Bianca Heinicke hat jetzt einen eigenen Blog und ich frage mich, was das für das Internet bedeutet. Are we going back to basics?

Ich lese kurz rein, sehe Aufklärungsarbeit zu „Veganismus“ (little late to the party?), ein sehr, sehr schlechtes Gedicht und einen Willkommens-Eintrag. Dort erklärt die Ex-YouTuberin, dass sie nie wieder einen schönen Moment verpassen möchte, weil sie ihn gerade filmt and I dig it. Wirklich, Bibi. We are on the same page.

Lasst mich heute ein bisschen ausholen, ja?

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Was bisher geschah

Die ersten zwei Augustwochen (Urlaub) war ich genau zwei Tage auf Instagram und das auch nur, um meine neuesten Artikel zu promoten. Nach diesen zwei Wochen spüre ich deutlich: Ich habe überhaupt kein Interesse mehr, auf dieser Plattform irgendetwas zu konsumieren. Die Gründe sind bekannt, ich muss sie wirklich nicht weiter ausführen und eine präpotente, vermeintlich neuartige Beobachtung darüber verfassen, wie gut es dem Gehirn tut, nicht ständig instagramm’sche Dopamin-Rushes zu bekommen. Haben wir alle zwischen 2017 und 2021 von Thorsten und Martin zu genüge gelesen.

Und, schau einer an: ich habe trotzdem jede Menge Medien konsumiert. Ich war auch ohne Instagram, oder gerade deshalb sehr wohl in der Lage, auch mal längeren „Content“ zu konsumieren (AKA Bücher und Filme) und bin auf einigen coolen Substacks hängengeblieben.

Turns out: Inspiration gibt’s auch fernab von Insta

Für euch vermutlich nichts Neues, aber: Jedes Kino, jedes Museum, jedes Theater, jede Kunsthalle in der Umgebung hat eine eigene Homepage. Wir müssen nicht erst via Instagram auf irgendetwas aufmerksam gemacht werden. Schlimmer noch: Instagram lebt von unserem vermeintlichen Nicht-Wissen um kulturelle Ereignisse und tut so, als ob wir ohne der Plattform nicht wüssten, was wir konsumieren sollen und schwupps sind drei Stunden vergangen, in denen wir thirsty 21-Jährigen beim Shoppen zugesehen haben. Das ist einfach nur frech, wenn ihr mich fragt.

Ich lese keine Tageszeitung, gehe aber mit offenen Augen durch die Stadt. Ich spreche mit Freunden, habe einen Account bei der Film-Review-Plattform letterboxd (@groschenphilo, falls wer folgen möchte) und kann Google bedienen, falls mir mal die Ideen für Filme oder Podcasts ausgehen.

Außerdem führt doch jeder Link im Internet zu … irgendetwas?

Auf was ich hinauswill: es war wahnsinnig angenehm, mich mit interessantem Content zu beschäftigen, der mich weder durch Insta erreichte, noch auf Insta stattfand.

Talking about jeder Link hat seinen Zweck: Ich kann euch die Empfehlungen gleich weitergeben.

Filme

Pearl (Ti West)
X (Ti West)
Maxxine (Ti West)
Tár (Todd Field)
Challengers (Luca Guadagnino)

Bücher

Hengameh Yaghoobifarah – Schwindel (Rezi folgt am 17.9!)
Melissa Broder – Death Valley
Tina Horn – Why Are People Into That?

Blogs/Substacks

Fuckgirl (that’s me!)
Schranz (Annabelle Ferlings)
Monday Monday (Cody Cook-Parrott) – besonders gut: the curse and the blessing of the PayWall
After School (Casey Lewis)
FeedMe (Emily Sundberg)

Nichts davon wurde mir im klassischen Sinne influenced. Alles selbst recherchiert, bestellt oder durch Freund*innen empfohlen bekommen.

Medien gut, alles gut? Nicht ganz.

Die Furcht, vergessen zu werden

Eine Sache, die sich während meiner Handy- und Insta-Abstinenz doch ein wenig einschlich, war die Furcht, vergessen zu werden, weil ich nichts mehr poste und mein Handy fast immer aus war. An diesem negativen „Mind-Set“ muss ich unbedingt dranbleiben, denn ich kann mir gut vorstellen, dass es technikverursacht ist.

Ich verfalle so oft in die Angst, dass meine Freunde mich „vergessen“, wenn ich mich eine Woche oder drei nicht melde, dass ich dazu neige, zu überkommunizieren, wenn mein Handy an ist.

In Zukunft möchte ich viel mehr darauf vertrauen, dass Verbindungen halten, auch wenn man sich nicht ständig Voice-Messages schickt. Dass es genauso ist, wie immer, wenn man sich wiedersieht. Und falls nicht: What can one do about it? Nicht alle Freundschaften sind meant to last forever und das ist gut so.

Das Absurde an der ganzen Sache: Ich war den ganzen Urlaub nicht alleine, sondern very inter-dependently mit zwei anderen Personen zusammen. Ich fühlte mich also nicht per se alleine, und doch spürte ich ab und an dieses Loch, dass ich doch noch mehr Menschen um mich haben könnte, dass ich mich auch hier in meinem Urlaub ständig darum kümmern sollte, in der Prio-Liste der Daheimgebliebenen nicht ganz nach hinten zu rutschen wie ein lästiger Chatverlauf. Ich weiß: ziemlich abgefahrener, abstrakter Trauma-Kram, mit dem ich vermutlich zu meiner Therapeutin sollte. Wer’s kennt, schickt eine Mail, ja?

