Review: Die Überflüssigkeit der Dinge

„Was soll ich über dieses Buch schreiben?“, frage ich ihn. „Es ist schlicht … perfekt.“
„Ist das nicht ein schlechtes Zeichen?“, sagt er. „Wenn du nichts zu sagen hast? Oder schon alles gesagt wurde, in diesem Buch?“
Nein, „alles“ gesagt wurde mit diesem Buch gewiss nicht; viel eher ist es so, dass es Janna Steenfatt geschafft hat, mich mit ihrer Schreibe zum Schweigen zu bringen. Es ist eines der wenigen Male, dass ich keinen Kritikpunkt an nichts habe.
Die Enden der jeweiligen Kapitel? Literarisch klug ums Eck gedacht, ohne kitschig zu werden. Die Protagonisten? Komplex, mit ausreichend eigenen Gedanken und Eigenheiten, um sie voneinander zu unterscheiden und liebgewinnen zu können. Die Länge? Ideal, um in einer Urlaubswoche genossen zu werden.
„Mir war schwindelig, ich war endlich betrunken, meine Zunge rau und pelzig vom Wein. Ich sah Falk an und fand ihn auf eine Art schön, seine verschwitzte Frisur, die Lippen rotweinblau. Ich dachte darüber nach, ihn zu küssen, aber ich war sicher, er würde das falsch verstehen. Ich schloss die Augen und hörte den Grillen zu. Eine kleine schwachsinnige Sehnsucht überfiel mich, nach einem neuen, einem ganz anderen Leben. Hier, in diesem Dorf, in einer Straße, die den Namen eines Vogels trug, in einem Haus, das nicht mir, sondern der Bank gehörte. Die Möglichkeit, so zu leben. Hatte ich die Entscheidung getroffen, es nicht zu tun?“
Katharina ist Ende-Mitte-Dreißig, studierte Philosophin Slash Germanistin und lebt mit einem Mann zusammen, der mehr für sie ist als ein Mitbewohner, aber weniger als ein fester Freund. Falk kocht für sie, plant gemeinsame Wochenende in Hamburger Szenekiezen und fotografiert tagsüber Leichen, was Katharina gerne als Anekdote bringt, wenn sie doch mal fremde Menschen mit nach Hause, in ihr gemeinsames Zuhause bringt.
Die ganze Kindheit und Jugend hatte sie sich ausgemalt, wie sie eines Tages nach ihrem berühmten Regisseur-Vater suchen würde – um den Gedanken daran doch wieder nachts wegzuschieben.
Zu kompliziert die Vorstellung, ihm erklären zu müssen, warum sie sich nie gemeldet hat. Zu kompliziert der eigene Gefühlskosmos nach dem plötzlichen Tod der Mutter, die sie – aus welchen Gründen auch immer – vor dem Mann verschonen wollte, den sie jetzt sucht.
Ihr Leben? Eine Art Vorfreude auf ein unkonkretes Später. Warten auf das richtige Leben, mit einem schalen Beigeschmack, und hätte ihr damals jemand gesagt, dass sich in der folgenden Dekade nichts Wesentliches ereignen würde, hätte sich alles vermutlich anders angefühlt.
Die Zwischentöne in Katharina und Falks Beziehung. Die kleinen Dinge, die ihr signalisierten, dass es eben nicht reicht. Der ganze Themenkomplex „Good on paper“, gepaart mit der unkonkreten Abneigung den Körper eines anderen anzufassen, wenn sich die Gelegenheit dazu doch täglich ergab.
„Falk gehörte zu den Menschen, die ich mir nicht beim Sex vorstellen konnte, was an seinem Beruf lag, seinem Verhältnis zu Körpern. Er selbst hatte keinen Körper, jedenfalls keinen, der sich durch irgendetwas in den Vordergrund drängte. Alles an ihm war zu groß und zu dünn. Fraglich, ob er überhaupt Sex hatte.“
Katharinas Mutter dachte nach ihrem Besuch stets, die beiden seien ein Paar und war durch nichts in der Welt davon abzubringen. Es spielte keine Rolle Warum sollte Katharina jemanden von diesem Gedanken abbringen? Schämen tat sie sich seiner nun auch wieder nicht.
Janna Steenfatt schreibt so gut, dass jede Seite dieses Buches als Leseprobe dienen könnte und es beinahe unmöglich ist, eine Auswahl von „Lieblingsstellen“ zu präsentieren.
Ein großartiger, erster Roman, der Hoffnung auf mehr macht.
Mir ist doch noch etwas aufgefallen. Der Roman klingt wie die Vorlage eines perfekten Romans. Wie ein perfekter Haufen Text, der nach einer „So klingt deutsche Literatur, wenn sie hochwertig ist“-Schablone produziert wurde. Ist es Steenfatts Stil, oder imitiert sie einen Stil, der in den richtigen Kreisen Lob erhaschen würde?
Obwohl mir alles am Manuskript gefiel, frage ich mich, ob ich mich noch in einem Jahr an den Titel erinnern werde.
Wie ich mich kenne, vermutlich nicht.
Und was bedeutet das dann?
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