So wirklich aufgefallen ist es mir eigentlich erst, als ich meinen Trolley im Vorzimmer der neuen Wohnung (in Berlin) zwei Tage nicht weggeräumt habe. „Zahlt sich ja gar nicht mehr aus, am Mittwoch fliegst du eh wieder“, habe ich mir jedes Mal gedacht, als ich das Haus verliess.
Im obersten Fach Unterwäsche und Bikini für den Fall der Fälle, eine lange Karottenjeans, eine weite Unisex-Hose in jeans oder schwarz, dazu ein Pulli, zwei Shirts, mein koreanisches Drüberhängsel und ein paar Schuhe. Mehr brauche ich inzwischen nicht, um für drei bis vier Nächte zu verreisen. Eine Kosmetiktasche ist stets gepackt, mit Kontaktlinsenflüssigkeit, Ersatzwimperntusche, Ersatz Make-up und zwei verschiedenen Lippenstiften. Packen nervt, also wozu das Ganze unnötig verkomplizieren, wenn es schnell gehen muss?
Ich habe 23 Jahre in Wien gelebt. Dazwischen ganz kurz in Antwerpen, danach 14 Monate in Hamburg und seit Jänner bin ich in Berlin. Zehn Tage pro Monat bin ich durchschnittlich nicht in meinem aktuellen „Zuhause“, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht mehr so viel zu verreisen und „so richtig“ anzukommen. Nice Try.
Was ich nämlich nicht bedacht habe: Meine Familie und einige der wichtigsten Menschen in meinem Leben wohnen nach wie vor woanders. In Wien, in Bratislava, in Zürich und auch in Hamburg.
„Heimat, das ist für mich ein anderes Wort für Beisammensein.“
Schon alleine wenn ich meine Eltern und meine dagebliebenen Freunde nicht nur alle sechs Monate sehen möchte (was ich nicht möchte), muss ich alle drei Monate mal nach Wien. Dazu kommt der Besuch bei meinen Grosseltern in der Slowakei, was zum Glück nicht so weit weg ist von Wien (1 h mit dem Auto), und der ohnehin schon reduzierte Besuch bei meinen gleichaltrigen slowakischen Verwandten in Zürich. Das sonstige Privatleben mal ausgenommen.
Heimat, wo soll das nochgleich sein?
Der Heimatbegriff hat sich für mich verändert. „Ist Heimat das, woher wir kommen, oder das, wohin wir wollen?“ – fragt Marc Brost auf Zeit Online. „Wenn man mal rumfragt bei Freunden oder Kollegen, wo eigentlich ihre Heimat ist, dann dauert es nie lange, bis sie etwas erzählen. Woher sie kommen. Warum sie fortgingen. Weshalb sie niemals dorthin zurückkehren wollen. Was sie daran reizt, vielleicht doch zurückzugehen. Woran sie denken, wenn sie an ihre Heimat denken. Was sie dabei fühlen, riechen, schmecken.“ Heimat ist für mich Slowakisch sprechen. Eine Leberkässemmel im Spar bestellen. Abends beim Heurigen sitzen. Die Auffahrt aus unserer Garage. Lobau. Alle Stationen der U-Bahn kennen und sich nie verfahren. Genügen, dort wo man ist.
Würde mich Brost fragen, wo meine Heimat ist, würde ich klar mit „Wien“ antworten. Ich bin Wienerin durch und durch, das wird jeder bestätigen, der mich kennt – ohne, dass ich die kulturellen Besonderheiten meiner Identität jetzt genauer ausführen möchte (granteln, schwarzer Humor, loses Mundwerk, grosses und stolzes Ego inklusive Kleinstaatenkomplex). Und doch lebe ich in Berlin – irgendwie auch aus Mangel an Fantasie.
In Wien sagt man mir, ich spreche schon ganz leicht deutsches Deutsch (wer’s glaubt, meine Arbeitskollegen bestimmt nicht haha) und ziehe mich an wie so „ne echte Berlinerin“ – was auch immer damit gemeint ist. In Berlin oder in Deutschland generell passiert es oft, dass mich Leute schon im ersten Satz fragen, wo ich herkomme und mir ungeniert erzählen, dass ich „süss“ spreche.
„Für mich ist Heimat der Ort, an dem ich nicht auffalle“
Wenn mich jemand fragen würde, wo ich mich wohlfühle, gäbe es eine ausführlichere Antwort als „Wien“. Ich liebe das herrschaftliche Innenleben meiner Herzensstadt (Wien), bevorzuge aber das Kneipen- und Nachtleben meiner „Wahlheimat“ Berlin, mit seinen unendlichen Möglichkeiten und dieser spätihaften Lockerheit, die ich so in Österreich noch nie erlebt habe.
Gleichzeitig verbringe ich jeden Sommer und jedes Weihnachten in Bratislava, wo ich einerseits den abgefuckten und unprätentiösen Flair des Ostens spüre, gleichzeitig aber weiss, dass hier im Gegensatz zu Börlin niemand hergekommen ist, um sich besonders hip zu fühlen. Es ist überhaupt kaum jemand hergekommen, in den letzten Jahren.
Die Slowakei ist für mich Zuhause und Fremdheit zugleich, ich kann keine coolen Bars nennen oder angesagte Künstler. Dazu bin ich zu wenig da und auch zu wenig integriert, auch wenn Slowakisch meine Muttersprache ist. Kurz: es ist kompliziert. Auch, wenn ich mit meiner Cousine im Zug in Zürich slowakisch spreche, obwohl wir beide Deutsch können.
