Eine eingesprochene Version des Texts findet ihr im Steady-Podcast von Groschenphilosophin.
Ich weiß, ich weiß: Achtsamkeits-Retreats für reiche Menschen sind Baguette von gestern. Wir haben weiße Frauen und ihre profitgetriebene Aneignung von indigenen Kulturpraxen seit mindestens 2017 kritisiert, und wer heute noch „Namaste“ zur Verabschiedung sagt, der muss sich selbst wirklich sehr, sehr ernst nehmen.
Dementsprechend lame fühlen sich die ersten zwei Folgen der Hulu-Production „9 Perfect Strangers“ mit Nicole Kidman, Melissa McCarthy und Samara Weaving erstmal an, die in einem kalifornischen Luxus-Retreat mit dem Namen Tranquillum spielen. Man denkt so:
„Pff, alles schon auf YouTube gesehen, geht mir mal weg mit euren Sitzkreisen, Atemübungen und Smoothies! Soll das eine intelligente Kritik an der Wellness-Industrie sein? Falls ja, seid ihr damit ganz schön spät dran.“
Bis man dann checkt, um was es eigentlich geht, und was in den Frühstücks-Smoothies wirklich drin ist. Spoiler: Keine Bio-Goji-Beeren. Je nach Problem ein bisschen MDMA, oder Liquid E, oder Ketamin oder was weiß ich, was Masha (Nicole Kidman) da alles in ihrem supersterilen Kellerlabor vorproduziert hat, um ihren Schützlingen einen schönen Aufenthalt zu bereiten. Und genau hier beginnt die Serie, spannend zu werden.
Fast möchte man laut aufschreien: „JA!!! ENDLICH GIBT’S MAL JEMAND ZU, WARUM DIESE RETREATS FUNKTIONIEREN!!“
Denn ganz ehrlich, mit Atemübungen alleine hat noch niemand seinen toten Sohn im Wald wiedergesehen. Nur mit Sprechtherapie übrigens auch nicht.
„9 Perfect Strangers“ ist eine der wenigen Serien, in der gemäßigter, kontrollierter Drogenkonsum – und damit verbundene Vorurteile – über mehrere Episoden thematisiert werden. Die Blutwerte der Gäste werden jeden Tag kontrolliert. Wer sich gegen die Behandlung entscheidet, wird nicht zu seinem Glück gezwungen.
“We’re going to make you well”
Da ist der unleidige, schroffe Tony, der vor Jahren in eine Schlägerei mit Todesfolge verwickelt war und seither Zynismus spricht. Da ist die erfolgreiche Autorin (McCarthy <3) mit Schreibblockade, die zwar ihr Geld mit Schnulzen verdient, aber selbst zwei Mal geschieden ist. Und da ist die schuldgeplagte Mutter Heather mit ihrer Familie, die sich für den Tod ihres Sohnes verantwortlich fühlt und seit drei Jahren keine Freude mehr am Leben empfindet.
Neben den Pros und Contras von Microdosing geht es um: lange zurückliegende Traumata, ein Verbinden mit dem früheren Selbst, Suizid in der Familie, Trust-Issues und Geschwisterliebe. Alles je nach Schwere-Grad mehr oder weniger Tabu-Themen, die auf sensible, progressive Art in Mashas “Safe-Space” gelöst werden sollen.
Nach einer ersten, gesunden Portion Skepsis, lernen die Protagonisten tatsächlich wieder, Gefühle zuzulassen. Nach und nach bauen sie Barrieren ab und kommen sich auf dem weitläufigen Retreat-Geländer näher, als so manche Freunde.
Masha, die selbst „in ihrem früheren Leben“ erschossen wurde und überlebte, kennt Schmerz. „I know pain“ sagt sie mit aufgesetztem, russischem Akzent – und wirkt trotz ihrer perfekten Fassade wie eine Freundin, die man schon sein ganzes Leben lang kennt. „Kidman’s wig looks like a Lord of the Rings costume hand-me-down“, kritisiert Adrian Horton im Guadian, doch ich frage ihn: Was genau soll daran schlecht sein? Gib mir Nicole Kidman in Lord of the Rings mit egal welcher Perrücke und ja, ich würde auch das schauen.
Was die Serie meiner Meinung nach großartig macht, ist Nicole Kidman der Mix aus talentierten Schauspielern (Hello, Regina Hall aus Scary Movie ist auch dabei?), gut geschriebenen Back-Stories und der Unvorhersehbarkeit der Dinge. Auch, wenn Masha fast alles mitbedacht hat, kann sie doch nicht jeden Schritt ihrer Angestellten kontrollieren.
Auch als super-entspannter Know-it-all Guru ist man nicht vor allem gefeit. Wer aus dem Team sendet Masha heimlich Drohungen? Wie beschwichtigt man eine Patientin, die mit der höheren Dosis Drugs nicht ganz so gut zurechtkommt, wenn man gerade selbst einen LSD-Trip fährt? Und was passiert nach der Veröffentlichung des Artikels, den der investigative Journalist Lars plant?
Während in Foren-Reviews über die vermeintliche Oberflächlichkeit von Charakteren und Location gemeckert wird, frage ich mich, ob diese Menschen über so etwas wie Einfühlungsvermögen verfügen. Vermutlich nicht, sonst würden sie samstagabends nicht anonyme Postings über Serien absetzen, die sie nicht im Geringsten verstanden haben. Buh!
Statt Hortons Hate, nehme ich mir ganz in Mashas Sinne lieber diese Review auf GoodReads zu Herzen.
„I just love the way I feel when I’m reading a Liane Moriarty book. Like I’m surrounded by lovely, neurotic, warm, friends. As always, Liane’s observations about life are just so damn spot on.“
Ich glaube, da ist gerade eine neue Autorin auf meine To-Read-Liste gewandert.