Früher oder später wirst du ein Treffen mit einer Person haben, deren selbstbewusstes Auftreten dir bereits bei deinen präventiven Verschönerungsmaßnahmen Magenschmerzen verursacht. Ausgestattet mit einem dünnen Schweißfilm auf den Innenseiten deiner Handflächen werdet ihr euch zum Warm-up über Harmlosigkeiten wie eure Lieblings Pokemon-Edition unterhalten, bevor ihr zu den Fragen übergeht, die über sein oder nicht-cool-sein entscheiden. Wie zum Beispiel: Und, was hörst du so für Musik? An dieser Stelle hilft es herzlich wenig, sich zu verstellen. Spätestens beim ersten gemeinsamen Abendessen wird dich deine lang verdrängte Uncoolness einholen.
Du fängst an zu überlegen, denkst in Anbetracht der letzten repräsentativen Suchbegriffen, die du in Spotify eingetippt hast (Shake it off von Taylor Swift und My Prerogative von Britney) darüber nach, entweder a) die GoTV Charts auf der Toilette zu googeln oder b) dein Gehirn dazu anzustiften, die Bands aus den verstaubten Ecken deines Langzeitgedächtnisses hervorzukramen, die du schon vor 10 Jahren vorgetäuscht hast zu mögen. (Ich bin nicht sicher ob The Used, The Killers, Queens of the Stone Age und Radiohead immer noch durchgehen würden.)
Warum ich die Einleitung unnötig in die Länge gezogen habe? Als ich letztens in der WG von meiner Neuentdeckung Ariana Grande erzählte, erntete ich verstörte Blicke. „Eww, she’s terrible! Totally trash, how can you listen to that kind of music?“ Popmusik ist in den Augen vieler mass culture und hat alleine schon deshalb verloren, weil man sich während der Entdeckung eines vermeintlichen Ohrwurms wie Christopher Columbus fühlen wird. Irgendjemand ist schon vor einem da gewesen. Abgrenzungspotential? Zero.
Die Frage, die du dir eigentlich stellen solltest, wäre folgende. Warum schämst du dich für deinen Musikgeschmack? Weil Popmusik von selbsternannten Kulturliebhabern als billig, einfältig und “zu mainstream” abgetan wird? Die Verkaufs- und Downloadzahlen sprechen für sich.
Nach Raymond Williams ist Kultur
a ‘general process of intellectual, spiritual and aesthetic development’ (1983). A second use of the world culture is to describe a ‘particular way or life, whether of a people, a period or group’. By this definition we can think of developments such as literacy, the seaside holidays or youth cultures, while the third meaning – culture as signifying practices – allows us to speak of soap opera, comics or, as in this example, pop music.
Na also, popmusic ist Kultur! Die Ablehnung “einfacherer” Kunstformen liegt nach Pierre Bourdieu an der Tatsache, dass man sich von anderen (den weniger Erhabenen) abgrenzen möchte. In diesem Fall mit seinem beneidenswerten Geschmack.
Pierre Bourdieu paid special attention to forms of culture that are stigmatized by intellectuals and the so-called bourgeoisie (this discussion probably needs an extra article). Forms considered vulgar rather than refined, emotional rather than mental, expressive instead of aesthetically distanced. Bourdieu claims, that aesthetic distinctions are highly linked to class. An ‘expensive’ taste is nothing more than a functioning marker of ‘class’.
Kurz gesagt: Um als “wahre” Kunst durchzugehen, muss die Rezeption mit größtmöglicher Mühe verbunden sein. Wenn man sich nicht wochenlang mit Faust beschäftigt, wird man nicht viel von der Aufführung mitnehmen (hier spricht mein 15-jähriges Ich. Habe seither nie wieder etwas von Goethe gelesen). Oder, in anderen Worten: “the elitist investment that some put in its continuation.” Menschen, die über mehr kulturelles Kapital verfügen, möchten sich von denjenigen abgrenzen, deren weniger kultivierter Geschmack von ihrem eigenen abweicht. Dadurch manifestiert sich eine klare Unterscheidung zwischen “angesehener” und “abgewerteter” Musik in unserem Alltagsverständnis.
These distinctions are used to legitimate the privileges of those with more education and more money, who envision themselves as superior to those whose tastes differ from their own.
Popkultur ist das, was übrig bleibt, wenn wir Opern, die Schatzkammer im Kunsthistorischen oder eine gähnend langweilige Theaterinszenierung außen vor lassen. Wenn du möchtest, kannst du dich natürlich weiterhin an deiner individuellen Plattensammlung ergötzen und darauf beharren, dass Ariana, Taylor oder One Republic einfach schlechte Musik machen und die Mehrheit der Gesellschaft keinen Plan hat.
Du kannst aber auch (und das ist ein allgemeiner Ratschlag) auf die Meinung der anderen pfeifen und das Radio lauter statt leiser drehen, wenn gerade ein Lied läuft, das deinem Freund nicht gefällt. Dir einzugestehen, dass du heute lieber mit Beyoncé frühstücken möchtest als mit Phosphorescent beraubt dich nicht deiner kulturellen Identität. Und selbst wenn. Immerhin müsstest du dann sonntags nicht mehr alleine ins Museum gehen.
Mentions