Tanzende Frauen in Unterwäsche sind das neue Symbol für Selbstliebe geworden – aber ist Body-Positivity wirklich so einfach, so schwarz-weiß? Auf Watson.ch gibt es die kürzere Variante, hier die in Überlänge.
Am 11. Mai lief der «Feel-Better-Movie», wie die Macher ihn nennen, einmalig in den deutschen und österreichischen Kinos. Die Message von «Embrace»: Du bist schön! Aber: Was vermittelt der Streifen wirklich?
Ich sass in einem dieser ausverkauften Kinos – die Story ist schnell erzählt: die Australierin Taryn Brumfitt bekommt drei Kinder und fühlt sich spätestens seit der dritten Geburt von ihrem Körper verarscht. Hier hängt es, da sind Dehnungsstreifen, die Brüste – ein Desaster!
Traumatisiert von heidi-klum’schen Post-Babybody-Fotos entschließt sie sich, ein letztes Mal an ihre sportlichen Grenzen zu stoßen, um zu sehen, wie sich ein makelloser Körper anfühlt. Konträr zur Normalo-Mutti bekommen die Zuseherinnen und Zuseher eine gelackte Bodybuilder-Taryn zu sehen, die zur Perfektion gestählt auf einer Bühne auf und ab läuft. Man merkt gleich: das Spiel mit Kontrasten gehört bei „Embrace“ zum System.
Am Tag nach dem Wettbewerb beginnt Taryn wieder zu leben, zu essen und fotografiert sich einige Wochen später nackt. Sie erstellt eine „Vorher-Nachher“-Fotocollage – vorher als Bodybuilderin, nachher als „echte“ Taryn – und postet sie auf Facebook.
100 Millionen Mal wurde diese Umkehrung bereits weltweit geliked. Ein viraler Hit wie er im Internet-Handbuch steht, der nicht nur viele Beschimpfungen nach sich zieht („Zieh dich an, fette Schlampe!“ – Willkommen im ganz normalen Internet übrigens), sondern auch dank zwei aneinandergepappten Fotos den Grundstein zum Film „Embrace“ legt.
Für den Mainstream ist „Embrace“ nach wie vor ein Meilenstein. Wir sehen Frauen, die ihren Körper nicht hassen, obwohl sie dick sind. Oder einen Bart haben. Oder eine Behinderung. Klar müssen diese Bilder in Frauenmagazine, stören tut das Prädikat „revolutionär“. Denn genau mittels diesem Blickwinkel wird das Normale wieder als Besonderes hervorgehoben.
Strenggenommen ist „Embrace“ die pseudodokumentarische Variante eines Clickbait-Artikels, der dank Nora Tschirner in Deutschland erfolgreich zum PR-Spektakel aufgeblasen wurde und dahinter leider nicht viel mehr packt als ein paar Promis, die über ihr wiedergewonnenes Selbstwertgefühl sprechen. Statt sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen, sollten wir alle „lieber die Umwelt retten“ – no shit.
Ungut fühlen sich besonders die Stellen an, bei denen das Problem unrealistisches Körperbild anhand von Extremfällen zwischen Adelaide, London, Berlin und Beverly Hills ausgeschlachtet wird. Da ist eine magersüchtige Frau, die beim Weinen gefilmt wird. Hauptsache dick auf die Tränendrüse! Was sie anderen Frauen gerne sagen würde? „Bitte hört nicht auf zu essen!“ Ende der Geschichte, Kamerawechsel. Eine Frau, am ganzen Körper verbrannt, die sagt: „Es klingt komisch, aber es ist das Beste was mir je passiert ist!“ – ernsthaft? Müssen wir erst Bilder von körperlichem Schmerz transportieren um zu verstehen, dass eine Tigh-Gap nichts ist, auf das man sich etwas einbilden muss?
