Dass 2017 ein ambivalentes, forderndes Jahr werden würde, war mir spätestens mit meinem Umzug nach Berlin klar. Die ersten vier Monate verbrachte ich damit die Kollateralschäden zu beseitigen, die mir 2016 beruflich als auch privat zugefügt hatte – ohne zu wissen, ob ich es schaffen würde meiner Vorstellung eines gelungenen Lebens näherzukommen.
Mit jedem Sessel, jeder Kommode und jedem Regal, das ich in meiner Wohnung arrangierte löste ich einen anderen Knoten in meinem Kopf, der nach 24/7-Schichtarbeit im Medienbetrieb entstanden war und mir lange keine Kraft ließ, Dinge anzugehen und wertzuschätzen, die mir wichtig waren: Meine Freunde, kreatives Schreiben und letztlich das unstillbare Bedürfnis, geistig mit mir selbst im Reinen zu sein.
Fünf Monate nach dem Umzug und pünktlich zu Sommerbeginn hatte ich meine Lust an der Komplexität des menschlichen Daseins wiedererlangt, lief regelmäßig nachts durch die Straßen Berlins (Symbolbild) und hörte wie gewöhnlich Radiohead auf voller iPhone-Kopfhörer-Lautstärke, während ich auf die nächste U6 wartete. Die Stadt und die Menschen waren gut zu mir. Es fehlte nur noch eine Sache. Etwas, das ich gewissermaßen in Wien zurückgelassen hatte: Den Ursprung meines Nachnamens. Meinen lange unterdrückten Wunsch, den slowakischen Nachnamen meiner Mutter anzunehmen. Jankovska. Jan-kov-ska. So würde ich ab Juli 2017 offiziell in meinem Pass heißen.
Wie, was, warum das?
Ich muss an dieser Stelle ein wenig ausholen und Rebecca Solnit („Men Explain Things To Me“) zitieren, um die Frage nach der Notwendigkeit meiner Namensänderung selbst bei den größten Skeptikern („Ist doch nur ein Name…“ „Ist das nicht total der Aufwand?“) im Keim zu ersticken. Denn wenn es nur ein Name ist, dann kann ich ihn doch einfach ändern, nicht?
Solnit schreibt:
I have a friend whose family tree has been traced back a thousand years, but no women exist on it. She just discovered that she herself did not exist, but her brothers did. Her mother did not exist, and nor did her father’s mother. There were no grandmothers. Fathers have sons and grandsons and so the lineage goes, with the name passed on. (…) Eliminate your mother, then your two grandmothers, then your four great-grandmothers. Go back more generations and hundreds, then thousands disappear.
Szenenwechsel. Bratislava, x-beliebiger Zeitpunkt zwischen 1995 und 2017. Ich stehe im Haus meiner Großeltern und schaue auf die hölzerne Wand im Wohnzimmer, an der eine von meinem Dedko (slowakisch für Opa) angefertigte Fotocollage meiner männlichen Verwandten hängt. Alle darauf abgebildeten Männer heißen A. A. Jankovsky, mein polnischstämmiger Ur-Ur-Großvater. A. Jankovsky, mein Urgroßvater und letztlich der A. Jankovsky, den ich kenne, den ich liebe: Mein Dedko. Rechts im Eck wurde nachträglich ein präzise ausgeschnittenes Foto meines Cousins angebracht, der zwar nicht Jankovsky heißt, aber – immerhin – ein männlicher Nachfahre ist, auf den alle seit meiner Geburt 1991 sehnlichst gewartet hatten.
Meine Großmutter, meine Mutter und ich sind nicht darauf zu sehen. Ebensowenig die Mutter meiner Großmutter, meine Tante oder meine Cousine. Ich kenne die Fotomontage in- und auswendig, habe mich unzählige Male gefragt, warum die Leben dieser Frauen ausradiert, unsichtbar gemacht worden sind. Gehören sie etwa nicht zum Jankovsky-Clan? Frauen, die in ihrer ganz eigenen Art immer Vorbilder für mich waren?
„There are other ways women have been made to disappear. There is the business of naming. In some cultures women keep their names, but in most their children take the father’s name. (…) Names erased a woman’s genealogy and her existence. There are so many forms of female nonexistence.” Rebecca Solnit
Als meine Mutter den österreichischen Nachnamen meines Vaters annahm, war sie in erster Linie dankbar. Dankbar, endlich von der sozialistischen Vergangenheit der tschechoslowakischen Republik (ČSSR) befreit worden zu sein, die sie trotz Dubčeks Sympathien zum menschenfreundlicheren Kommunismus einer unbeschwerten Jugend in US-amerikanischen Jeans beraubte. Meine Mutter wurde zur Vorzeigemigrantin, die bis heute – abgesehen von ihrem Akzent – grammatikalisch perfektes Deutsch spricht.
