In Berlin sind sie alle schön, erfolgreich und natürlich “total positive” – sagt man zumindest. Auch Celsy hat über zwei Jahre hinweg Zeit und Geld investiert, um an den wichtigsten Happenings der Start-up Szene teilnehmen zu können. Geld, das sie nicht hatte und Zeit, die sie sinnvoller hätte nutzen sollen. Von den hochgelobten, wichtigen und „very inspiring“ Networking-Events ist ihr am Ende nur eines geblieben: die Erkenntnis, dass sie ohne das richtige Aussehen und den richtigen gesellschaftlichen Status nie zu den coolen Kids gehören wird – weder mit 14, noch mit 24.
Es war der harte Aufprall auf den Boden der Realität, der mich zur Feministin machte. Nach sechs Monaten Schufterei in einem total hippen Start-Up im Herzen Hamburgs stand ich auf der Straße. Die großen Versprechungen eines Anschlussjobs, all das Lob, das Gerede von Teamspirit – alles war nur heiße Luft, als ich für mein Schaffen auch vernünftig bezahlt werden wollte.
Auf der Suche nach der nächsten Agentur, dem vielversprechenden Job, der finalen Anerkennung stolperte ich im Internet über die Berliner Start-Up-Göttinnen. Lauter normschöne, strahlende Frauen mit beeindruckenden Lebensläufen, die sich den Feminismus auf die Fahnen geschrieben hatten, sprachen vom baldigen Ende der Lohnarbeit. Von “Female Empowerment” war die Rede, von Vielfalt und einer inklusiven, weiblichen Zukunft.
Mit Charme, perlweißem Lächeln und perfekt sitzender Frisur propagierten erfolgreiche #Girlbosses, dass die Zukunft im weiblichen Unternehmen läge. Würde ich nur hart genug dafür arbeiten, würde ich nur genug für mein Business brennen, könnte ich alles haben. Mit jedem Monat, den ich diese Entwicklung verfolgte, war ich mehr Feuer und Flamme. Es waren die gleichen, neoliberalen Versprechen, die den Konjunkturmotor seit jeher antreiben, aber sahen aus wie mein Ticket raus aus der Agenturhölle. Denn natürlich blieb auch im Folgejob die ersehnte Anerkennung aus – sowohl in Geld, als auch in warmen Worten.
Zu spät erkannte ich, dass die Teilhabe am glamourösen Berliner Start-up Life ihren Preis hat. Dieser war nicht unerheblich, denn Flixbus lässt sich leider nicht in großen Träumen bezahlen.
Such dir die richtigen Freundinnen und dir kann alles gelingen.
Also fuhr ich regelmäßig mit Bus und Bahn von Hamburg nach Berlin und zurück und gab dabei viel Geld für Transport, Getränke, Übernachtungen und die richtigen Klamotten aus. Schließlich ist allgemein bekannt, dass Frau nur mit ihrem starken Netzwerk aus weiteren Girlbosses erfolgreich sein kann.
Der Preis für das Leben mit der High Society beläuft sich allerdings nicht nur auf Reisekosten. Je größer das Event, je beeindruckender die Speaker*Innen-Liste, desto teurer die Tickets. Für 150 Euro ist da noch verhältnismäßig gut mitzuhalten. Ticketpreise für Summits und Konferenzen beliefen sich im Start-up Dunstkreis schnell auf 300 Euro und aufwärts.
Soziale Teilhabe auch für weniger privilegierte Menschen? Fehlanzeige. Wenn du, wie ich, einen gerade ausgebrannten Mann und eventuell sogar Kinder mitdurchfüttern musst und jeden Cent für den Wocheneinkauf benötigst, bleiben dir die Türen verschlossen.
Der Kicker zahlt nicht meine Miete
Im Rahmen unserer sowieso klassistisch geprägten Gesellschaft wäre all das noch zu rechtfertigen, wenn die Start-up Szene denn für ihre Mitglieder die nötigen Voraussetzungen schaffen würde, um an ihrem Leben teilzunehmen. Wären Gehälter üppig und Ideen gut bezahlt, könnte man das Gehabe um Status und Ticketpreise als dem System inhärent verstehen.
Das Problem dabei: Der Status derer, die ihn diktieren, ist von ihnen nicht verdient. Stattdessen verlassen sich die Normschönheiten mit wallender Mähne und Zahnpastalächeln auf das Geld von Mama, Papa oder dem gönnerhaften Lebensabschnittsgefährten, das ihnen die hippe Bude in Berlin auch dann finanziert, wenn sich ihre Coaching-Idee als heiße Luft entpuppt.
Wer sich um Miete und Wocheneinkauf nicht sorgen muss, der kann auch argumentieren, dass 300 Euro Ticketpreis aufgrund der Location und der vegan-glutenfreien Snacks ja TOTAL fair seien und dass eine Gehaltsvorstellung von mindestens 2.200 Euro brutto bei 40 Stunden ja verständlich, aber für ihr Business gerade einfach nicht machbar wären.
Schließlich geht es in einem Start-up ja nicht um das dicke Geld und wer etwas reißen wolle, müsse schon die Extrameile gehen.
Schau, es gibt doch die total flachen Hierarchien und du darfst für dein kümmerliches Gehalt aktiv am Prozess mitwirken. Einen Kicker und freie Getränke gibt’s oben drauf. Tja, nur leider bezahlt der Kicker nicht meine Miete.
