Ich studiere seit 2010 an der Universität Wien, habe das Bachelorstudium Politikwissenschaft vor zwei Jahren abgeschlossen und bin gerade dabei, für meine Masterarbeit im Fach Publizistik zu recherchieren. Den ersten persönlichen Kontakt zu einer Lehrperson, die sich tatsächlich in einer Sprechstunde mit mir gemeinsam hingesetzt und Forschungsfragen besprochen hat, hatte ich vor einem Jahr. Bis dahin musste ich bereits vier Bachelorarbeiten (weil Doppelstudium) schreiben – alle, ohne auch nur einmal ausführliches Feedback zu bekommen. Ausführliches Feedback heißt für mich mehr, als auf eine E-Mail drei Wochen verspätet ein: „Ja, ist in Ordnung“ zu erhalten, während man längst so weitergearbeitet hat, wie man es für richtig hielt. Feedback ist nicht in einer Einheit von 1,5 Stunden gemeinsam mit fünfzehn anderen seinen aktuellen Forschungsstand zu besprechen, der den Rest nur peripher tangiert. Spätestens nach der vierten Person passt niemand auf. Wir starren auf das Smartphone.
Ich will mich nicht beschweren, die universitäre Ausbildung hat mich in meiner Selbstständigkeit weiter vorangetrieben, ich habe gelernt, mich mit Problemen alleine auseinanderzusetzen und letzten Endes trotz aller Widrigkeiten zwei Bachelorprogramme in Mindeststudienzeit abgeschlossen.
Was hätte ich tun sollen, als mich mit der Situation zu arrangieren?
Was sich jetzt anhört wie der Inbegriff einer Bologna-Leistungsträgerin, ist in Wahrheit ein Bericht über das Fehlen von Alternativen. Was hätte ich tun sollen, als mich mit der Situation zu arrangieren? Ich habe nicht das Geld, um einen 30.000 Pfund teuren Master in England zu machen, um in Grüppchen von 3 Personen über Poststrukturalismus zu debattieren. Wenn man es nicht anders kennt – ich war nie länger als ein Semester an einer anderen Universität, an der Fachhochschule wurde ich abgelehnt – verdrängt man von Zeit zu Zeit die sichtbaren Ausmaße der Unterfinanzierung. Fertig werden muss man nämlich trotzdem.
Nach den halbwegs erfolgreich überstandenen Massenvorlesungen hat mich die Problematik zu Beginn des zweiten Semesters wieder eingeholt, als mir eine Note fehlte. Dank der zahlreichen Voraussetzungsketten hätte ich mich ohne dieser nicht für die fortführenden Kurse anmelden können. Nachdem die LV-Leiterin nicht auf meine Mails reagierte, rief ich sie an. 3 Tage vor dem Ende der Anmeldephase. Sie fragte mich, ob ich denn sicher sei, ihren Kurs besucht zu haben. Sie konnte sich nicht an mich erinnern. Auch nicht an meinen Namen, obwohl ich alle Hausübungen rechtzeitig abgegeben hatte. Letzten Endes bekam ich ein „Befriedigend“ eingetragen, zwei Minuten nach meinem Anruf. Ob sie meine Abschlussarbeit je gelesen hat? Ich bezweifle.
Studentisches Worst-Case-Szenario: Verlorener Prüfungsbogen
Falls ihr euch gefragt habt, was passiert, wenn den Lehrenden ein Prüfungsbogen abhanden kommt, kann ich euch beruhigen: Erst mal passiert gar nichts. Die LV-Leiterin war noch vier Wochen im Urlaub und auch sie dachte, ich mache einen blöden Scherz. Dabei hatte ich zwei Personen, die beweisen konnten, dass ich an der Prüfung teilgenommen hatte. Ich grübelte drei Tage, ob ich den Prüfungsbogen nicht vielleicht unabsichtlich mitgenommen und weggeschmissen hatte. Absurde Gedanken. Etwa zwei Monate nach der Prüfung tauchte mein Bogen auf. Die Leiterin entschuldigte sich.
Es ist Gewohnheit, wie so vieles, an einer Universität zu studieren, an der dich von den Professoren und Professorinnen niemand kennt. An der du von der Konzeption des Forschungsthemas bis hin zur finalen Auswertung deiner Ergebnisse auf dich alleine oder ebenso unwissende Mitstudierende gestellt bist. Dann sitzt man zusammen, nächtelang und überlegt, ob die Skala nun ordinal oder metrisch ist. Man googelt und versucht sich durch online abrufbare Skripten schlau zu machen. Letzten Endes hätte man gerne jemanden gehabt, der dir Mut macht, weiter zu forschen. Oder einfach nur auf eine E-Mail antwortet.
Ein Professor, der an unserem Institut ein Bachelor, Forschungs- und Masterseminar betreut, hat im Schnitt mit 60 Studierenden Kontakt. Alle möchten seine Fachexpertise in Anspruch nehmen. Er publiziert selbst, hat Familie und organisiert Veranstaltungen.
In der Realität sieht es dann so aus, dass man selbst bestens vorbereitet im Kurs sitzt, während die Leitung noch gar nicht weiß, über was man sich seit Wochen den Kopf zerbricht. Ja, dann werden wichtige Bücher empfohlen, wie zum Beispiel die Qualitativen Methoden der Medienforschung von Claudia Wegener. Wie man die Methoden dann allerdings umsetzt, bleibt einem selbst überlassen. Keine Zeit.
Im besten Fall mündet die eigene Anstrengung in einem formell eingetragenen „Sehr gut“ im univis und einer viertelseitigen Mail, dass die Arbeit gut gelungen sei. Das war bisher bei drei meiner Forschungsarbeiten der Fall. Eine Gruppenarbeit ging komplett schief, die Aufteilung untereinander funktionierte wie so oft schlecht. Häufiger bekommt man das Ergebnis auch ohne begleitende Mail eingetragen. So weiß ich bis heute nicht, welche Dinge ich bei meiner letzten 10 ECTS Forschungsarbeit, die über 50 Seiten lang war, falsch gemacht habe.
Ich studiere gerne und ich habe gerne studiert. Ich will mich nicht beschweren, die universitäre Ausbildung hat mir Perspektiven eröffnet, von denen ich vor sechs Jahren noch nicht einmal etwas wusste. Wie bei so vielen Dingen spricht man lieber über das Negative als über das Positive, weil man aussprechen möchte, was verbessert gehört.
Wäre die Universität Wien nicht dermaßen unterfinanziert, könnten Studierende individueller betreut werden. Texte könnten gemeinsam gelesen, diskutiert und verbessert werden – nicht nur durch oberflächliche Schönheitskorrekturen. Bis heute habe ich eine romantisierte Vorstellung von der Universität als einem Ort, an dem sich – unabhängig vom Alter – an Wissen Interessierte gemeinsam unterhalten und das Leben als solches hinterfragen. Universität, das war damals noch ein leeres Konstrukt in meinem Kopf.
Heute weiß ich, das Gegenteil davon ist die Realität. Eine schnelle Abfertigung mit Hinblick auf den kleinsten gemeinsamen Nenner muss reichen, um mit mittelmäßigen beruflichen Aussichten auf den Arbeitsmarkt entlassen zu werden.