Look. Wir können uns vermutlich alle darauf einigen, dass Billie Eilish absolut ihre Daseinsberechtigung am Popolymp hat. Ihr ubererfolgreiches Album „When we all fall asleep, where do we go?“ lieferte vor zweieinhalb Jahren einen Sound, den man so noch nicht gehört hatte. Scharen von Dance-Companies überlegten sich Tanzchoreografien zu den unkonventionellen Tracks, die ein unkonventioneller Teenager in seinem Kinderzimmer geschrieben hatte. Und auch in meinem Wohnzimmer lief das Album rauf und runter.

Die Story war zu gut, um sie nicht zu lieben: Depressiver Teenager singt sich seine Suizid-Gedanken vom Leib. Dazu ein talentierter Bruder, der das ganze Ding produziert und dabei trotzdem auf dem Boden bleibt. Die Eilish-Geschwister (wie ich sie fälschlicherweise nenne) wurden mächtig und berühmt, ohne dabei jemals mächtig und berühmt zu wirken. Billie kam trotz des Medienrummels immer „ganz normal“ daher, giggelte in die Kamera und lachte mit Journalisten, als ob sie ihre Freunde wären. Naja, waren sie ja auch ein bisschen.

Mit ihren Baggy-Klamotten und seltsam gefärbten Haaren wirkte Billie kein bisschen wie die instrumentalisierten und dressierten Popstars der frühen 00er-Jahre. Feminismus, #MeToo und #FreeBritney sei Dank.

Ich muss zugeben: auch für mich als Rezipientin fühlte es sich gut an, dass ich nicht einer weiteren Sechszehnjährigen beim öffentlich-dokumentierten Absturz zusehen musste. Es wirkte so, als hätte Billie ein stabiles, soziales Umfeld, das wirklich nur ihr Bestes möchte. Die Beziehung zu ihrem Bruder – beneidenswert! Die Kontrolle über den eigenen Körper – so soll es sein!

Und dann kam … das Vogue-Cover. Und damit mein erster Billie Eilish Cringe-Moment. Er äußerte sich in einem kurzen Piksen in der Brustgegend. Fast, wie eine Absage. Nicht, weil sie sich auszog. Gott bewahre – Freizügigkeit ist schon lange kein Tabu mehr (auch, wenn es sich immer wieder lohnt, dieses vermeintliche Tabu zu “brechen”). Sondern, weil Billie meiner Meinung nach genau zu diesem Zeitpunkt anfing, ihre Authentizität zu verlieren und ihre Brand zu verwässern.

 

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Hear me out.

Es sind drei Punkte, die die „neue“ Marketing-Strategie (?) der Billie Eilish meiner Meinung nach unsympathisch machen – und die Antipathie im Netz ein Stück weit erklärbar.

1. Das neue Image wirkt gewollt und erzwungen

Nach all den Hässlichkeiten, die weiblichen Stars bereits online wie offline widerfahren sind, liegt die reflexartige Verteidigung der Billie Eilish nicht weit. Ich höre schon die Gegenstimmen.

„Ja, aber wenn Billie das doch selbst wollte? Wenn sie sich eben erst jetzt wohl in ihrem Körper fühlt?“

„Warum darf sie mit ihrem Körper nicht einfach machen, was sie möchte? Feminismus!“

Das Argument, dass alles, was Frauen machen, automatisch feministisch und empowernd sei, dröht schon in meinem Kopf.

Was viele nicht verstehen: Das „Problem“ war nie Billies Freizügigkeit, sondern der plötzliche Mindshift. Fast so, als würde sich ein überzeugter Veganer aus einer Laune heraus ein fettiges Schnitzel bestellen und dabei laut schreien: „YO! Ich esse von jetzt an was auch immer ich will, ihr F*cker! Und niemand hat mich dafür zu verurteilen.“

Was die Menschen / Fans meiner Einschätzung nach verwirrte, war also nicht Billies “sexuelle Emanzipation” und ihr Verlangen nach sichtbarer Haut (machen doch EH ALLE o.O), sondern die mangelnde Glaubwürdigkeit der dahinter liegenden Motivation.

Ich mache, was ich will“ ist ein starkes Statement, aber kein starkes Argument. Während es leicht nachzuvollziehen war, warum sich Billie früher nicht „nackt“ zeigen wollte (Objektifizierung, etc.), ist es jetzt nicht mehr ganz so leicht, das Gegenteil dessen ohne „aber“ gutzuheißen. Ist ja schließlich nicht so, als ob es kein Patriarchat, keinen male gaze und keine Machtstrukturen im Music-Business gäbe.