Das Perfide am Berliner Start-Up Life ist das, was unter dem süßen, feministisch angehauchten Sugar Coat verborgen ist: Es ist die pure Ausbeute der Ideale anderer Leute. Du darfst gern mehrmals in der Woche frischen, gern gelesenen Content für unser Bloggerzine liefern, aber mehr als unsere Reichweite können wir dafür nicht bieten.
An Entscheidungen, die uns dafür Geld in die Kasse spülen, wirst du übrigens auch nicht beteiligt, weder ideell noch materiell. Dein Name unter den Artikeln ist verschwunden oder der Link zeigt in der Vorschau nur unsere Startseite? Das ist natürlich ein technischer Fehler, dessen Behebung allerdings auch zwölf Monate später keine Priorität hat.
Du bist dem krassen Druck aus 12-Stunden-Arbeitstagen nicht gewachsen und musst mit einer Erschöpfungsdepression stationär die Notbremse ziehen? Zur Genesungskarte gibt’s die Kündigung gleich dazu, während die Start-Up Chefin weiterhin fröhlich in Interviews betont, wie wichtig die Work-Life-Balance sei und für ihren neuesten Geniestreich wieder nur Werkstudentengehälter für Senior-Positionen zahlt.
#femaleempowerment: Bin ich schon drin?
Aufgeben wollen an dieser Stelle aber die wenigsten, denn Berliner-Female-Empowerment lebt von seinen Netzwerken. Glaubt man den vielen, vielen Interviews mit den großen Damen des Berliner Hipster Dunstkreises, ist das Netzwerk das Allheilmittel für alles – inklusive Krebs.
Das Problem an der Sache mit dem Netzwerk ist dieses: Biste nicht drin, kommste auch nicht rein.
Mit dem Reigen der Berliner Start-up Ladys ist es wie mit den schillernden Cliquen in jedem High School Drama: Wer nicht hineingeboren wurde, gehört auch nicht dazu, und wenn sie dir plötzlich die Hand reichen, solltest du ihre Motive hinterfragen. Spoileralarm: Aus reiner Menschenfreundlichkeit geschieht das nicht.
Statt im Ausgleich zu fehlenden Zahlungen zumindest ihre Loyalität zu beweisen, setzt sich das High School Drama auf Netzwerkveranstaltungen fort: Natürlich kennen die coolen Kids noch viele andere coole Kids, kämen aber niemals auf den Gedanken, euch einander vorzustellen.
Also stehst du wie das Mauerblümchen daneben und nippst unsicher an deinem Getränk. Anders als in Hollywood werden auch aufblitzender Mut und ein gewisser Esprit nicht belohnt. Nach einer Anstandssekunde, in der man deiner Vorstellung lauscht, sind du und deine provinzielle Herkunft nicht mehr spannend genug und du gerätst wieder an den Rand der Tanzfläche.
Das Problem an diesem Szenario ist: Die gesamte Berliner Start-up Szene, die sich auf solchen Events präsentiert, hat das ganze Gesülze rund um das sogenannte “Gesetz der Anziehung” so verinnerlicht, dass sie blind für den Unterschied sind. Es wird so krampfhaft darauf vertraut, dass man bloß überzeugt genug, committed genug, angestrengt genug sein müsse, um unbedingt zu bekommen, was man will. Es scheint, die Anwesenden könnten echte Interaktion zwischen all dem Bullshit gar nicht mehr bemerken. Bist du allerdings ein introvertierter Mensch mit funktionierendem Bullshit-Detektor, bekommst du gar keine Gelegenheit dazu, dein Gegenüber mit etwas erfrischend Neuem zu überraschen: mit echtem Interesse zum Beispiel.
Oh du schöne, große Welt!
Genug des Schimpfens, die Zeit hatte auch ihr Gutes. Ich habe durch die durchgeackerten Projekte und die viel zu teuer bezahlten Events tolle Leute kennengelernt, von denen ich einige bis heute eng in meinem Dunstkreis behalte. Interessanterweise kommt nicht eine einzige davon tatsächlich aus der Berliner Szene. Aber da wir alle irgendwann mal Motten waren, sind oder sein werden und in Berlin das Licht wohl lange nicht ausgehen wird, nimmt jeder mit, was geht.
Ich für meinen Teil habe vor allem mitgenommen, dass es keine Metropole braucht, um mein Business voranzubringen. Richtig durchgestartet als freie Autorin bin ich – Überraschung – erst, als ich aufgehört habe etwas in der Berliner Szene sein zu wollen, und stattdessen angefangen habe, mich auf meine Stärken zu besinnen.
Am Ende meiner Zeit in dieser Szene habe ich nämlich erkannt, dass ich selbst eine marginalisierte Gruppe innerhalb des pinken #femaleempowerment Sugar Coats bin: die Frau mit nur wenig bis ohne Privilegien, ohne Geld und universitärem Abschluss, der mir die Türen öffnet. Ist meine Arbeit noch so gut, stellt sich ein weiteres Problem: Ich bin nicht normschön und damit nicht vorzeigbar.
Was ich außerdem gelernt habe: Im Gegensatz zur Metropole braucht es ein Netzwerk aus echten Unterstützern. Dieses baue ich mir lieber Schritt für Schritt, online sowie offline, außerhalb von Netzwerkveranstaltungen auf. Mein zweijähriger Exkurs in die Berliner Start-up Szene hat mich mit 26 schließlich gelehrt: Ich muss gar nicht zu den coolen Kids gehören.
Celsy Dehnert ist freiberufliche Autorin, Texterin und Expertin für Webseitenbetextung und überzeugte mich auf Instagram mit ihrer Ehrlichkeit.