Journalisten belächeln sie gerne von oben, Politiker haben noch gar nicht verstanden, was sie überhaupt machen – und die junge Zielgruppe frisst ihnen aus der Hand wie keinem vergleichbaren Medienangebot: Influencer. Gerade besonders „in“: Öko- oder sogenannte Nachhaltigkeits-Influencer, denen das Frauenmagazin Grazia in seiner aktuellen Ausgabe sogar eine ganze Doppelseite widmet. Der Tenor: „Toll, dass sich da junge Menschen so viele Gedanken um die Umwelt machen! Toll, wie sie ihre Followerschaft über gesellschaftspolitische Themen informieren!“ Was ja an sich nichts Verwerfliches, und als gemeinwohlorientierter Akt sogar begrüßenswert ist.
Green-Topics und Greenwashing sind in der Influencer-Szene längst nichts Neues mehr. „Herkömmliche“ Fashion-Bloggerinnen, die die Negativwirkung von Fast-Fashion auf Umwelt und Image erkannt haben, sind nach und nach mehr oder weniger glaubwürdig auf Sustainable-Clothing umgesattelt. Sie predigen immer noch Konsum, aber immerhin den guten, den fair-produzierten und weniger häufigen.
Wer sich wie die Positivbeispiele in der Grazia politisch gibt und kleidet, wird natürlich auch von anderen Initiativen für seine Reichweite instrumentalisiert und darf je nach Kampagne auf seinem Account über die EU-Wahl, Rechte von LGBTI+ oder die Abschaffung von Paragraphen sprechen und Statements abgeben. Komplizierten Aktivistinnensprech versteht „ohnehin keiner“, und umso mehr unpolitische Menschen auf diesem Wege erreicht werden, desto besser. Nicht?
Wenn die Captions dann so flach ausfallen wie die Gebirgslandschaft Brandenburgs („Spread love, not hate!“; „Ich gehe wählen, weil mir die Zukunft Europas am Herzen liegt“; „I stand with you #irgendeinhashtag“), ist der Applaus nicht weit. „Bravo!“ – „Vorbildlich, dass du dich für eine bessere Zukunft einsetzt!“ oder „Schau! Sie ~müsste~ das in ihrer Position ja gar nicht machen, deshalb: umso superer“ lauten die Lobgesänge der sich von ihrem hohen Ross hinunterbeugenden Netzwerk-Profis, die ganz entzückt vom Engagement der einst verlachten Follower-Magneten sind und sie am liebsten gleich für ihre eigenen Dienste anheuern würden.
Und es stimmt schon: in einer Zeit, in der der Journalismus in seiner Relevanz und Deutungshoheit gerade für die Jüngeren immer uninteressanter wird, ist es durchaus begrüßenswert, wenn sich jene, die heutzutage tatsächlich Einfluss haben, für “die gute Sache” einsetzen – auch mit möglichen Negativeffekten einer sie stets beäugenden Followerschaft.
Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass wir als mit ihnen gemeingemachte Mediengesellschaft wegsehen sollten, wenn die neuen Machthabenden im nächsten Atemzug Blödsinn oder Fake-News verbreiten. Selbst, wenn wir große Sympathien für sie hegen oder mit ihnen befreundet sind.
Für Journalistinnen gilt der Pressekodex: sie müssen oder sollten für jeden Artikel zumindest zwei unterschiedliche Quellen heranziehen, eine gewisse Objektivität wahren und im Sinne des Volkes handeln. Influencer hingegen, die nicht immer ganz so unjournalistisch agieren (just saying: Stories zu Umweltkatastrophen, Ernährungsmythen, Tagesgeschehen etc.), wie sie es vielleicht glauben, unterliegen höchstens den Spielregeln des Werberats und müssen auf intransparente Schleichwerbung aufpassen. Ansonsten sind ihnen publizistisch keine Grenzen gesetzt.
