Als ich im Februar durch die Straßen Berlins schlenderte, kaputt und müde vom Arbeiten während der Pandemie, dachte ich immer wieder daran, was ich mir vor zehn Jahren von meinem heutigen Leben erwartet hatte. Ich werde dieses Jahr dreißig – und obwohl ich der Zahl keine große Bedeutung zuschreibe, stolperte ich beim Reflektieren doch immer wieder über meine eigenen, überholten Erwartungen.
„Lustig“, sagte ich innerlich zu mir, „dass du mit einundzwanzig immer am meisten Angst davor hattest, wie du mit 30 aussehen würdest. Ob du graue Haare und Falten haben würdest. Und nicht, wie du dich fühlen; ob du dich fernab der Oberflächlichkeiten im Spiegel ansehen könntest.“
Tatsächlich war ich im kalten Berliner Hier und Jetzt am meisten darüber überrascht, meine Naivität verloren zu haben. Sie war etwas, das mir im Vergleich zu damals eindeutig fehlte. War sie doch etwas, das mich in meinen frühen Zwanzigern zu allerlei Dummheiten und ja, auch mutigen Schritten bewegt hatte.
Ich fand mich also gedankenverloren auf einem Gehsteig voller Streusalzüberreste wieder, und musste mich dieser banalen Erkenntnis sei Dank erstmal sammeln. Überlegen, was das überhaupt bedeutete, nicht mehr naiv zu sein.
Bedeutete es, sich nichts mehr zu trauen? Sich nicht mehr zu verlieren? Sich da niederzulassen, wo man die meisten Freunde zählen konnte? Ich musste ernsthaft darüber nachdenken, ob ich diese Naivität nicht manchmal doch vermisste. Was ich an ihr vermisste.
Schließlich war es einfacher, in froher Hoffnung auf tolle Arbeitsplätze zu leben, als mehrere Kündigungen, eine Zahlungsklage und diverse Telefonate mit Anwälten hinter sich zu haben und die Hoffnung nicht zu verlieren. Vor all den schmerzlichen Niederlangen hatte ich so viel Lebensfreude, so viel Übermut und Neugier. Ich sagte zu fast allem „Ja“, ohne groß nachzudenken und überarbeitete mich oft bis spätnachts, nur um hinterher enttäuscht zu werden. Diese Naivität? Vermisste ich