Wenn ich Klavier spiele, dann immer Stücke in Moll. Und wenn ich lese, dann gerne über tragische Schicksale. Wo kämen wir denn sonst hin, wenn Geschichten von den glücklichen Nachmittagen unserer Kindheit handelten?

Seit ein paar Jahren kaufe ich mir ganz gerne Bücher über tote Väter. Keine Ahnung, warum. Meiner lebt, und das hoffentlich noch eine ganze Weile. Trotzdem werde ich in Buchhandlungen magisch von Romanen über Trauer und masochistisch-anmutende Heilungsversuche angezogen. So auch dieses Mal bei „Permission“ von Saskia Vogel.

Fast so, als ob ich damit etwas vorwegnehmen, mich vorbereiten könnte.

Was sagt der Klappentext über Permission?

Nachdem Echos Vater von einer mörderischen Strömung an den Küsten von Los Angeles in den Tod gerafft wird, sinkt die junge Frau in einen sie immer tiefer herabziehenden Strudel der Lähmung. Ohne wahre Freunde und belastet mit einer nicht unkomplizierten Beziehung zu ihrer Mutter, versucht die gescheiterte Schauspielerin Trost zu finden, indem sie sich in den Leben von Fremden verliert.

Als sie zufällig der Domina Orly begegnet, fühlt es sich für sie endlich so an, als hätte sie jemanden gefunden, der sie für das, was sie ist, hegt und schätzt. Doch Orlys gut fünfzigjähriger Houseboy, Piggy, ist noch nicht willens, jemand anderen an der intimen Beziehung zu seiner Herrin Teil haben zu lassen, für die er doch alles gegeben hat.

Was sage ich

Wisst ihr, ich wollte diesen Roman wirklich von Anfang bis Ende lieben. Schließlich habe ich ihn selbst ausgesucht (lol)! Ohne Influencing. Ohne Empfehlung. Es geht um Gender und Gewalt, Sex als Kompensationsmechanismus und anstrengende Mutter-Tochter-Konflikte. Jackpot.

„Ich hätte ihr vorgeworfen, ihn von sich gestoßen zu haben, und sie hätte mir meine Angst als Grund für seinen Tod vorgehalten. Wenn wir uns erschöpft hätten, hätten wir vielleicht zusammen geweint, und über den Verlust eines Mannes geredet, der nie besonders gut darin gewesen war, in seinem Leben Platz für uns zu schaffen.“

Voller Begeisterung habe ich die ersten vierzig Seiten verschlungen und mir immer wieder nette Stellen angestrichen. Da waren sie, meine geliebten Landschaftsbeschreibungen von LA. Die langen Autofahrten, die mich träumen ließen. Die Surfer. Ich konnte förmlich spüren, wie die Umgebung roch, in der Echo (Hauptprotagonistin) als Einzelkind aufwuchs. Spüren, aus welchen Gründen sich die Eltern irgendwann auseinandergelebt hatten und warum die trauernde Hauptprotagonistin sich nach mehreren gescheiterten Casting-Vorsprechen mit 24 wie eine Loserin fühlte.

„Im Haus meiner Kindheit zu sitzen, fühlte sich auf einmal wie ein Scheitern an, ich verlor den Blick auf den Wert des Lebens.“

Ich feierte den Roman für seine sprachliche Tiefe, und auch die gut recherchierten Details und Zitate. Für die Momente, in denen ich stillhalten und meinen eigenen Assoziationen nachfühlen konnte. „Permission“ schien mir stellenweise eher wie ein Gedichtband, als ein Roman. Ein prosaisches Gegenstück zum flapsig-formulierten Sachbuch der Gegenwart.

„In meinen Armen verdrehten meine Geliebten die Augen. Öffneten ihre Münder, boten mir ihre Zungen dar, ihre Träume und Beichten.“

Ich wollte einen Roman lesen, dessen Fokus auf der Schönheit des Begehrens liegt. Und ich bekam, was ich suchte. Zumindest im ersten Drittel des Buches. Ich fuhr auf dem Beifahrersitz mit Echo in die Nacht, um diesen Musiker zu treffen und konnte ihre Begeisterung für die neue Nachbarin Orly lebhaft nachvollziehen.

Trotzdem verlor ich nach und nach Interesse an der Handlung.

Woran lag’s?

Irgendwie flutschte es nicht, nachdem ich das Buch für ein paar Tage weggelegt hatte. Vielleicht würde diese Review anders ausfallen, wenn ich gleich weitergelesen hätte. Aber so entstand eine Lücke in meiner Rezeption; ein Unterschied zwischen dem ersten Mal, als ich das Buch aufschlug, und zum zweiten Mal. Fast wie bei einem besonderen Essen, von dem man seinen Freunden vorschwärmt, nur um beim gemeinsamen Dinner festzustellen, dass das Fleisch zu trocken war und das Ambiente doch irgendwie billig.

Die schöne Sprache nutzte sich wie bei einem überlangen Gedicht irgendwann ab, und die Charaktere, die mich noch zu Beginn packten, bekamen keine weiteren Tiefen oder relevanten Backstories.

