Ich bin ein bisschen spät dran, aber c’mon, der Frühling hat es auch nicht unbedingt eilig gehabt, wenn ich mich richtig an die ersten Apriltage erinnere. Lange hat er hier in Norddeutschland auf sich warten lassen, da kommt es bei meinen Empfehlungen auf zwei oder drei Wochen mehr oder weniger auch nicht mehr an.

Anders als im Frühling habe ich die Bücher, die ich gekauft oder bekommen habe, auch fertiggelesen. Bis auf eines, deshalb will ich mal nicht so gemein sein und stelle einfach alle Bücher der Reihe nach vor und gebe meinen Senf inklusive herausragender Textpassage für euch ab.

1. Sarah Knight – The Life-Changing Magic of Not Giving a F**k

Ich bin ja ein großer Fan von Ami-Literatur und so waren auch dieses mal wieder zwei, drei Volltreffer mit dabei, die meinen Blick auf die Welt verändern sollten. Allen voran das, naja wie soll man sagen, umstrittene Buch von Sarah Knight, in dem sie Ratschläge für das eigene emotionale Fuck-Konto gibt. Unter anderem zum Beispiel, dass man freundlich aber höflich alle Abende absagen sollte, auf die man keine Lust hat und statt zur Baby-Shower aufzutauchen auch einfach ein Geschenk schicken könnte. Dann hat man mehr Ruhe für sich selbst.

Ich war das ganze Buch über relativ zwiegespalten. Einerseits können wir alle mehr Selbstbestimmung gebrauchen. Andererseits: wer bei einer Einladung fünf Mal absagt, kann sich die sozialen Kontakte fürs nächste Jahr abschminken.

Obwohl mir die Ideen gefallen, die sie diskutiert – unter anderem soll man ein Fuck-Konto für die Bereiche Familie, Freunde und seinen Job anlegen und dann täglich entscheiden, wie viele Fucks man sozusagen pro Tag vergibt/übrig hat – bin ich mir bei Knights dominantem Tonfall nicht immer ganz so sicher gewesen. Naja, 6 Euro auf Thalia war es auf jeden Fall wert.

Was mir von diesem Buch in Erinnerung bleibt, ist folgende Grafik:

Und tatsächlich, ich merke, wie ich sie schon in meinen Alltag integriert habe und manche Dinge a) nicht so sehr an mich ranlasse und b) erfolgreich ignoriere. Danke, Sarah!

2. Ariel Levy – The Rules Do Not Apply

Ich bin in Stockholm auf dieses Buch gestoßen, als ich noch zehn Minuten Wartezeit bis zum nächsten Zug hatte und bin bei der Beschreibung sofort hängengeblieben:

For the first time I can remember, I cannot locate my competent self – one more missing person. In the last few months, I have lost my son, my spouse, and my house. Every morning I wake up and for a few seconds I’m disoriented, confused as to why I feel grief seeping into my body, and then I remember what has become of my life. I thought I had harnessed the power of my own strength and greed and love in a life that could contain it. But it has exploded.

Puh. Erstmal verdauen, während man weiterliest und weiterliest und sich immer mehr in Ariel Levys Güte verliebt. Ihr danken möchte, für diese schonungslose Art die unvorhersehbaren Seiten des Lebens in einer grotesk-präzisen Weise zu schildern, für die selbst die größten Schriftstellerinnen meist nicht mutig genug sind.

I think all the time I spent vigilant, preoccupied, trying to decipher my mother’s relationship with Marcus, Lucy’s relationship with alcohol. It had never occurred to me that both situations were whatever they were, whether I figured them out or not. And it had certainly never crossed my mind that my reaction – my suffering – was mine: something I had come up with, not something I needed to blame on anyone else.

Word. Und eine große Leseempfehlung an alle, die sich gerade nicht selbst spüren.

3. Josephine Frey – Im Enddefekt

Ich glaube, ich muss Josephine gar nicht groß vorstellen, den meisten buchinteressierten Insta-Nutzern müsste die 1997 (OK ich fühl mich offiziell alt!) geborene Autorin schon bekannt sein. Falls nicht, geb ich euch gerne eine Kurzbeschreibung: sie schreibt wahnsinnig gutes Prosa auf Bierdeckel und andere Zettelchen, zum Beispiel, und setzt mit den abstrakten Schilderungen ihrer ersten großen Liebe wieder genau dort an, wo die Älteren unter uns sie bereits verdrängt haben.

