Instagram. Unser aller Lieblingsplattform! Nicht nur können wir dort Freunden und Fremden dabei zusehen, wie sie ohne uns Spaß und Fame haben, im Idealfall verkaufen sie uns im nächsten Schritt auch noch Dinge, die wir gar nicht brauchen, weil sie schön arrangiert auf Beistelltischen liegen.
Klassische Werbung via TV oder Anzeige wurde in den vergangenen Jahren immer stärker von persönlich anmutender Schleichwerbung abgelöst, die für Laien nur schwer von herkömmlichen Inhalten zu unterscheiden ist. Wie auch, fügt sie sich doch optisch und sprachlich genuin in den durchgestylten Feed ein. Wir kennen sie alle, die bedeutungsschwangeren Captions über „das Leben“.
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Sie klingen zum Beispiel so:
„Kennst du das, wenn dir zwischen Office, Fitnessstudio und dem dritten Date manchmal einfach alles zu viel wird? Du Tage hast, an denen du morgens lieber gleich liegen bleiben würdest? Ich kenne dieses Gefühl selbst nur zu gut. Noch vor einem Jahr konnte ich das Licht am anderen Ende des Tunnels vor lauter Sorgen nicht sehen. Inzwischen habe ich gelernt: das Leben ist wie eine Achterbahn: mal geht es rauf, mal geht es schnell wieder runter. Egal, was auf dich zurast, vergiss bitte eines nie: Alles, was in der Vergangenheit passiert ist, musste passieren, damit du heute dort bist, wo du schon immer sein wolltest! Glaube an deine Träume, mache Sie zu deinen Zielen – und reise los! Ich zeige dir, wie du den Morgen-Blues überwinden kannst. Jeden Tag auf Neue!“
Beim Storytelling geht es darum, die eigenen Follower mit spannenden Geschichten rund um die eigene Person und die eigene Brand zu bespielen, und somit im Feed zu halten. Das wissen auch Unternehmen, denn es reicht schon längst nicht mehr, nur gute Inhalte zu bieten.
„Komplizierte Zusammenhänge werden durch Geschichten verständlicher und können besser im Gedächtnis bleiben. Dadurch eignen sie sich auch sehr gut zum Weitererzählen bzw. können in Social Media viral gehen “ sagt PR-Beraterin Sylvia Fritsch. „Ist die Geschichte gut, wird sie mitsamt ihrer für uns so wichtigen Botschaften durch die Community freiwillig geteilt bzw. weitererzählt. Eine Geschichte muss aus der Sicht des Kunden, nicht des Unternehmens erzählt werden.“
Sprich: kommerzielle Inhalte müssen inzwischen entsprechend persönlich verpackt werden, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Und wie ginge das besser als mit der Hilfe von schreibwütigen Influencerinnen, die zu jedem Bild eine passende Background-Story aus ihrem Privatleben fuchteln. Selbst, wenn sie gar nicht wahr ist.
Eben.
Geschehen ist solch ein Unfall vergangene Woche beim – oder sollte ich besser sagen mit – dem Avocado-Store, der scheinbar ein bisschen Kohle für eine „Selbstliebe-Kampagne“ übrig hatte, in der sich normschöne Insta-Sternchen über ihre vermeintlichen Problemzonen auslassen durften.
Die Captions? Klangen erstaunlich ähnlich wie der Rest der persönlich gehaltenen Accounts. Ein Auszug gefällig?
„Ich werde traurig, wenn ich an meine ersten Jahre in der Ausbildung zurückdenke. Ich habe alles dafür getan, perfekt zu sein, um nicht aufzufallen und mich Stück für Stück in die Gruppe von wunderschönen Frauen einzugliedern. Irgendwann, so dachte ich, wäre ich gut genug. Nur leider: nichts, aber auch wirklich gar nichts, was ich tat, war je genug. Von meinen Haaren bis zu meinen Fußsohlen gefiel mir nichts an mir. Ich war nach eigenen Ansprüchen ungenügend, unvollständig, und kein neues Kleidungsstück, keine neue Haarfarbe und kein wertschätzender Partner hätte das damals gutmachen können. (….)