Ich konnte weder ein vollständiges Bild von Echo, noch von der plötzlich zugezogenen Nachbarin / Domina Orly bekommen – und so blieben beide Figuren für mich eine nicht zu Ende skizzierte Parodie ihrer selbst. Die Leserin erfährt geradezu lächerlich wenig über die Geliebte der Hauptprotagonistin. Wie soll da Interesse am Ausgang der Story aufkommen?

Über hundert Seiten lang konnte mich Echo nicht davon überzeugen, mehr zu sein als ein 24-jähriges Rich Girl aus LA, das nicht weiß, was sie will. Und es gelinde gesagt auch nicht nötig hat, das Geld, das sie als Aktmodell verdient, jemals abzuholen. Wenn das der ganze Punkt hätte sein sollen: Fair enough. Aber langweilig und schon zig Mal dagewesen war dieses Sujet trotzdem.

Vielleicht hatte ich zu große Erwartungen an Echos Persönlichkeit. So ist es ja oft mit Romanen. Man wünscht sich dies, und bekommt jenes. Nach Lektüre des Klappentexts stellte ich mir vor, dass Echo ihre Sexualität selbst in der Hand hat und sich nicht – out of the blue – wegen einer anderen Frau ins Domina-Business begibt, auf das sie eigentlich gar keinen Bock hat (wenn ich das aus dem Text richtig interpretiert habe).

Die Beziehung zwischen Domina Orly und Hauptprotagonistin Echo konnte sich nicht über mehrere Kapitel weiterentwickeln und wachsen, weswegen mir auch der Wechsel von „Oh, ich werde hier im Hinterzimmer von einem Hollywood-Agenten vergewaltigt“ zu „Ich lasse mir von Fremden die Zehen gegen Geld ablecken“ etwas plötzlich, zu schnell und auf den letzten Atemzügen des Buches erzwungen schien. Ja, das ganze letzte Drittel des Buches wirkte zu skurril, um wahr zu sein. Wie die Fantasie einer Person, die noch nie etwas mit BDSM oder Sexarbeit zu tun hatte.

„Er stöhnte und leckte meinen Fuß von der Ferse bis zu den Zehen ab. Er verfiel in einen Rhythmus. Er wusste ganz genau, was er tun wollte. Mit der Zunge. Mit der Nase. Er massierte meine Füße und Unterschenkel (…). Währenddessen murmelte er vor sich hin, wie glücklich er sei, eine Frau wie mich gefunden zu haben.“

Die guten Stellen spielen sich meiner Meinung nach hauptsächlich mit Echos chronisch depressiver Mutter aus Deutschland ab, die ihr Leben der Familie unterordnete und jetzt die Rechnung dafür präsentiert bekommt.

Der Rest wirkte wie ein teils kitschiges („Jeder ihrer Atemzüge ein Vibrieren“, „Ich wollte verschmelzen“), teils verworrenes Dickicht aus nicht zu Ende geführter Erzählstränge. Spätestens bei dem Perspektiven-Wechsel von Echo zu Piggy hat mich die Autorin komplett verloren. Wollte ich in den Kopf eines fünfzigjährigen Mannes schlüpfen, der jeden Dienstag die Wäsche seiner Herrin macht und für sie einkaufen geht? Was soll der stilistisch nicht zum Rest passende Liebesbrief an Orly?

Was mir den Rest gab, war das Ende. Als Orlys Diener (Piggy) Echos Füße mit feuchten Wattebäuschen sauberwischt und ihr die Schuhe überzieht, wird die Domina instant eifersüchtig und greift zu einer performativen Machtdemonstration auf der Bühne der Sex-Party. (wtf did I just write.)

„Nur Piggy hörte Orly sagen: Ich entscheide, ob und wann ich dich benutze. Ist das klar?

Ja.“

Warum lehnte Orly Echo auf diese brutale Weise ab? War sie für Orly nichts weiter als eine Komplizin, die sich nicht an Piggy ranmachen sollte? Waren sie letztlich dank Capitalism doch … nichts weiter als Konkurrentinnen?

Entweder, ich bin wirklich schlecht darin, zwischen den Zeilen zu lesen, oder das Buch möchte absichtlich Raum für Interpretationen lassen.

Falls Letzteres der Fall ist: gut gemacht. Ich weiß weder, ob die beiden Frauen in einer Beziehung sind; noch, ob Orly das in Zukunft anvisieren möchte. Hundert Seiten mehr hätten dem Roman meiner Meinung nach gutgetan.

In der jetzigen Fassung war ich dann doch froh, dass er nach 224 Seiten vorbei war.

Am Ende ist es so wie mit dem Sex auch: vermutlich eine Geschmacksfrage. Eine große Portion Respekt geht an dieser Stelle an Saskia Vogel, die sicherlich viel Arbeit in das Manuskript gesteckt hat und einige brillante Szenen, Dialoge und Prosa-Pieces unterbringen konnte.

„Permission“ ist 2021 im Secession Verlag erschienen.

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