Vaterwunsch. Ich glaube, ich habe das Wort noch nie aktiv gelesen, geschweige denn selbst ausgeschrieben. Es sieht komisch aus. Und doch ist es das erste Substantiv, das mir einfällt, wenn ich über das Buch „Waltauchen“ vom niederösterreichischen Autor David Bröderbauer nachdenke. Eines, das eigentlich auf dem Titel stehen sollte, wenn es nicht so plakativ, so Sachbuch-Style wäre.
Leider wollen Romane nie plakativ anmuten, sie sollen mystisch und bedeutungsvoll daherkommen, als ob die Autor*innen die darin verwurstete Geschichte nicht auch zu Teilen selbst erlebt und hinterher für die Außenwelt poetisch verfremdet hätten.
Man merkt schon, ich bin (gerade in letzter Zeit) keine fleißige Roman-Leserin; bediene mich lieber bei aktuellen, politischen Debatten oder populären Sachbüchern; lese die reflektierten Abhandlungen über das RL anderer.
Ich habe das Buch trotzdem aus genau folgenden drei Gründen gekauft:
- Die Outline der Story hat mich gepackt.
- Die erste Seite ging runter wie Öl.
- Der Milena-Verlag bringt immer wieder unterbewertete 5-Sterne-Literatur heraus.
- (Ich war in Wien und musste mir irgendwie die tristen Tage vertreiben.)
Siehe da, manchmal kommt eben auch mir „richtige Literatur“ ins Haus, und ich muss schon sagen, der Bröderbauer kann schreiben, und zwar richtig, richtig gut. Da steht kein Wort zu viel, keine Beschreibung fühlt sich nach „schon gelesen“ an, was auch daran liegen könnte, dass der Autor eigentlich Biologe ist (Nerd!) und den Lesenden schon mal in größter Liebe zum Detail die Historie von Walen erklärt. Spätestens, als er die Recherchefehler in Herman Melvilles Moby Dick zerlegt, bin ich beeindruckt.
Die Geschichte beginnt in einer Arztpraxis der Gegenwart, wo sich der +-35-jährige Hauptprotagonist seiner Fruchtbarkeit vergewissern möchte. Dafür muss er – eh klar – onanieren, was ihm in diesem unglücklich gewählten Setting ziemlich schwerfällt. Mal hört er die lachenden Angestellten in der Kaffeeküche nebenan, mal denkt er an seine Freundin Vera, die sich im Allgemeinen viel weniger Sorgen macht, als er. Dann wiederum gefällt ihm die Lavalampe nicht, und sein eigenes Spiegelbild kann er genauso wenig ertragen wie die Vorstellung, noch einmal Kind seines Vaters zu sein.
„Das Einzige, was ich seit dem Betreten des Urologenzentrums von mir gegeben habe, war mein Name. Zum Schutz habe ich meinen Doktortitel vorangestellt. Oft glaub man dann, ich wäre Arzt, und behandelt mich zuvorkommender. Und dass ich zur Probenabgabe komme, habe ich noch gesagt. Die Arzthelferin hat professionell reagiert, genauso, wie man es erwarten würde. Und doch hat man an ihrer Reaktion gemerkt, dass sie sich der besonderen Natur dieser Prozedur durchaus bewusst ist.“
Ja, der Hauptprotagonist ist keiner dieser starken, testosterongebeutelten Fitness-Center-Männer. Er ist sensibel, schmächtig und für Frauen völlig unsichtbar, übergibt sich im Rausch auf Toiletten und kommt schon als Teenager ständig in Konflikt mit dem auf dem Land herrschenden Männlichkeitsideal. Liest lieber, statt sich auf Klassenfahrt in Paris mit Gleichaltrigen zu unterhalten. Cool ist er nicht, aber cool will er auch nicht werden. Hauptsache, die Akne geht bald weg und er wird in Ruhe gelassen; kann sich einem Studium widmen, das ihn interessiert.
Es sind unterschiedliche Lebensphasen, die der Autor in diesem feingliedrigen, gut strukturierten Werk beleuchtet. Von seiner Kindheit, bis zur Jugend hinein ins mittlere, schon etwas desillusionierte Erwachsenenalter. Er beschreibt Ängste, Selbstzweifel und den Unterschied zwischen Vatermänner und Nursöhnen. Das ist deshalb besonders, weil es sonst meist Frauen sind, die die Unterschiede zwischen sich selbst und ihren Freundinnen nach dem Mutterwerden kritisch beleuchten.
„Vätermänner tragen oft Sachen und gehen schnell, ist mir aufgefallen. Eine Auswahl an Mehlspeisen in der Hand, queren sie wochenends den Zebrastreifen, in der anderen Hand eine vollgestopfte Leinentasche, und vor ihnen läuft ein Kind mit einem Laufrad. Nursöhne fahren Fahrrad, sie bremsen notgedrungen und schlängeln sich zwischen Vater und Kind durch, obwohl die Ampel für sie auf Rot steht. Nursöhne sitzen am Samstagvormittag am Fenster, sie rauchen und sehen den Vatermännern gegenüber beim Handwerken zu. Wenn Vatermänner rauchen, dann heimlich, oder sie sagen, sie rauchen eigentlich nicht, während sie sich eine Zigarette anzünden.“
Fast könnte man meinen, dass eine Frau das Buch geschrieben hätte, wenn dieses Urteil nicht so problematisch wäre. Wenn es nicht so klingen würde, als ob nur Frauen wahrhaftig brenzliges, emotionales Terrain anfassen könnten – Elternterrain –, ohne sich lächerlich zu machen, weil sie von der Gesellschaft ohnehin schon qua Reflex in so vielen Lagen des Lebens als lächerlich gezeichnet werden.
Beim Lesen erkenne ich die Unsicherheit und Sensibilität des Hauptprotagonisten in einem meiner Exfreunde wieder. Damals gab es wenig Worte für das, was er erlebte. Mit Literatur wie jener von Bröderbauer lernen hoffentlich immer mehr Männer, nicht nur auf ihre Leistungen, sondern auch auf ihre Gefühlsregungen stolz zu sein. Und zwar nicht nur die harten, sondern auch die, für die man sich sonst alleine in einer Arztpraxis schämt.
Wird jetzt hier wieder ein „mutiger“ Mann zu Unrecht gelobt? Bekommt er vielleicht zu viel Aufmerksamkeit für etwas, das selbstverständlich sein sollte? Keine Ahnung. Ich habe jedenfalls seit Längerem keine Prosa mehr über das Luftanhalten in ranzigen Schwimmbädern mehr gelesen, die mich Seite für Seite packte, ohne zwischendurch mein Smartphone in die Hand zu nehmen.