISMUS.)
- Du möchtest deine Alltagserfahrungen mit Bruxismus teilen
- Du probierst gerne verschiedene Ärzt*innen aus, die sich deinen Mund mal etwas genauer ansehen
- Du hast Lust, verschiedene Schienen, Physio-Therapiemöglichkeiten und alternative Heilungswege auszuprobieren und zu bewerten? Frei nach dem Motto: Viel hilft viel?
- Du hast keine Scheu, das stinkende Teil jeden Morgen in die Kamera zu halten und deinen Follower auf eine Reise ins Bruxismus-Universum mitzunehmen?
Dann bewirb dich jetzt… Nein.
Halt Stopp. Natürlich alles nur ein J.O.K.E. – ich möchte das Thema schon selbst machen! Hab ja sonst nix zu tun, und über mein herzeigbares Leid ein bisschen mit meiner Community bonden – why the hell not!
Deshalb habe ich alle Kommentare analysiert und euch die wichtigsten Erkenntnisse der Bruxismus 1 x 1 Crowd-Recherche anonym zusammengefasst. ZUSAMMEN SIND WIR MEHR. Achtung: das sind lediglich Erfahrungsberichte, keine ärztlich abgesegneten Zukunftsprognosen für deine Zähne.
1. Schiene nicht gleich Schiene.
„Die Schiene nimmt den Druck nicht raus, sondern sie verhindert nur weitere Verkürzung meiner Zähne durch Knirschen von Zahn auf Zahn.“
„Bei den Schienen, die einfach nur die Abnutzung der Zähne vorbeugen sollen, gibt ets wohl oft das Problem, dass die Zähne nicht gleichmäßig aufeinander liegen, sondern zB. Die hinteren als Erstes aufeinander liegen und somit während der Nacht sogar noch meh das Signal ans Gehirn geschickt wird, dass da ein Ungleichgewicht ist, das abgekaut werden muss und deshalb noch mehr Druck aufgebaut und der Kiefer belastet wird.“
„Was super hilft. Keine Aufbissschiene mehr, sondern eine die gleichzeitig meinen falschen Aufbiss korrigiert. Die Schmerzen am Morgen sind weg und die Kieferverspannung immerhin 30 % besser.“
2. Vielleicht ist es nicht nur Bruxismus, sondern sogar CMD.
Mein Zahnarzt hat mir eine einfache Knirschschiene verschrieben. Ich bin dann durch eigene Recherchen auf den Begriff CMD gestoßen. Craniomandibuläre Dysfunktion ist eine Kieferfehlstellung. Mein Kiefergelenk sitzt quasi Knochen auf Knochen. Eine Problematik, die den ganzen Körper betreffen kann. CMD betrifft viele Menschen, es wird aber nur von Spezialist*innen erkannt.“
„Ich bin Zahnmedizinerin. Unsere Patient*innen kriegen bei Bruxismus immer eine Funktionsanalyse, und danach folgt eine Therpaie mit einer Zentrikschiene. Im Gegensatz zu einer „normalen“ Tiefziehschiene richtet diese den Unterkiefer neu aus, in eine zentrische Position, sodass sich das Kausystem wieder in einer physiologischen Lage befindet und sich die Muskulatur entspannen kann.“
3. Physiotherapie kann von Zahnärzten verschrieben werden.
4. Ja, es gibt auch Botox für den Kiefer.
„Mir wurde vom Zahnarzt gesagt, dass effektivste sei Botox in den Masseter-Muskel spritzen zu lassen. Dadurch soll der Kaumuskel auf Dauer entspannt werden, sodass man gar nicht mehr so fest zu beißen kann.“