Auszug gefällig?

Du weißt, du kannst auf meine nächtlichen Anrufe zählen, bis es irgendwann reicht, wenn wir uns an Geburtstagen ein „Alles Gute“ schreiben und uns von der anderen Straßenseite aus zuwinken. (…) Über dich wird nach unserem Gespräch nur noch kurz gesprochen werden. Sie werden mir nach und nach unsere Erinnerungen stehlen. Ich selbst werde sie kleinreden und zersplittern, sie in Bruchstücke ins falsche Licht rücken und sagen: „Er war wohl doch nicht so toll, wie ich am Anfang dachte.“ Und: „Wusstest du, dass ich mich mit ihm überhaupt nie so ganz gut gefühlt habe?“ Und: „Du hattest Recht, als du meintest, wir passen eigentlich gar nicht zusammen.“ Bis selbst der Letzte verstanden hat, dass er sich nicht mehr nach dir erkundigen kann.

Ja, was soll ich dazu noch sagen, außer, dass jeder, der schon einmal eine Liebe verloren hat diese befremdlichen Momente kennt, in denen man diese einst so große Verbindung versucht kleinzureden, um sich selbst und allen um sich herum nicht eingestehen zu müssen, wie lange man blind genug war, um daran zu glauben.

Danke Josephine für dein Buch! Es macht die Welt vielleicht nicht zu einem lustigeren, aber bestimmt zu einem tiefsinnigeren Ort.

So kann man die Bücher dann fancy für ein Foto nebeneinander aufreihen wie beim Klassenfoto

4. Salley Rooney – Conversations with Friends

Eine Leserin hat mir diesen Roman empfohlen (danke nochmal für den Tipp!), den ich mir am letzten Tag in Sri Lanka in einer Flughafenabsteige auf mein Kindle geladen habe, um eine Beschäftigung für die nächsten fünfzehn Stunden zu haben. In „Conversations with Friends“ geht um die verzwickte Beziehung zweier ca. 20-jähriger Freundinnen aus San Francisco, die als Autorinnen-Duo regelmäßig auf der Bühne stehen, ohne davon leben zu können. Die eine ist – so klingt es zumindest – wahnsinnig hübsch und vorlaut, die andere die leise Protagonistin im Hintergrund, die sich in den Mann einer Frau namens Melissa verliebt, ohne Bescheid zu geben. Die Affäre beginnt gleichzeitig mit dem Auseinanderdriften der Freundschaft.

Obwohl die Schreibe wahnsinnig reinzieht, hat mich die Story ungefähr ab der Hälfte nicht mehr mitgerissen. Ich habe wie eine brave Schülerin im Englisch Unterricht immer wieder versucht, weiterzulesen, letztlich aber doch aufgehört, weil mir abgesehen vom Sex zu wenig passierte und die Beziehungen untereinander eine komische Dynamik ergaben, die trotz durchdachtem Plot auf mancherlei Ebene für mich keinen Sinn ergab.

Only god knows why. Manchmal soll es nicht sein.

5. Wlada Kolosowa – Fliegende Hunde

Wladas Buchpremiere in der Paloma Bar war  eines meiner kulturellen Highlights im Berliner März. Das hat schon was Elegantes, einzelne Kapitel in schummriger Atmosphäre direkt von der Autorin vorgelesen zu bekommen. Außerdem: bei einem Roman, der im gegenwärtigen Russland spielt und sich dabei Phänomenen wie Mobbing im Netz und Modeln in Shanghai widmet, musste ich einfach zugreifen. Auch wenn das Hardcover stolze 20 Euro kostet und meine Schmerzgrenze bei literarischen Neulingen eigentlich unter 12 Euro liegt. Aber gut, was tut man nicht alles, um den Buchmarkt zu unterstützen.

Fliegende Hunde (die außer einer Anekdote übrigens nichts mit der Geschichte zu tun haben) wird aus der Perspektive zweier Teenager erzählt, die Wand an Wand neben- und miteinander aufgewachsen sind – bis sie das Schicksal wie eine Bombe auf St. Petersburg entzweite. Während Mädchen 1 (Lena) dem Traum nachjagt, berühmt zu werden, hungert Mädchen 2 (Oxana) einsam und alleine nach den strengen Richtlinien einer Anorexia-Online-Community zuhause weiter.