Sie dürfen Anti-Impf-Propaganda betreiben, Shakes gegen Cellulite verkaufen und die heilende Kraft von Kristallen bejubeln, ja, sogar ihre eigens designten Kristalle in Online-Shops verkaufen oder pseudotherapeutische, und doch wieder höchst unwissenschaftliche Bücher zu Trauma, Tod oder Hundeerziehung schreiben, die jeder Person vom Fach einen Schauer über den Rücken laufen lassen würden und werden dafür in Schutz genommen, als ob sie Babies, und nicht Frauen in ihren Endzwanzigern wären, die wissen, was sie tun.
Heilige, die ja sonst auch als Model arbeiten und sich die dreckige Polit-Arbeit ersparen könnten.
Sich ausgerechnet also bei jenen Influencern für das bare minimum an übernommener Verantwortung zu bedanken, die „ja sooo engagiert über Umwelt, Feminismus und Gesundheit“ berichten, wenn sich diese oftmals weder an Quellencheck, Quellenangabe, Wahrheitsgehalt noch Studienergebnisse halten, finde ich problematisch. Schließlich sehen diese Stories zum Teil mehr als 100.000 Menschen – pro Influencer. Zum Vergleich: lesen 100.000 Menschen einen Artikel, gelten diese auf mittelgroßen Nachrichtenportalen bereits als “viral”. Wer also, wenn nicht sie, sollte denn politisch sein? Wer, wenn nicht sie, kann etwas am Jetzt-Zustand verändern?
Ich möchte damit gar nicht sagen, dass ebenjene angesprochenen Accounts zwischen Wohlfühl-Aktivismus und fahrlässiger Esoterik zumachen sollen, um Gottes Willen. Aber ihre Aussagen und Statements müssten gerade von uns Journalistinnen, und nicht nur von der kritischen Masse an Followern regelmäßig einem Haltbarkeits-Test unterzogen und auf Realitätstauglichkeit überprüft werden. Globuli gegen PMS? Meditation gegen Haarausfall? Yoga gegen Ausbeutung? Schaut genau hin! Was gibt die Creme de la Creme Instagrams neben den Weltverbesserungs-Anflügen noch so von sich? Wir machen ja auch bei den Reden von Politikern Faktenchecks oder recherchieren mehr als verlangt, wenn uns etwas faul vorkommt.
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“
Auszug aus dem deutschen Pressekodex
Warum ausgerechnet Influencer von dieser Praxis verschont bleiben sollten, wo sie doch (eigen)mächtige und einflussreiche Akteure der Öffentlichkeit sind, erschließt sich mir nicht. Weil sie „selbstbestimmt“ arbeiten, ihr Brot mit dem verdienen, was ihnen Spaß macht und wir sozusagen keinerlei “Anspruch” auf Korrektheit haben? Weil sie nirgendwo ange- und keinem Ministerium unterstellt sind? Weil sie harmlos sind? Lediglich gekaufte Lifestyle-Influencerinnen?
Ich dachte immer, Journalismus sei die vierte Macht der Demokratie und würde sich zum Ziel setzen, über Missstände, Machthabende und Vorteilsbeschaffung berichten. Und zwar ohne Polemik und Häme.
Selbst, wenn die Machthabenden heute #selflove betreiben und hübsche Bikinis am Strand von Hawaii tragen.
Dir hat dieser Beitrag gefallen? Dann unterstütze mich doch mit einer Mitgliedschaft bei Steady. So finanziere ich meinen Content – und du bekommst Zugang zum Podcast #badassbynature und vielen weiteren Artikeln rund um die soziopolitische Dimension von Social Media. Diese Analyse zu Laura Malina Seiler könnte dir besonders gefallen.
Da ist was dran, gute Gedanken, die ich sehr unterstütze. Hab ein paar Jährchen mehr aufm Buckel und behaupte von mir, dass ich mir selbst eine Meinung bilden kann und diese auch reflektiere, lebenslang entwickle… Verantwortlichkeit ist für mich ein Punkt, der mir zu deinem Text einfällt. Warum und wozu poste ich, was ist meine Haltung, was für Quellen habe ich, was bin ich bereit, persönlich reinzutun und wie aufrecht stehe ich bei Gegenwind? Das wären meine Wünsche für die Influencerstorypostingselfiecommunity und und und politisch denken, solidarisch vor allem!