Anderthalb Jahre sind seit meinem Entschluss vergangen, Jura zu studieren.
Anderthalb Jahre wusste ich nicht, ob sich die Entscheidung, wieder an die Uni zu gehen, lohnen würde. Muss man sich ja auch mal mit abfinden: selbstständige Medienunternehmerin gibt nach vier Jahren „alles auf“, um dann mit Ende zwanzig / Anfang dreißig wieder von vorne zu beginnen.
Am meisten plagten mich die Fragen, die ich vor anderthalb Jahren unmöglich beantworten konnte.
• Verstehen Personaler überhaupt, warum ich die Branche wechseln wollte?
• Was werden „die Menschen“ zu meinem ungewöhnlichen Lebenslauf sagen?
• Muss ich mich rechtfertigen?
Schließlich würde ich die Antworten darauf erst haben, wenn ich mit dem Studium bereits fortgeschritten war. Man kann sich nicht auf law-related Jobs bewerben, ohne etwas in diese Richtung vorzuweisen.
Jetzt, wo ich mitten im Bewerbungsprozess stecke, kann ich erste Antworten geben. Und vielleicht auch mit dem Vorurteil aufräumen, dass man das, was man mit Anfang 20 wollte, für den Rest seines Lebens machen muss.
„Wir haben uns dazu entschlossen, künftig getrennte Wege zu gehen“
Ganz ehrlich, bei manchen Bewerbungsgesprächen fühlte ich mich wie eine geschiedene Frau, die beim ersten Date erzählen sollte, warum sie sich trotz der vielen glücklichen Jahre gegen ihren Traumprinzen entschieden hat.
Wie auch in der Liebe glaube ich daran, dass sich manche Paare auseinanderleben können – ohne, dass die ursprüngliche Kombination per se falsch war. Vielleicht möchte der eine unbedingt jeden Freitagabend gemeinsam Tennis spielen, während der andere schon beim Gedanken daran Magenweh bekommt. Die eine möchte eine klassische Familie, die andere nicht. Er liebt Sci-Fi, sie liebt Stummfilme aus den 1920ern. Kurz: Es gibt keine „einfache“ Antwort darauf, warum man einen Menschen, einen Ort oder auch eine Profession verlassen möchte.
So individuell wie der einstige Wunsch nach genau dieser einen Arbeit war, so stark kann später die Abneigung dagegen werden. Ich möchte schon länger nicht im Journalismus und der Medienbranche lohnarbeiten, weil ich mit den Arbeitsbedingungen und den Nutzungsbedingungen zur Verwertung meines Geistigen Eigentums nicht einverstanden bin – was übrigens auch der Hauptgrund war, IP-Law zu studieren.
Ich möchte nicht über Dinge schreiben, ich möchte aktiv an realpolitischen oder juristisch-technischen Lösungen mitarbeiten und gemeinsam mit Anwält*innen oder Berater*innen an spezifischen Fällen und Technologien arbeiten, die unsere (Arbeits)Welt wirklich verändern.
Außerdem finde ich Journalismus schlichtweg … langweilig. Es interessiert mich nach zehn Jahren nicht mehr, „Zeitgeist“ zu produzieren und „am Diskurs“ teilzuhaben. Frei nach dem Motto: Viel Luft um nichts. Von den journalistisch angesprochenen Problemen wird nur ein Bruchteil von den Journos selbst gelöst.
Mir reicht das nicht mehr für meine Zukunft.
So, und was sagen jetzt die Personaler zu meinem Lebenslauf? Wie sind die Reaktionen?
Erstaunlich gut.
Ich hätte nicht erwartet, dass ich so viele Einladungen zu Gesprächen bekomme.
Eher habe ich mit Absagen aufgrund meines „zu diversen“ oder „seltsamen“ Lebenslaufes gerechnet. Start-Up hier, Agentur da. Dazwischen Lehre und Schreiben. Außerdem – so dachte ich – bewerben sich historisch bedingt sowieso nur klassische BWLer und Juristen auf Stellen, die mich interessieren. Da habe ich als Geisteswissenschafterin / Autorin / IP-Juristin in the making eh weniger Chancen.
„Nicht Fisch, nicht Fleisch – was sollen die mit mir?“
Vielleicht habe ich die Gegenwart des Recruitings dann doch unterschätzt!
