Zugegeben: da liegen noch ganz schön viele ungelesene Bücher rum bei mir, die es trotz Sommererscheinungstermin nicht in die herbstliche Quarterly-Book-Review geschafft haben. Zum Beispiel der Roman „Sweetbitter“ von Stephanie Danler, „Die Verlegerin“ von Katharine Graham, „Verstecken gilt nicht“ von Melina Royer oder „Madame Moneypenny“ von Natascha Wegelin.

Vielleicht liegt meine verhältnismäßig kleingeratene Ausbeute damit zusammen, dass ich 2018 selbst ein Buch geschrieben habe (Review zum Beispiel hier). Nicht mal Harry Potter eins bis vier habe ich inzwischen öfters gelesen als den eigenen, kleinen Stinkeschinken. Die Endkorrekturen könnt ihr euch in etwa so vorstellen, wie die letzte Uni-Hausarbeit zwanzigmal hintereinander auf grammatikalische, inhaltliche und sprachliche Fehler zu korrigieren und danach der Welt zum Urteil vorzuwerfen: hinreißend!

Glaubt mir, danach hättet ihr auch erstmal keinen Bock auf Lesen gehabt, haha.

Zum Glück scheinen 100-Seiten-Bücher gerade „in“ zu sein. Die beschäftigte Kundschaft dankt – und liest auf dem Weg zum nächsten Termin in der Berliner U-Bahn.

Was ich (trotzdem) gelesen habe

Katrin Rönicke: Emanzipation (Reclam)

Katrin ist eine kluge Frau, die ich seit Jahren aus der Ferne bewundere, weil ich wie durch Zauberhand nach jedem Stück Inhalt etwas Neues von ihr dazugelernt habe. Sei es, wie man einen unabhängigen Podcast produziert, oder sich von unliebsamen Arbeitsverhältnissen emanzipiert. In ihrem neuen Buch geht sie der Frage nach, welche Rolle das Streben nach Freiheit bisher in der Menschheitsgeschichte spielte. Anhand aktueller und vergangener feministischer Debatten erzählt sie, warum der Kampf um Unabhängigkeit riskant, aber lohnend ist – und wovon wir uns heute dringend emanzipieren müssen.

Weiteres erklärt sie oft verwendete und vielleicht doch nicht allen bekannte Begriffe wie „Supremacy“, und warum der als „überlegen“ oder „erhaben“ geltende Part endlich Verantwortung für das Ungleichgewicht zwischen uns Menschen übernehmen muss.

Gut gefallen haben mir deshalb natürlich die fünf Schritte zur Emanzipation:

  1. Enttarnung des Phantasmas als solches (durch Wissenschaft und Studien)
  2. Einfordern der Verantwortungsübernahme von jenen, die sich als „Erhabene“ aufspielen, also Solidarität statt Verteidigung alter Privilegien
  3. Definitionsmacht über die eigene Geschichte erlangen
  4. Bestimmer über die eigene Zeit werden
  5. Die eigene Zukunft in die Hand nehmen

Emanzipieren wir uns!

Anne Wizorek und Hannah Lühmann: Gendern?! (Duden)

Erster Gedanke, vermutlich auch bei euch Lesern, Leserinnen – oder schreib ich jetzt Lesenden? „Schwierig!“ Ich persönlich habe ja nichts gegen schwierige Menschen oder Themen, deshalb hab ich das Werk auch gleich am selben Nachmittag durchgelesen, an dem es mir Anne nach unserem kleinen Podcast-Intermezzo überreichte.

Die essayartig aufbereitete Pro-und-Contra-Lektüre wird anhand von drei Leitfragen geführt: 1. Warum und wann in Ihrem Leben sind frauenbewegte Themen bzw. Genderfragen für sie wichtig geworden? Warum spielte und spielt Sprache dabei eine große Rolle für Sie? 2. Wo stehen wir und warum befürworten sie das Gendern / lehnen Sie es ab? Und: Wie sieht das Ganze in zehn Jahren aus?

Hannah Lühmann ist ihr Unbehagen auf der „falschen“ Seite zu stehen, nämlich der, die das Gendern zumindest in der heutigen Praxis ablehnt, deutlich anzumerken. So war ich von ihrem intellektuellen und selbst für Andersdenkende nachvollziehbaren Argumentationsstrang umso mehr beeindruckt.

Lühmann schreibt: „Ich glaube, dass wir – und damit meine ich beide Seiten – nicht in der Lage sind, den Gedanken auszuhalten, dass wir ideologisch sind. Die Befürworter gendergerechter Sprache halten ihre Umsetzung für eine moralische Notwendigkeit, für ein längst gebotenes because it’s 2018, dem die Gegner gendergerechter Sprache nur noch als eine Art lästige, schrullige, vorübergehende Erscheinungsform eines „Backlashes“ entgegenstehen. Sie wollen nicht verstehen, woher es kommt, dass bei vielen Menschen die Assoziationskette „Sprachregelungen im Sinne eines bestimmten Weltbildes“ auf eine ziemlich ungute Weise abgespeichert ist. (…) Die Befürworter gendergerechter Sprache tun so, als gäbe es einen philosophischen, moralischen, linguistischen Konsens, der sich mit „Sprache bestimmt das Bewusstsein, wir wollen das Bewusstsein ändern, also müssen wir die Sprache ändern“ zusammenfassen lässt. Die Schaffung eines neuen Signifikanten schafft nicht weniger Ungerechtigkeit, es schafft nur neue Ungerechtigkeit. Das Übel ist nicht in der Sprache, es steckt nicht in den Signifikanten. Es steckt in uns. Die Widerständigkeit der Sprache, ihre Ungerechtigkeit, ist ein Geschenk, das uns daran erinnert.“

Großes Tennis! Lesen, bitte.