Wo will ich hin, wo werde ich bleiben
Durch die vielen Umzüge in den letzten zwei Jahren habe ich einiges verloren: Konstanz zum Beispiel, und Freunde, die um die Ecke wohnen. Gewonnen habe ich ein Stück Unabhängigkeit und Flexibilität, die damit einhergeht, Möglichkeiten zu haben.
Ich kann abhauen, wenn mir Berlin und die Arbeit zu viel wird. Ich bin nicht gebunden, nie wehmütig, wenn ich in den Flieger in Tegel steige. Dafür ist es zu früh. Ich lerne: Heimat ist nichts, das man sich wie Wissen aneignen oder wie einen Pullover anziehen kann. Es ist ein Prozess, der einen unentwegt mit Identitätsfragen konfrontiert.
Manchmal tut es weh, wenn andere versuchen den Wiener Schmäh oder die Wiener Ausdrucksweise zu imitieren, weil es nicht nur nie ans Ideal rankommt, sondern auch von einem aufgedrängten Nicht-Wissen zeugt. Wenn ich „Oida“ aus der Feder einer oder eines Deutschen auf Facebook lese, muss ich ganz schnell drüberscrollen, um nicht wütend zu werden. Als ob mir Wien gehören würde, wie lächerlich und kleinlich ist das denn bitte. Aber vielleicht ist es genau das, was dieses Heimatgefühl ausmacht. Es fühlt sich an, wie wenn jemand deine Mutter kritisiert: das gehört sich nicht.
Und jetzt in Berlin? Da bin ich die Zugezogene, die Gentrifizierung in Person. Die, die nur ein paar Facetten kennt und wenig weiss, von der Geschichte des Landes. Des Ladens ums Eck. Deutschland ist nicht Schnaps und Currywurst, Hängen am Späti.
Ganz ehrlich, manchmal vermisse ich die Zeiten, in denen ich nichts kannte ausser Wien und mir nicht vorstellen konnte, meinen Bezirk zu verlassen. Damals, als ich ein Auto hatte und keine Altbauwohnung. Mich gar nicht erst gefragt habe, wer ich denn sein möchte. Kann man eigentlich alles, was man benötigt, am eigenen Leib tragen? Heimat, sagt der Soziologe Heinz Bude, verleiht so etwas wie innere Schwerkraft. Man will sich in etwas gründen, man will von etwas einen Ausgangspunkt nehmen. Etwas, das nicht ständig infrage steht.
Es wird sich einpendeln. Das mit den Flügen und dem Trolley im Vorzimmer, der dort im Eck verdächtig gut aussieht. Alles eine Frage der Organisation. Einer Frage, was man vom Leben möchte.
Das Neue, das Rumgereise, das Nicht-Konstante wird nichtsdestotrotz langsam zur Gewohnheit und stresst nicht mehr so hart. Letztendlich weiss man am Ende nie, wie das Leben aussieht, das man sich im 20-jährigen Kopf („Irgendwann nach dem Studium!“) zusammenbastelt. Man sieht die eigene Wohnung, aber nicht den Umzug und die kaputte Therme. Die Freiheit, aber nicht den Zweifel. Den Job, nicht die 40 Stunden Woche.
Zumindest letzteres habe ich beseitigt, um spontaner zu sein. Um das alles hinzubekommen, mit der Heimat zwischen drei verschiedenen Städten. Ich brauche meinen Rückzugsort, mein Bett, in das ich krieche – genauso wie gelegentliches Abenteuer und Tapetenwechsel.
Aber Tränen am Flughafen? Gibt es immer nur in Wien.
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Mit allen, die das hier gelesen haben und sich dabei denken „Oh ja, kommt mir bekannt vor“, würde ich gerne eine kleine Blogparade (#zwischendenstaedten) starten. Wer möchte, schreibt einen eigenen Text zum Leben zwischen den Städten. Ich hätte hier aber auch ein paar Leitfragen für euch.
1. Was ist deine Herzens- was ist deine Wahlstadt? Ist es vielleicht sogar ein und dieselbe Stadt?
2. Was bedeutet Heimat für dich?
3. Was gefällt dir an dem Leben zwischen den Städten?
4. Was war heftiger, als erwartet?
5. Ist das Leben zwischen zwei oder mehreren Städten auf Dauer etwas, das du für dich in Kauf nehmen kannst?
6. Wenn du dich entscheiden müsstest, ob du in der Herzens- oder Wahlstadt leben musst – könntest du es? Jetzt sofort?
7. Welche Dinge sind dir im Leben wichtig(er) geworden, seit du zwischen Städten lebst?
Ui, Gänsehaut.
Ich bin aus Bochum abgehauen, so früh es nur ging. Und jetzt fühle ich mich beleidigt und betrogen, wenn Leute mich dafür loben, aus Bochum nach Münster gezogen haben, weil Münster ja so wunderschön und Bochum typisch “Pott” ist.
Der Vergleich mit dem “Über die Mutter lästern” passt daher sehr gut.
Toller Aufruf und tolle Leitfragen. Mal sehen, ob es mich in den nächsten Tagen mal in den Fingern juckt. Dann schreibe ich auch mal eine Folge #zwischendenstaedten
Liebe Grüße, Ana
http://www.disasterdiary.de
Liebe Ana, darüber würde ich mich auf jeden Fall sehr freuen.