Gezeichnete Bilder wie diese erschweren tiefergehende Debatten und stellen boulevardeske Narrative in den Vordergrund. Frei nach dem Motto: „Wenn sogar die das schafft, muss ich das doch auch schaffen!“ Nur wie? Genau diese Frage wird nicht ausreichend beantwortet. Es habe „eben Klick gemacht“, im Kopf. Dass Freiheit und körperliche Selbstbestimmung nicht für jede Frau automatisch bedeutet, sich in Unterwäsche vor einer anonymen Öffentlichkeit zu entblößen – geschenkt. Oder, wie die Autorin Heike-Melba Fendeles schreibt: Embrace ist ein Film „wo Binsen wie das Ausweisen von Anorexie als schlimm, das Ablehnen kosmetischer Operationen als tapfer und das Bekenntnis zur weiblichen Kurve mittels fulminanter Like-Zahlen als epochal ausgewiesen wird.“
Es sind die immer gleichen Bildern, die das Bezwingen des ungesunden Körperkults repräsentieren sollen: Ein Instagram-Account, Nacktheit, Sticker mit Sprüchen und einfach mal sich selbst vor dem Spiegel umarmen. So lange „Ich liebe dich sagen“, bis man es glaubt. Ist es wirklich noch mutig, einen Körper zu zeigen, der nicht mittels Photoshop bearbeitet wurde? Oder einfach nur: überholt?
Für jene, die das Thema Bodyshaming nicht erst seit vorgestern auf dem Schirm haben, folgen zwei ermüdende Stunden, in denen immer wieder dieselben Sprüche und bekannten Fakten präsentiert werden, die man so inzwischen auch bei H&M auf T-Shirts kaufen kann: „Be yourself!“, Love your flaws!“, „The future is female“! Verstanden.
Taryn hat inzwischen wieder den Körper, den ihr Gott gegeben hat. Einen Marathon läuft sie trotzdem. „Sieht so eine faule Person aus?“, sagt sie in Richtung Kamera. Trotz der Body-Positivity-Bemühungen wird hier wieder die Schere „gute Dicke, schlechte Dicke“ aufgemacht.
Was „Embrace“ fehlt, sind tiefergehende Analysen, beispielsweise jene der Werbewirkungsforschung. Es fehlen feministische Medienmacherinnen, die schon Jahrzehnte vor der Australian Cosmopolitan erkannt haben, dass sich ein diverseres Körperbild langfristig bezahlt machen könnte.
Es fehlt ein Ausblick: wo stehen wir heute als Gesellschaft, was hat sich in den letzten fünf Jahren verändert? Und: was können gesetzliche Regulierungen, was kann die Politik tun, um unseren Kindern ein besseres Körpergefühl zu vermitteln? Taryn möchte das Stigma auf individueller Ebene auflösen, ihrer Tochter ein gutes Vorbild sein. Sich nicht operieren lassen, obwohl ihr Nippel laut eigenen Angaben inzwischen tellergroß seien. Und hier, schon wieder: was ist so schlimm an tellergroßen Nippeln?
Die jahrelange Indoktrinierung mit Mainstream-Bullshit hat natürlich genauso wenig vor Taryn Halt gemacht, wie sie das vor ihrer Tochter tun wird. Dafür leben wir in einer viel zu komplexen Umwelt, in der es nicht reicht, wenn Eltern die Aufklärungsarbeit alleine erledigen. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die Chefredakteurinnen jeder verdammten Frauenzeitschrift auf diesem Globus den „neuen Status-Quo“ in die Blattlinie aufnehmen. Zur Selbstverständlichkeit machen – und sei es nur, um den Zeitgeist zu instrumentalisieren.
Bis dahin müssen wir froh sein über «Embrace». Weil der Film ein schwieriges Thema einfach aufbereitet einem Massenpublikum in die Hände spielt und neben der feministischen Bloggerin Amelie vielleicht auch deren unsensibilisierte Verwandtschaft ins Kino lockt oder umgekehrt. Etwas anderes zeigt als weisse, blonde Frauen auf 5-Meter-Plakaten.