Aber bisschen was Wahres ist leider doch dran. Zumindest im Social-Media-Kontext.

Chose one: Shadowban oder Privatleben

Wenn ich jetzt nach meiner längeren Abwesenheit wieder etwas auf Instagram poste, sehe ich eindeutig, dass ich geshadow-banned bin. I mean, Beiträge mit 5 bis 11 Likes bei 9000 Followern. Are you kidding me? So schnell kann einen niemand vergessen, sorry!

Dieses Drecks-Instagram möchte ganz einfach, dass ich mich wieder unbezahlt ins Zeug lege, dass ich wieder abhängiger bin, mir meine Dopamin-Rushes hole – aber das ist nicht, wie ich leben und arbeiten möchte! Ich arbeite doch sonst auch nicht for free.

Ich bin noch am überlegen, wie ich die Negativa der verlorenen Sichtbarkeit ausgleichen kann. Ob es irgendeine Möglichkeit gibt, Followern (die noch keine Blogleser*innen sind) zu zeigen, dass sie guten Content durchaus woanders finden. Nicht nur bei mir, natürlich, weil siehe oben.

Und damit wären wir wieder bei Bibi

Ich frage mich, ob Bibis Ex-BeautyPalace mit ihrem Blog eine neue Ära einleiten kann, einfach, weil sie Millionen-Follower auf das Medium Blog aufmerksam machen wird. Manche davon lesen vermutlich bisher überhaupt keine Blogs oder waren zum letzten Mal vor fünfzehn Jahren auf einem.

Vielleicht ging es Bibi ähnlich – mir hat es jedenfalls extrem gutgetan, kein Insta am Handy zu haben und nicht jeden Gedanken sofort mit meiner Audience zu teilen (sorry!). Ich merke, wie viel ich in zwei bis vier Stunden schreiben kann, wenn ich dazwischen nicht auf die App klicke, und wie wenig ich es vermisse, zu doomscrollen.

Einen Blog zu haben, bedeutet für mich Autonomie. Es bedeutet für mich: selbst-gehostete Meinungsfreiheit im Internet; es bedeutet, von niemandem abhängig zu sein, schon gar nicht von Algorithmen.

Es bedeutet, jede Menge Platz für meine Gedanken und Analysen zu haben und mich nicht auf eine gewisse Zeichenanzahl beschränken zu müssen. Ich kann experimentieren, ich kann neue Formate entwickeln, ich kann so privat sein, wie ich möchte und das Geschriebene hinter eine PayWall setzen.

Vieles davon kann ich auf Instagram leider nicht. Dort bin ich lediglich eine von vielen, die am digitalen Marktplatz um Aufmerksamkeit der überforderten User schreit. Auf meinem Blog hingegen gibt es nur mich und meine Meinung. Die Aufmerksamkeit der Besucher muss nicht geteilt werden.

Und, auch eine letzte „Erkenntnis“, die ich mit meiner Namensvetterin gemein habe: Ich möchte nicht posten, wenn ich gerade die schönsten Momente meines Lebens verbringe. Ich möchte ganz und gar da sein, wenn mir mein Gegenüber etwas über seine Kindheit erzählt. Ich möchte wirklich zuhören, und mit dem Kopf nicht schon wieder halb im Internet stecken, weil eine Story gerade viel Aufmerksamkeit erregt.

Das alles, es muss warten.

Ich möchte nicht am Strand die Stories von Leuten bingen, die sich den ganzen Tag um sich selbst kreisen – ich möchte selbst um mich kreisen.

Meine Aufmerksamkeit beherrschen und disziplinieren, und dann, wenn es an der Zeit ist, selbstbestimmt auf Plattformen, Blogs, Streamingseiten zugreifen, um dort ausgewählt und handverlesen nur das zu konsumieren, was ich mir vorgenommen hatte.

So wird die Konsumtion wieder zu etwas Besonderem. Ich wage sogar zu behaupten, dass sich ein guter Blogpost wie ein guter Kinofilm anfühlen kann. Im Grunde geht es doch bei beidem um die appreciation, es geht um: die Wahl, das Sich-Aussetzen.

Wir entscheiden (abseits unseres Arbeitslebens) letzten Endes immer noch selbst, wann wir welche Gedankenanstöße in unser Leben lassen und wann es Zeit ist, etwas anderes zu tun. Zu schwimmen, Lost Places zu erkunden, Moule Frites zu essen, aus dem Zug zu schauen.

Ich war so wenig online wie schon sehr, sehr lange nicht mehr und es geht mir so gut, wie schon sehr, sehr lange nicht mehr. Das hängt nicht unbedingt zusammen – eine miese Zeit kann nicht durch Internet-Abstinenz ausgeglichen werden; aber eine gute Zeit kommt meiner Erfahrung erst zustande, wenn unnötige Störfaktoren aus dem Weg geräumt sind, wenn wir die mentalen Kapas haben, im Jetzt zu leben.

xoxo

bixe

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