Ich bin nicht in der Lage, darüber zu urteilen ¬- und doch hat der unbelastete, normdeutsche Nachname „MAYER“ meiner Mutter laut eigenen Angaben viele Vorteile beschert. Nie kam es laut meiner Mutter zu rassistisch-motivierten Vorurteilen, nie gab es Probleme bei Ämtern, da den Standardnamen schließlich jeder kannte. Sie konnte durch die Heirat mit einem MAYER innerhalb der migrantischen Bevölkerung aufsteigen, da sie – anders als viele ihrer Freundinnen – eben keinen Slowaken oder Polen oder Kroaten geheiratet hatte, deren Nachnamen man dann wiederum auch wieder nicht hätte richtig schreiben können. Was für ein Aufwand! Abgesehen davon, dass jeder Beamte beim ersten Blick auf ein Dokument wüsste, dass man keine richtige Österreicherin war. Was auch immer das heißen mag.
Als ich das erste Mal den Wunsch nach einer Namensänderung äußerte, beruhten die Gegenargumente meiner Verwandten auf diskriminierenden Vorannahmen, denen sie sich selbst ausgesetzt fühlten. „Willst du wirklich einen polnisch-slowakischen Nachnamen haben?” Ja, ich will. “Willst du, dass die Leute denken, du wärst Polin?“ – als ob es etwas Schlimmes wäre, polnisch zu sein. Slowakisch zu sein. Sie verleugneten damit gleichzeitig auf schmerzhafte Weise ihre osteuropäische Identität und machten sich – berechtigterweise – Sorgen, dass ich bald diskriminierende Erfahrungen aufgrund meines Nachnamens machen würde. Bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt.
„Ich fand Jankovska immer einen sehr schönen Nachnamen“, sagte meine Mutter. „Aber ich habe deinen Vater geheiratet und hatte niemals Probleme mit Mayer. Ich war froh, Frau Mayer zu heißen.“ Bislang hatte ich übrigens weniger Probleme mit meinem neuen slowakischen Nachnamen, unter dem ich seit diesem Jahr auch schon arbeite, als mit Mayer. M-A-Y-E-R. Ich kann mich an keinen Termin erinnern, an dem ich diesen Nachnamen nicht hätte buchstabieren müssen. Also bitte! Ich sehe meinen Migrationshintergrund, anders als meine Verwandten, als Vorteil. Gerade 2017, gerade in einer Zeit, die nach unkonventionellen Stimmen und diversen Identitätserfahrungen verlangt – auch im Journalismus.
Dass sich der Name MAYER für mich schon mein ganzes Leben lang falsch anfühlte, hat nichts mit meinen Eltern oder der Liebe zu ihnen zu tun. In derselben Weise wie meine Mutter die offensichtlichen Überbleibsel ihrer Andersartigkeit ablegen wollte, möchte ich wiederum das Indiz meiner scheinbaren (!) Österreich-haftigkeit nicht als Etikett mit mir herumtragen, da es faktisch ganz einfach nicht stimmt. Der Name Jankovska wurde mir durch die Heirat meiner Mutter genommen, wodurch Teile meiner Identität verwaschen, unsichtbar gemacht worden sind.
MAYER NO MORE
Immer wieder muss(te) ich erklären, dass ich eben nicht „nur“ Österreicherin bin. Ich bin – was meine Abstammung betrifft – mehr als nur zur Hälfte Slowakin, da auch mein Vater tschechische Wurzeln mütterlicherseits hat, die übrigens – wenig überraschend – auch ausgelöscht wurden. Ich bin also nicht nur Halb/Dreiviertel-Slowakin, sondern auch bilingual aufgewachsen und zu einem nicht unerheblichen Teilen osteuropäisch sozialisiert worden. Durch meine Aufenthalte in der Slowakei, meine slowakisch-sprechenden Verwandten, slowakisches Fernsehen. Das alles, es existiert und ich möchte es nicht mehr als eine Kleinigkeit abtun. Meine ersten Worte habe ich auf Slowakisch gesprochen, Deutsch im Alter von drei Jahren gelernt (alle haben sich Sorgen gemacht), ich spreche mit Teilen meiner Verwandtschaft immer noch ausschließlich Slowakisch und ich habe mich immer auch als Teil der Jankovsky-Familie begriffen.
Ich liebe es, wie sich der Name anhört (Betonung auf JAN übrigens) und anfühlt und ich möchte ihn für den Rest meines Lebens tragen, auch, wenn das erst mal einige bürokratische Schritte und nicht unerhebliche Kosten mit sich bringt. Nach all dieser Zeit meinen Wunschnachnamen im Reisepass zu sehen mag sich für manche wie eine narzisstische Belanglosigkeit anfühlen. Mir bedeutet es viel.