Carl Cederström und André Spicer: Das Wellness Syndrom

Ein Buch, das ich allen ans Herz legen möchte, die Instagram mit seinen Yogis, Mindfullness-Narzissten und Achtsamkeitspoeten einfach nicht mehr aushalten. Im Wellness-Syndrom wird sehr schön erklärt, warum die Antwort auf Kapitalismus immer Kapitalismus lautet. Und sie sie noch so schön verpackt!

Während die prekären Arbeitsbeziehungen den Beschäftigten ständig das Gefühl geben, existenziell verwundbar zu sein, kommt eine besonders grausame Laune des Schicksals hinzu: Obwohl sich die Beschäftigten in einer unsicheren Lage befinden, müssen sie diese Gefühle verbergen und ein zuversichtliches, fröhliches Selbst zur Schau stellen. Der Mann, die Frau von heute ist nicht nur die archetypische Figur der neuen Kultur des Kapitalismus. Er/sie ist das Image, dem wir alle nacheifern müssen, um zurechtzukommen. Wir müssen ständig in Bewegung sein. Wir tweeten, posten, hosten, teilen, verlinken und liken. Der flexible Arbeiter hat niemals Ruhe. Und weil er das weiß, flüchtet er sich in die Achtsamkeit, einem der neueren Werkzeuge zur Selbsthilfe.

Das Grausamte an dieser Verdrehung, so Cederström und Spicer, ist, das Stress, Angst und Depression nicht als eine Wirkung der Arbeitsumgebung gesehen werden, sondern vielmehr eine Folge der eigenen trägen und unkonzentrierten geistigen Gewohnheiten gesehen werden.

 

Was ich überflogen habe

Gudrun Wegener: Kreativ sein, kreativ bleiben

Privat wie beruflich beschäftige ich mich immer wieder damit, wie ich kreativ bleibe, ohne auszubrennen oder meine Seele zu verkaufen. Da kam das Buch, das mir meine liebe Freelance-Genossin Lydia Herms bei einem Coffee-Workdate auf den Tisch legte gerade recht. In „Kreativ sein, kreativ bleiben“ geht es darum, die vielen Gesichter der kreativen Arbeit zu erkennen und sich im Dschungel an vermeintlich lukrativen Angeboten zurecht zu finden.

Ich habe gelernt, eine „Auslastungskurve“ zu zeichnen, mittels derer ich feststelle, wann ich genug Aufträge habe, um mit der Akquise aufzuhören – und warum Panik einsetzt, wenn mal Flaute herrscht. Dinge, die man eigentlich als Kreative weiß, aber doch nicht immer eigenständig in Worte fassen kann. Nützlich fand ich auch die Kanban-Technik, mittels derer sich Aufträge schnell und einfach organisieren lassen.

So habe ich jetzt ein Board neben meinem Arbeitsplatz hängen, auf dem Zettelchen wie „Start“, „1/2 Done Urgent“, „1/2 Done Not Urgent“, „Warten auf Feedback“ und „Fertig“ kleben, unter die ich meine offenen Projekte hefte. Der WOW-Effekt: wenn man das Zettelchen von „To Do Urgent“ zu „Feedback“ verschiebt. Und natürlich der Überblick, der plötzlich entsteht!

Ein wirklich nützliches Buch, das sich nicht nur Anfänger genauer ansehen sollten.

Was ich wieder weggelegt habe

Holly Bourne: How do you like me now?

Die britische Autorin hat einen für mich typischen Social-Media-Roman erschaffen, in dem sie von Problemen wie dem Influencer-Dasein, ihrer eingeschlafenen Hetero-Beziehung mit einem Durchschnitts-Macho und dem fortschreitenden Alterungsprozess heimgesucht wird. Aktuell bin ich auf Seite 111 und lese vor dem Schlafengehen immer ein bisschen weiter, ohne dabei besondere Leselust zu verspüren. Knappe 200 Seiten hat die Autorin (theoretisch) noch, mich von den Figuren zu überzeugen, die mich einen Tick zu stark an Bridget Jones erinnern, nur in unleidiger.

Bridgets liebeswürdige Tollpatschigkeit ist Toris Zynismus gewichen. Statt den Dude endlich abzuschießen, geht es erstmal 110 Seiten darum, warum sie ihm auf dem Sofa Blow-Jobs gibt, ohne irgendetwas davon zu haben als Flecken auf dem T-Shirt.

Ich glaube, das wird nichts mehr.

 

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