Billie fing an, typische Feminismus 1×1-Statements ohne Grip als Rechtfertigung für das Shooting zu gebrauchen (“Suddenly you’re a hypocrite if you want to show your skin, and you’re easy and you’re a slut“) und ein großes Ding um ein Thema zu machen, über das sie eigentlich kein großes Ding machen wollte.

Im Interview mit der Vogue federte Billie etwaige Kritik an ihrem Outfit bereits präventiv ab: “My thing is that I can do whatever I want.” Ja-ha, wir haben es inzwischen verstanden. Selbstbewusstsein als Panzer? Kann sie. Ganz nach der gerade angesagten Manier des Choice-Feminism droppt sie ein paar Zeilen später auch folgenden Satz: “It’s all about what makes you feel good. If you want to get surgery, go get surgery.”

Ein Satz, der auf Insta viel Applaus einheimsen würde. Die Normalisierung von Schönheits-OPs unter der Prämisse der Selbstbestimmtheit lässt dabei völlig außer Acht, dass wir uns eben nicht in einem luftleeren Raum bewegen. Dass wir in einer massenmedial dokumentierten Öffentlichkeit etwas eben nie, oder nur sehr, sehr selten nur für uns selbst machen. Was auch immer das überhaupt bedeutet.

Whatever. Aus pophistorischer Perspektive ist der Look, den sie jetzt trägt, zudem nichts Neues. Wissen alle, die die letzten zwei Jahrzehnte mehr als genügend Marilyn-Monroe-Covershootings gesehen haben.

For her Vogue shoot, she is indulging a fantasy by embracing a “classic, old-timey pin-up” look inspired by Betty Brosmer.

Vogue 2021

X-Tina, Scarlett Johansson – you name it. Jeder wollte mal die „blonde Sexbombe“ spielen, mit aufgehelltem Haar, Korsagen, lasziven Blicken und roten Lippen.

Erwachsen werden.
Die eigene Sexualität embracen. Daran ist nichts besonders innovativ, aufregend oder gar überraschend.

Gähn!

Wäre Billie Eilish gleich mit diesem Look gestartet – hätte man sie dann auch so gefeiert? Oder hätte man sie, böse gesagt, in eine Schublade mit den anderen gesteckt.

TL;DR: Kommt Billie 2021 wie die instrumentalisierten und dressierten Popstars der frühen 00er-Jahre rüber? Nein. Hat die Verwandlung trotzdem einen seltsamen Beigeschmack à la “I’m not a girl, not yet a woman”? Maybe.

2. Sie bricht mit allem, wofür die alte Billie stand (inklusive ihren Fans)

Werden wir als Außenstehende jemals nachvollziehen, welche Aspekte Billie letztlich zu der Entscheidung führten, ihr Image umzukrempeln? Weg von der depressiven Jugendlichen, hin zu einer … glücklicheren, körperlich freieren Variante ihrer selbst?

Vermutlich nicht.

Wer hatte genug von der „depressiven“ Emo-Billie? Sie selbst? Ihr Management? Ihre PR-Abteilung?

Aus PR-Perspektive macht es natürlich immer Sinn, sich für ein neues Album auch gleich neu zu erfinden. Einen “neuen Aspekt” der Persönlichkeit zu akzentuieren und die eigene Entwicklung in Form von präzise gestreuten Intimitäts-Häppchen zu vermarkten.

Es ist kein Zufall, dass Promis ihre Scheidungen meist zeitgleich mit lukrativen Werbe-Deals oder dem Start eines neuen Films verkünden; sich das Unglück des Lebens vor den Karren sparren, um die Aufmerksamkeit zielgerichtet zu fokussieren. Die visuelle Begleitung und monetäre Verwertung erledigt sich dabei beinahe von selbst. Und ein bisschen nackte Haut? Hat sowieso noch niemandem geschadet. Umso besser, wenn sie jetzt sogar als feministisch gilt.

Dabei kommt „Happier Than Ever“ gar nicht unbedingt glücklicher, sondern einfach sehr viel konventioneller, wenn nicht gar langweiliger daher.

Ein Blick zur Album-Description auf Apple Podcasts zeigt, wie sehr Billie Eilish einen auf “Ich habe wirklich keine Probleme mehr” machen möchte. Fast so, als ob ihr ihr altes Ich peinlich wäre. Als ob ihr ihre alten Probleme peinlich wären. Und damit die Menschen, die heute vielleicht auch noch Probleme haben. Die ihre eigenen Ängste nicht so einfach überwinden konnten.