Denn tatsächlich hat mich noch niemand vor den Kopf gestoßen. Oder Dinge gesagt wie:
• Hä, sind Sie eigentlich völlig bescheuert, dass Sie glauben, hier mithalten zu können?
• Aber …. Ohne Staatsexamen sind sie doch sowieso unbrauchbar?!
• Naja, an Ihrer Stelle hätte ich so spät nicht nochmal was Neues angefangen.
Das Feedback zu meinem Lebenslauf und meinen Anschreiben hätte nicht konträrer zu meinen Befürchtungen ausfallen können. Oft wurde mein Profil gar mit den Worten „sehr interessant, möchten wir genauer kennenlernen“ kommentiert.
Recruiter sind – mein Eindruck – an der Interdisziplinarität von Bewerber*innen interessiert und sehen durchaus, dass auch ein abgeschlossenes, geisteswissenschaftliches Studium gewisse Fähigkeiten wie kritisches Lesen, Schreiben, Denken mitbringt, das mit juristischem Basic-Know-How angereichert einen guten Para Legal, Consultant oder Chance Manager macht. Es sind genau diese neuen, emerging Jobs, auf die sich Nicht-Volljuristen jetzt spezialisieren können.
Was mir auch gerade positiv zuspielt: die gute, alte Digitalisierung – beziehungsweise ein Mangel davon in same old, same old Deutschland. Auf ZDF gibt es gerade eine ganze Doku-Reihe mit dem Namen „Vorschriften, Verordnungen, Gesetze – die Bürokratie hat uns Bürger fest im Griff“. Womit wir bereits direkt beim Thema wären.
Denn auch in der Juristerei ist das 21. Jahrhundert noch laaaaange nicht angekommen. Damit Deutschland als Wirtschaftskraft in den kommenden Jahren also nicht noch stärker abgehängt wird, brauchen immer mehr Unternehmen Quereinsteiger, die sich dem Thema Digitalisierung annehmen – auch ohne 1. oder 2. Staatsexamen.
Denn die? Werden gerade bei Großkanzleien und Gericht händeringend gesucht.
Fazit
Muss ich wirklich von „vorne“ anfangen? Nein. Denn meine Arbeitserfahrung aus der Lehre, dem Mentoring und Consulting und meinen verschiedenen Projekten sind ja nicht weg. Ich bin keine Berufsanfängerin mehr, die nicht weiß, wie sie eine Präsentation hält. Ich habe ganz einfach meinen Fokus verändert, und setze meine „alten Fähigkeiten“ in einem neuen Bereich ein. Klar muss ich immer noch viel dazulernen, Bücher wälzen und mich in Unternehmensprozesse einarbeiten. Aber das muss man doch bei jedem neuen Job.
War meine Angst berechtigt? Auf jeden Fall – wenn auch nicht in diesem lähmenden Umfang.
Wer bereits ein abgeschlossenes Universitätsstudium in der Tasche hat und danach in einen neuen Bereich hineinrutscht, wird es immer einfacher haben als jemand ohne Uni-Abschluss. Surprise, Surprise.
Frei nach dem Motto: Wer studierte Physikerin und studierte Anthropologin ist, wird kaum schief angesehen. Zusätzliche Bildung aus Academia genießt einen guten Ruf und ist anerkannt. Oft wird zudem das schon so oft erwähnte abgeschlossene (!) Studium als Basis verlangt.
Über Fragen nach der eigenen Motivation darf man sich trotzdem nicht wundern.
Ich? Wäre ehrlich gesagt auch neugierig!
Bist du gerade dabei, etwas Neues zu studieren?
Oder möchtest du in den nächsten Jahren den Fachbereich wechseln?
Sag’s mir per Mail oder in den Kommentaren, wie es dir damit ergangen ist.
Super spannend deine Erfahrungen zu lesen. Ich war auch mal im Journalismus und das war immer mein Traumberufsziel, als ich aber drin war haben mich die Arbeitsbedingungen und auch die Intransparenz von Angestelltenverhältnissen und Co. mega gestört und ich dachte immer, sehen die anderen das nicht? Oder bin ich einfach komisch? Dass sich dieser Berufswunsch im Laufe der Zeit geändert hat, hat sich auch erst wie Versagen für mich angefühlt. Danke für deinen Beitrag!