Als in der Öffentlichkeit agierende Autorin ist der Namenswechsel für mich nämlich (leider) etwas, das ich thematisieren muss – auch wenn es sich hierbei um eine höchst private und gleichzeitig politische Angelegenheit handelt. Ich möchte die Geschichte der Frauen meiner Familie unter dem Nachnamen aufschreiben, den sie geführt haben – bis zur Migration, bis zur Heirat.
Ich möchte meine Vergangenheit nicht ausmerzen, ich möchte sie richtigstellen, richtig schreiben, ich möchte zu der stehen, die ich bin. Und das ist eben eine Jankovska. Eine Frau Jankovska, die den Familienstamm in derselben Ehre fortführen kann, wie es einst die Männer taten.
Ich möchte nicht, dass der Name Jankovska verschwindet. Ich bin die erste Frau, die die Möglichkeit hat, unter diesem Namen zu schreiben. Und genau das werde ich tun.
Bianca X. Jankovska
PS:
Warum wir Hannah Arendt nur Arendt nennen sollten (weil sie sich einen Namen gemacht hat.) pic.twitter.com/GQZLHrF6ig
— Groschenphilosophin (@zwanzig_etwas) 16. Juli 2017
vielen Dank, für diesen wunderbaren Artikel! Ich kann deine Beweggründe nur allzu gut nachempfinden. Das Gefühl einen Teil seiner Identität nicht wirklich leben zu können musste ich auch kürzlich machen, als ich erfahren habe, dass der Mädchenname meiner ostpreußischen Großmutter ein polnischer Name war. Vermutlich habe ich also zum Teil auch osteuropäische Wurzeln, die bisher keinen Platz in meinem Leben hatten, da ich nichts von ihnen wusste, weil meine Oma den deutschen Namen ihres Mannes annahm. Ich finde deinen Text und deine Ansichten unglaublich inspirierend und möchte mich wirklich herzlichst für den Mut bedanken, den du mir hiermit gegeben hast, einmal ernsthafter über einen Namenswechsel nachzudenken. Danke!
Vielen lieben dank für deinen Kommentar. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass das Thema doch so viele zu bewegen scheint.
Freut mich auf jeden Fall zu lesen, dass der Text zum Nachdenken über die eigenen Identität anregt.
Ich finde das ziemlich toll, dass du deine Gedankengänge und Bewegungsgründe mit uns teilst. Danke! Und ja, ich kann dich sehr gut verstehen. Für mich war mein Nachname auch immer mehr als nur ein Name.
Das löst so viele Emotionen bei mir aus! In meiner Kindheit und bis zu meiner frühen Jugend hatte ich einen ganz anderen Nachnamen (Karcmitovic – wow, nun schreibe ich ihn vermutlich seit zehn Jahren zum ersten Mal aus, das fühlt sich verrückt an! Und schön!). Wir sind Spätaussiedler und der Nachname war hier in Deutschland immer ein Problem. Wie oft haben wir Briefe bekommen, die an alle möglichen Fantasiefamilien addressiert zu sein schienen, nur nicht an uns? (“Karomitron” war das beste Exemplar) So schwer scheint es also zu sein, sich zwei Sekunden länger mit einem Namen auseinanderzusetzen, den man nicht alle Tage unter die Augen bekommt. Selbst meine Lehrer hatten ihre Probleme und machten Späßchen, die ich damals nicht als schmerzhaft wahrgenommen hatte, aber die mich heute umso wütender machen. Meine Eltern haben daraufhin beschlossen, den deutschen Mädchennamen meiner Mutter anzunehmen, weil der hier allen leichter von der Zunge geht. Außerdem habe ich ohnehin bereits einen slavischen Vornamen, da müsse ich nicht auch noch mit so einem kompliziert-weißrussischen Nachnamen gestraft sein. Früher war mir das egal. Heute erinnert mich der Verlust des Nachnamens an einen großen Teil meiner Wurzeln, den ich ebenso emotionslos abgeschnitten zu haben scheine, wie den Namen. Da draußen ist ein Land, in dem ich geboren wurde, in dem ein Großteil meiner Verwandten väterlicherseits lebt, mit denen ich unfassbar viel Ähnlichkeit habe. Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit in Kasachstan und doch hat meine neue, unauffälligere Identität hier alles verschlungen. Hatte ich mich früher dankbar gefühlt, weil ich die gleichen Chancen hatte, wie alle Schmidts und Müllers, so fühle ich mich heute umso schuldiger.