Das Smartphone freitagabends elegant in die Cola plumpsen lassen – eine verlockende Idee. Keine Nachrichten, kein WhatsApp, kein Tracking, keine #inspirationalquotes auf Facebook und keine #butfirstcoffee-Fotos von Annkathrin auf Instagram. Stattdessen, so gesehen in der geistigen Vorstellung, treffen wir uns am Wochenende mit Freunden am Kanal, lachen über Anekdoten, bestellen Honigmeloneneis und zelebrieren das, was man online scheinbar verpasst: das richtige Leben.
There’s no such thing as real life
Die Digitale Detox, sie steht für all das, was wir 2017 vermissen: Ruhe im Strudel des Online-Alltags. Autofahrten ohne Wlan. Bücher mit 768 Seiten. Guacamole auf Vollkornbrötchen. Und doch bleibt sie genauer betrachtet eine Utopie, weil sich die Langsamkeit der Welt nicht im Alleingang wiederherstellen lässt, nur weil man für 24 Stunden auf sein Smartphone verzichtet.
Kurzzeitig unerreichbar zu sein ist wie laufen gehen, um danach Pizza zu fressen. Einen Tag pro Woche auf Fleisch verzichten, und sich stolz Vegetarier nennen. Nachrichten ignorieren, aber Netflix kucken. Irgendwie scheinheilig, aber gut fürs Gewissen. Weil man letztlich am Montag doch wieder an der Nadel hängt – egal, ob man die Mails schon in der U-Bahn liest oder erst am Schreibtisch: sie sind da. Es ist nicht so einfach, eine vernetzte Welt zu verlassen – und sei es nur temporär. Wer ein Smartphone als Hauptphone nutzt, ist der Technik zu einem gewissen Grat ausgeliefert. Realistische Alternativen zum strikten Digitalzölibat lassen noch auf sich warten – von fragwürdigen Pageblockern abgesehen.
Glaubt man gewissen Ratgebern ist online die neue Krankheit, eine die Schwäche und fehlende Disziplin suggeriert. Abhängigkeit nach Likes und Shares und Retweets und ganz leise „hast du nichts Besseres zu tun“ flüstert. Und gleich danach: „Arbeite nicht!“ – zumindest nicht nach 19 Uhr. Als ob sich Gedanken stoppen ließen. Jetzt, wo sich auch der Mainstream langsam den Anstrengungen eines digitalisierten Lebens widmet, müssen Ruhepole und Pausen geschaffen werden. Selbst dann, wenn man sie vielleicht gar nicht benötigt. Es schickt sich in gewissen Momenten einfach nicht mehr, etwas von sich preiszugeben. Beim Feiern zum Beispiel. Oder im Urlaub.
Dort fühlt sich Mensch besonders von anderen dazu verpflichtet, endlich „offline zu sein“, den Moment zu genießen – also so wirklich, als ob es eine richtige und ein falsche Herangehensweise dafür gäbe. Als ob man nicht leben würde, wenn man am Abend ein Foto postet oder die Fahrt auf dem Motorrad filmt. Als ob einem genau dieses eine Mal körperlich schaden würde, einen Artikel zu lesen (schnell noch alle Apps deinstallieren im Flugzeug), eine Nachricht zu beantworten, ein Lebenszeichen von sich zu geben. Von einem Tag auf den anderen soll man plötzlich seine Gewohnheiten aufgeben, runterfahren, loslassen. Nur: wie soll das gehen?
Wer bestimmt, wann es zu viel ist?
Es gibt kein offline im online, auch wenn wir anfangen auf dem Balkon Radieschen anzupflanzen und Schiller zu lesen. Solange es gesellschaftlich usus und technisch möglich ist, E-Mails auf dem Handy zu empfangen und zu beantworten, im Minutentakt Push-Nachrichten zu Anschlägen zu erhalten und laut Bitkom 71 Prozent der Arbeitgeber denken, dass ihre Mitarbeiter außerhalb der regulären Arbeitszeit erreichbar sein sollten, nützt es wenig in teuren Detox-Camps mit kontrollierbaren Versuchsbedingungen einen restriktiven Umgang mit sozialen Medien zu erlernen. Wie eine Gewohnheit bekämpfen, die das Arbeits- und Privatleben in einem gravierenden Ausmaß betrifft und verändert? Nachdem jahrelang so getan wurde, als ob „das Internet“ ausschließlich positive Entwicklungen bereithalten würde, wirken die „entgiftenden Maßnahmen“ vor allem eines: paradox und unvollständig. Lebensverlängernd, aber nicht unbedingt heilend.
Das Internet ist überall. Und nein, es wird nicht weggehen. Klar gibt es Extremfälle von Internetsucht. Die Mehrheit schaut halt gerne ab und an ins Kästchen. Sei es aus Neugierde oder Mitteilungsdrang.
Umso eher wir verstehen, einen bewussten und personalisierten Umgang mit unseren bevorzugten Kanälen zu pflegen, desto besser. Selbst zu spüren, woran wir gerade mehr Spaß haben. Facebook oder Film. Joggen oder zocken. Lesen oder telefonieren. Nicht zu kommunizieren, wenn es gerade in den Fingern juckt, grenzt an Kontrollzwang.
Steck das Handy freitagabends in die Hosentasche. Und hol es dann raus, wenn du Bock drauf hast. Druck beim Versuch, gezielter online zu sein, ist das letzte was wir heute brauchen.