Meine aus dem Kontext gerissene Lieblingspassage, die schon ein bisschen andeutet, um was es eigentlich geht:

Sie vergrub ihr Gesicht unter Oksanas Haar, dort, wo es besonders intensiv nach ihr roch. Oksana-Konzentrat. Es gab nichts Besseres, als die richtige Menge an Körpergeruch am richtigen Menschen.

Word. Word. Word.

Gut haben mir die Schilderungen des schmierigen Modelbiz gefallen – ich habe wie bei einem Schulreferat parallel dazu die Doku GIRL MODEL gestreamt, um mir ein vollständige(re)s Bild zu verschaffen. Die ausführliche Recherchearbeit (Ledergürtelsuppe anyone?) merkt man dem Buch definitiv an – und auch, dass die Autorin Creative Writing gelernt hat. Dennoch, oder gerade deshalb, lesen sich manche Passagen trotz der Fülle an Informationen und Gefühlen für meinen Geschmack zu geschliffen, zu lehrbuchhaft abgearbeitet, um durch das geschriebene Wort alleine spürbar genuine Liebe zwischen den Hauptprotagonistinnen zu vermitteln. Das wär aber schon das einzige Manko! Der Roman liest sich ruck zuck, sehr flüssig – und war ein ausgezeichneter Zeitvertreib auf meinen gefühlt fünfhundert zurückgelegten Zugkilometern in Schweden.

6. Susan Cain – Die Kraft der Stille

Auf dem Weg zur Arbeit – und schon wieder Baumweh vorm Gruppen-Meeting? Dann kann ich nur dieses Buch empfehlen, in dem Susan Cain sich dem Thema Intro- und Extravertiertheit annimmt und dabei so manchem Vorurteil auf die Sprünge hilft.

Viele der wichtigsten Institutionen des modernen Lebens sind auf Menschen zugeschnitten, die Spaß an Gruppenprojekten und einem hohen Maß an Stimulation haben. In den Schulen werden die Tische zu Vierecken zusammengeschoben (mein Alptraum, früher) um bei Kindern das Lernen in der Gruppe zu fördern (als ob man alleine auf keinerlei Ideen kommen würde.)

In Fernsehserien sie die jungen Stars nicht Kinder von nebenan, oft sind es Teenage-Rockstars und Moderatoren von Internet-Shows. Aber auch als Erwachsene sitzen viele Menschen an Arbeitsplätzen ohne Wände, und ihre Vorgesetzten schätzen vor allem „soziale Kompetenzen“. Um Karriere zu machen, wird von uns erwartet, uns selbst ungeniert anzupreisen, vorzupreschen, andere umzulaufen. Wir Introvertierten genießen einen fragwürdigen Ruf. Ein Stigma, das dazu führt, sich falsch zu fühlen.

„Als ich endlich alt genug war, um zu begreifen, dass ich einfach nur zu den Introvertierten gehöre, war die Annahme, etwas stimme grundsätzlich nicht mit mir, schon zu einem Teil von mir geworden“, zitiert Cain eine Protagonistin.

Und trägt so mit ihrem 450 dickem Buch dazu bei, ein bisschen aufzuklären. Was, wenn man wünschte, es gäbe mehr, nicht weniger nachdenkliche Menschen auf der Welt?

Obwohl ich gerade erst auf Seite 80 bin, habe ich schon viele Einsichten gewonnen, die mir einmal mehr zeigen: bis die Gesellschaft so weit ist, Menschen in ihrer Vielfältigkeit anzunehmen, ist es wahrlich noch ein weiter Weg.

7. Roxanne Gay – Bad Feminist

Shame. on. me. Nach meinem Gespräch mit der wunderbaren Jelena Gucanin in Wien ist mir aufgefallen, dass ich diesen Klassiker noch gar nicht gelesen habe – und bin zurück in Berlin natürlich direkt in die Buchhandlung meines Vertrauens (dieses Internet), um es mir zu besorgen.

Alleine die Kapitel „Not Here to Make Friends“ und „The Politics of Respectability“ zeigen mir mal wieder, was in Deutschland fehlt: jemand, der sich für gute Kapitelüberschriften und Headlines einsetzt. Anyhow, diese Essaysammlung kommt auf jeden Fall gemeinsam mit Susan Cain und den Rowohlt-Erscheinungen mit in meinen Urlaub.

Was sagt ihr zu meiner Review? Was könnt ihr mir empfehlen?

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