Es gab keinen Zwang, Druck oder Ängste“, sagt Billie gegenüber Apple Music über die Entstehung des Albums. „Es war schön.“ (…) „Ich habe das Gefühl, dass alles, was ich zuvor geschaffen habe – so sehr ich es auch liebe – aus einem Kampf mit mir selbst entstand.“

Good Vibes only for Billie. Es ist schön zu sehen, dass ihr das Singen und Songs-Aufnehmen anders als beim ersten Album gefallen hat. Dafür klingt das neue Album laut derStandard Musik-Kritikerin Amira Ben Saoud (SHOUT-OUT, btw) auch: „oft schlichtweg fad. Experimentell mit Ergebnissen, die mal Spuren von Genialität enthalten, mal besser den Weg in den Rundordner gefunden hätten.“ Hier mehr kritische Stimmen aus der Musikwelt zum Album.

Ich muss mich da anschließen. Das neue Album packt mich einfach nicht. Schon bei den Pre-Releases „My Future“ und „Your Power“ saß ich nichtsfühlend da und fragte mich: “Hä? Das ist also … alles, was noch kommt?”. Und das liegt nicht daran, dass Billie nicht mehr depressiv ist oder alle Künstler, die wertvolle Musik machen, psychisch krank sein müssen. Ich finde dieses Narrativ durchaus problematisch und bin über jeden Popstar auf dieser Welt froh, der seinen Kummer nicht in Drogen oder Alkohol ertränkt.

Viel naheliegender ist meiner Meinung nach, dass Billie durch ihre Hyper-Visibility und Überpräsenz zu einem herkömmlichen, überall verfügbaren Audio-Massenprodukt inklusive passender Verkaufsstrategien und Floskeln (“Fame ist soo anstrengend”) geworden ist.

Und das … merkt man. Billie wirkt durchschaubar. Der Zauber ist zumindest ein bisschen verflogen.

Sie ist schon lange nicht mehr Nische, und das ist für eine “artsy” Marke wie jene von Billie nicht immer nur von Vorteil. Sie ist – Authentizität hin oder her – ein Produkt. Ihr Außenseiter-Habitus und ihre Bindung zu den Fans waren es, was sie als Musikerin neben ihrer Stimme auszeichneten. Diesen Vorteil hat sie durch diverse große Deals mit Labels und Streaming-Anbietern heute nicht mehr.

Zwar stehen jetzt AppleTV+ und Disney und die Vogue sowieso und überhaupt fast alle großen Medienkonzerne dank Billies bravem Mittun hinter ihr – dafür hat sie ziemlich wahrscheinlich an Fan-Support eingebüßt.

Spätestens beim Track „Lost Cause“ gab es erstmals richtig Ärger.

Als Billie den Song auf Instagram mit den Worten „I love girls“ bewarb, hagelte es Queerbaiting-Vorwürfe. Billie Eilish sei „klar heterosexuell“, und würde jetzt nur auf “den LGBTQI-Trend aufspringen”, um edgy zu wirken. Lesbische und queere Frauen* machten mit deutlichen Worten klar, dass sie sich von Billie Eilish verarscht fühlten.

Wenig “hilfreich” war dann natürlich auch, dass ausgerechnet kurz nach dem Video-Release zum Track “Lost Cause” Fotos mit ihrem 30-jährigen BF auftauchten und Billie auf Instagram ein … naja, sagen wir zumindest ziemlich harsches Posting zum Thema Fan-Culture geliked hat. Hier ein Video zur Debatte. Oder lest einfach diesen Tweet:

Billie verlor mit Fan-Shaming und dem Leak der neuen Beziehung Zehntausende von Followern. Viele konnten nicht verstehen, warum sie ausgerechnet diesen Typen (Lost Cause #2?) dated.

Womit wir beim nächsten Punkt wären.

  • 3. Verwässerung: Billie Eilish verliert an Aussagekraft

Unlängst bei einem Getränk mit meiner Freundin N. kamen wir auf die Haltung von Billie Eilish zu sprechen.

„Für was steht Billie eigentlich?“, fragte ich sie. „Keine Ahnung“, antwortet sie. „Billie Eilish ist für mich inzwischen absolut nichtssagend.“

Seltsam. Obwohl ich einige Interviews mit Billie gehört und gelesen habe, obwohl ich sogar die Apple TV+ Doku gesehen habe, fällt mir nichts ein, wofür Billie mit ihrem Namen und Gesicht nachhaltig einsteht. Außer für Adobe Cloud Post Productions.