5. Schlafposition, Kissen und Matratze wechseln kann auch helfen.
„Mir hat eine nette Physiotherapeutin mit dem Hinweis geholfen, dass es nicht erst mit dem Beißen anfängt. Es ist wichtig auch immer zu schauen, ob die Brille richtig eingestellt ist, das Kissen passt, wie man sitzt – alles spielt in diesen super starken Muskel im Kiefer. Mir helfen: Übungen auf dem Trampolin, viel Osteopathie.“
6. Zungenbändchen checken lassen
„Auf der letzten Fortbildung erst berichtet, mit was das alles zusammenhängen kann, ua. Zähneknirschen.“
7. Sleepguard
„Sleepguard ist ein Biofeedback-Gerät, das einen mit Piepser auf Pressen bzw. Knirschen aufmerksam macht.“
8. Kiefer massieren (lassen)
„Was mir hilft: Übungen zum Kieferlockern und Kiefergelenke massieren.“
„Mir hilft total, die Kiefermuskeln zu dehnen und massieren. Als Mund so weit aufreißen wie es geht, ein paar Sekunden halten. Für die Massage drücke ich die Fingerknöchel an schmerzende Stellen und wackle diese kreisförmig.“
9. Keinen Kaugummi kauen ODER Kaugummi kaufen
„Ich kaue keinen Kaugummi mehr, um die Muskeln nicht noch mehr zu trainieren, die anscheinend zu stark sind und deswegen mehr Druck ausüben.“
„Mir hilft tagsüber Kaugummi kauen. Hilft, die Verspannungen zu lösen.“
Kommentare aus der Kategorie nicht unbedingt konstruktiv, aber dennoch sehr schön fürs geschundene Stress-Gemüt:
„Immer wenn die Zahnärztin von Stressreduktion spricht, verwandle ich mich in dieses weiße Meme-Äffchen, das sprach- und ratlos dasitzt.“
„Mal Stress reduzieren gute Idee Frau Boomer mit dreifachem Jahreseinkommen wie ich. Es ist funny, weil ich meditiere, Mache Yoga, fahre mit dem Rad zur Arbeit, ernähre mich gesund, gehe einmal im Monat auf eigene Kosten zur Osteopathin und hänge regelmäßig an der Akupressurmatte. Wenn ich noch mehr Zeit für Stressreduktion verwende, mach ich sonst nix mehr außer Arbeit und gesund bleiben.“
„Ich habe meine Zahnärztin so gerne, wie das mir bei einer Zahnärztin möglich ist, aber bei allen Kommentaren zu Stress und Entspannung werde ich wirklich aggressiv.“
Beißschiene: Was sagt eine Kieferorthopädin aus meiner Community (übrigens wie COOL IST MEINE COMMUNITY?!):
„Ich selbst bin Kieferorthopädin und Patient:innen mit craniomandibulären Dysfunktion haben wir jeden Tag. Ich selbst bin auch im Team Knirschen. Es ist ein wirklich sehr komplexes Problem und oft ist nicht ganz klar was das Knirschen auslöst. In Teilen ist es ein ganz physiologischer Mechanismus des Körpers zum Stressabbau, aber auch ein falscher Biss durch eine Fehlstellung der Zähne kann zu Schmerzen im Gelenk und übermäßigem Pressen führen. Bei Schienen ist immer wichtig nicht nur eine „Schutzhülle“ über die Zähne zu setzen, sondern mit der Schiene den Biss zu verbessern – meist Unterkiefer nach vorne. Solche Schienen nennt man adjustierte Schienen oder Positionierungsschienen. Tragedauer je nach Ausmaß der Beschwerden nur nachts oder 24 h.
Für solche Schienen braucht man zwangsläufig mehr als einen Abdruck der Zähne. Man muss die genaue Ausrichtung des Oberkiefers zum Schädel und die zentrale Position des Unterkiefergelenkköpfchen bestimmen. Dazu benötigt man einen Gesichtsbogen und ein Bissregistrat. Auf der Rechnung taucht dies meistens unter dem Begriff instrumentelle Funktionsanalyse auf.“
Arztempfehlungen für Berlin habe ich folgende bekommen:
- Dr. Sabine Quack
- Dr. Vera Maiwald
- Swetlana Martin (Ostheopathische Behandlung Praxis Andrea Renninghof)
Tja.
Wenn mich dieser Blogpost nicht wieder ein paar gute Stunden Training mit meinem Rücken und Nacken gekostet hat. Aber hey, was kost der White-Collar-Worklife?
Ich warte jetzt erstmal meinen Termin in der CMD-Praxis ab. Und vielleicht, ja ganz vielleicht werde ich dann auch darüber auf Instagram berichten.
ENDLICH habe ich meine Krankheit gefunden. #bruxismusisreal
Danke für deinen interessanten und niveauvollen Blog. Ich habe diesen Artikel mit Begeisterung gelesen. Bianca, mach weiter so.
Vielen Dank! :)
Vielen Dank für diesen informativen und humorvollen Artikel zum Thema Bruxismus! Die Zusammenfassung der Erfahrungsberichte und Tipps von Betroffenen sowie die Einblicke einer Kieferorthopädin waren sehr hilfreich und haben mir als Leser viele neue Erkenntnisse gebracht. Besonders beeindruckend fand ich, wie die Autorin ihre persönlichen Erfahrungen mit der Krankheit humorvoll und authentisch dargestellt hat.