Heute frage ich mich nicht mehr, ob ich beim Lachen auf Fotos blöd aussehe, oder wie mich andere wahrnehmen. Denn ich habe zu mir, zu meiner Mitte gefunden. Ich stehe zu mir, in meiner ganzen Makelhaftigkeit und bin froh, nicht wie die Norm auszusehen. Meine Andersheit mit jedem Foto mit euch neu zelebrieren zu dürfen.
Diese Woche möchte der @avocadostore.de ein Zeichen für ein positives Selbstbild setzen. (….) Denn was wir so oft vergessen, ist: dass wir alle schön sind. Jeder auf seine eigene Art.“
Huch? Wo kommt plötzlich der Avocado-Store her? Und: wo liegt überhaupt der Unterschied zwischen der ersten, und der zweiten Caption? Überraschung: es gibt keinen. Der Aufbau ist immer gleich:
- Am Anfang steht ein Problem oder einer Krise.
- Der Held (Kunde) löst das Problem durch die Hilfe eines Mentors / einer guten Fee (Unternehmen / Produkt).
- Auf dem Weg dorthin hat er Gefahren und Probleme zu bewerkstelligen.
- Am Schluss steht der positive Ausgang (Happy End).
Ja, aber warum machen das diese Influencer überhaupt? Weil wir alle, als „08/15“-Instagram-User angefangen haben, herzzerreißende Storys über unser Innenleben zu teilen, die den User catchen und ansprechen. Damit Produkte verkauft werden, müssen nun genau jene „echten“ Geschichten erfunden werden, um Nahbarkeit und Sales zu erzeugen.
Und was bedeutet das jetzt für dich? Aufpassen. Schlaue Kapitalisten haben früh erkannt, wie sie unmündige Medienkonsumenten auch 2019 vor die Schirme bekommen wie damals vor RTL2: mit Emotionen. Und seien sie noch so schlecht geschauspielert.
Es gibt bereits mehr als nur einen Podcast, in dem angehende Influencer Techniken des perfiden Onlinemarketings lernen können. Im „The Influencer Podcast“ empfiehlt Host Julie Solomon ausdrücklich, persönliche Geschichten rund um Produkte zu spinnen, um die eigenen Absatzahlen zu erhöhen. Und wenn jetzt jemand sagt: „Naja, aber verkaufen wird man ja wohl noch dürfen!“ – ja, das stimmt. Am Verkauf per se ist auch nichts Verwerfliches. Problematisch ist vielmehr die Unehrlichkeit, mit der versucht wird Konsumenten etwas mit dem Vorwand einer authentischen Leidensgeschichte anzudrehen. Merke: es kann keine wahrhaftige Authentizität in einer kuratierten und bis ins letzte Detail durchkommerzialisierten Mediengesellschaft geben.
Paradebeispiel für diese Technik ist Online-Marketerin Jenna Kutcher, die sich vermutlich nicht zu schade wäre, lebende Alpacas für Wollmäntel zu verhökern, wenn sie könnte.
Wie könnte man besser Werbung für eine Uhr machen, als die User (die den Post auf ihrem Smartphone ansehen) daran zu erinnern, weniger Zeit am Handy zu verbringen? „Does anyone else find themselves staring at screens all day without even stepping outside to get fresh air? Yeah, I thought so“ beginnt die persönliche, nahegehende Caption, nur um am Ende ein „thanks @Fossil, I have a reminder to get up and move every day!“ hinterherzuschmeißen.
Das Traurige am Influencer-Marketing ist, dass die Follower denken, sie hätten es in erster Linie mit authentischen Personen zu tun, während sich die großen Accounts längst zu lukrativen Brands entwickelt haben, die mit Authentizität so viel zu tun haben wie Burger King mit Fastenkuren.
Das wirklich Traurige ist, dass Follower diesen Menschen folgen, weil sie ihnen glauben – und sich in Folge dessen noch einfacher beeinflussen lassen als früher vor dem Fernseher.
Danke Storytelling. Du hast erstmal ausgedient.