Sie ist weder politisch; noch kritisch, was den Zustand unseres Planeten betrifft.

Wenn man Billies Insta durchklickt, hat man das Gefühl eine ganz normale 19-Jährige beim Sich-selbst-Inszenieren zu beobachten. Ihre Captions sind kaum länger als „I am tired“ oder „Ah.“ Statt Gerüchte zu kommentieren, schweigt sie. Ein Akt der Emanzipation? Oder einfach ein gleichgültiges “Fuck you”, fucking Stans?

Klar kann man (AKA Billie) ihre Meinung ändern. Doch wer ständig seine Meinung ändert, wirkt irgendwann unglaubwürdig.

 

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Nicht gerade … deep. Aber muss es ja auch nicht sein, ne? Sie ist ja schließlich nicht Greta Thunberg.

Am 5. August postet Billie eine Reihe von Fotos aus ihrem Urlaub. Darauf zu sehen: Architektonische Prachtwerke, teure Autos und schaumige Eckbadewannen. Billie scheint es echt gut zu gehen. Mit ihrem neuen Leben, ihrem neuen Lover und ihrem neuen Album. Wer sollte es ihr nicht gönnen, nach all dem, was sie bereits durchgemacht hat?

 

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Trotzdem scheint es, als hätte Billie bei aller ihr vergönnter Happyness in Zeiten wie diesen den Bezug zur Realität verloren – und damit auch zur Realität ihrer Fans. Für viele Menschen ist 2021 gerade eben nicht die happiest time ihres Lebens angebrochen, sondern die schlimmste. Inklusive Umweltkatastrophen, Eco-Anxiety, Jobverlust und einer weltweiten Pandemie.

Irgendwie ist gerade nicht das Jahrzehnt, um zu flexen und “einfach sein Ding” zu machen. Schlechter Vergleich an dieser Stelle: Taylor Swift ist zumindest genauso rich wie Billie, und doch haben Swifties (was ich mir habe sagen lassen) nicht das Gefühl, von Taylor „vergessen“ oder abgehängt worden zu sein.

Und vielleicht ist es das, was aktuell so viele nicht abkönnen: Billies Verwandlung in eine „ganz normale“ reiche Amerikanerin, die ihre Privilegien in vollen Zügen genießt und keinen Hehl daraus macht, dass es ihr scheißegal ist, „was andere von ihr denken.“ Allen voran ihre Fans.

Die, die sie einst vergöttert haben? Wissen ja “ohnehin nichts über ihr Privatleben” – wie sie gerne in Interviews betont. Was btw auch ihr gutes Recht ist. Fandom ist und wird immer kompliziert bleiben. Dennoch kann man den schmalen Grat zwischen grenzenloser Nahbarkeit und ablehnender FU-Attitüde imho auch anders meistern.

So oder so: Sie ist nicht mehr „eine von uns“ – und vielleicht ist sie es auch nie gewesen. Vielleicht war Billie einfach schon immer gut darin, sich zu verkaufen. Und wir haben es vor lauter Projektion nicht gemerkt.

Na dann.
Sie wird es schon wissen.

Was denkst du? Haben Fans zu hohe Erwartungen an eine junge Frau wie Billie? Sag’s mir per Mail oder in den Kommentaren.

Edit 19.08, 16:13

Natürlich lastet ein immenser Druck auf Billie Eilish und natürlich muss sie es niemandem recht machen / aktivistisch auftreten / eine Demo initiieren. Weder ihren Fans, noch irgendwelchen Menschen, die Artikel im Internet schreiben. Ich habe den Fokus deshalb auf die subjektive Wirkung und Wandlung der Marke Billie gelegt, und nicht auf ihre tatsächlichen, mir unbekannten Charakterzüge oder ihren Struggle mit der Öffentlichkeit.

Fakt ist: Sie lebt als Musikerin in der Öffentlichkeit und vertreibt dort ihr Geistiges Eigentum, das von anderen bewertet und mit Hilfe von subtilen und weniger subtilen PR-Maßnahmen beworben wird. Genau darauf einen Blick zu werfen, hat für mich in diesem Beitrag eine höhere Priorität, als Billies Erfahrungen als Mensch zu diskutieren oder gar zu diskreditieren.

Billie, ich werde dich natürlich trotzdem weiter hören! LOVE YA!

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